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Ein Abend, der nachklingt. Das Wohnzimmer im Altstadthotel Eck war bis auf den letzten Platz gefüllt. Foto: Dolomitenstadt/Wagner

Ein Abend, der nachklingt. Das Wohnzimmer im Altstadthotel Eck war bis auf den letzten Platz gefüllt. Foto: Dolomitenstadt/Wagner

Ein Wohnzimmer als Oase für den kulturellen Durst

Die 7. Auflage der Sessions im Lienzer Altstadthotel brachte einen furiosen Stilmix auf beeindruckendem Niveau.

Ob etwas richtig gut war erkennt man am Nachgeschmack, an dem, was nachklingt, wenn der Teller leer und das Licht ausgeknipst ist. Und so kann ich für mich zweifelsfrei sagen, die 7. Auflage der Wohnzimmersessions war als musikalisch-kulinarisches Gesamtkunstwerk wieder eines jener in der Provinz so seltenen Highlights, bei denen sich am Ende ein Glücksgefühl breit macht. Zum Glück war ich dabei. Das wäre in fünf Worten meine Zusammenfassung für einen Abend, an dem Oliver Deutsch, bescheiden und umsichtig wie immer, zu veganen Leckereien aus der asiatischen Küche im 1. Stock des Lienzer Altstadthotels ein musikalisches Überraschungspaket der Sonderklasse servierte.

Oliver Deutsch servierte auch bei der siebten Auflage seiner Wohnzimmersessions Musik und Kulinarik für Feinspitze. Foto: Dolomitenstadt/Wagner

Das Bemerkenswerte an den Line-Ups der von Deutsch organisierten Wohnzimmersessions ist deren programmatischer Stilmix. Immer werden – für schlappe 35 Euro pro Nase – zu einem üppigen Buffet auch drei jeweils rund 45 Minuten dauernde Acts geboten, bei denen der Veranstalter bewusst auf Stilbrüche setzt. Das garantiert bei den rund 80 Zuhörer:innen im gemütlichen Altstadt-Wohnzimmer eine musikalische Bewusstseinserweiterung, die man bei einem konventionell aufgebauten Konzert nicht erlebt. Da entscheidet man vorher ob man Musikkabarett, Freejazz oder Songwriter-Balladen hören will und bekommt dann in aller Regel genau das serviert was man erwartet, von der Vorgruppe bis zum Hauptact.

Der „blonde Engel“ Felix Schobesberger erhob seine gewaltige Stimme und sorgte für Lachsalven im Wohnzimmer. Foto: Elena Einhauer

Nicht so im Wohnzimmer. Da tritt zum Aufwärmen der „Angel“ auf und wir alle sitzen, nachdem sich das Zwerchfell halbwegs beruhigt hat, mit offenem Mund da und wundern uns: Wieso kennt man den nicht? Wieso ist der nie im Hauptabendprogramm des ORF zu sehen? Felix Schobesberger hat eine gewaltige Stimme, spielt mit größter Virtuosität Fingerstyle-Gitarre und haut die Pointen raus, dass es eine Freude ist. Auch ohne Engelskostüm war der Angel himmlisch unterhaltsam und hätte ruhig noch ein Stündchen weitermachen können, aber das wäre dann keine Wohnzimmer-Session gewesen, sondern eben ein Kabarettabend. Und so folgte ein programmierter Stilbruch der es in sich hatte.

Tanja Feichtmair und Peter Herbert wanderten gemeinsam durch lautmalerische Klanglandschaften. Foto: Dolomitenstadt/Wagner

Jazz spaltet schon bei konventionellen Settings nicht selten die Geister, je freier improvisiert wird, desto anspruchsvoller wird die Rezeption, doch Tanja Feichtmair und Peter Herbert legten im Wohnzimmer noch ein avantgardistisches Schäufelchen nach und wanderten mit Saxophon und Bass gemeinsam durch lautmalerische Klanglandschaften, die Bilder im Kopf auslösen können, wenn man sich auf das virtuose Experiment einlässt. Das gelang nur einem Teil des Publikums und war dennoch mehr als lohnend. Es ist lange her, dass man in Lienz anspruchsvollste Klangtexturen aus der internationalen Jazzszene hörte. Chapeau!

Und natürlich war dem erfahrenen Wohnzimmer-Organisator auch klar, dass er nach einer experimentellen Dosis Jazz als Schlussakkord einen echten Helden braucht. Also ritt Fuzzman mit zwei seiner Rebellen – Stefan Gfrerrer am Bass und Xavier Plus am Harmonium – im Wohnzimmer ein, nahm einen Schluck vom weißen Spritzer, hängte die Gitarre tief und entfesselte ein Finale, das diesen genialen Underdog der heimischen Musikszene einmal mehr als einen der wirklich Großen auswies. War das Country oder Rock, Schlager oder Indie-Pop? Es war Fuzzman, einmal zart, dann wieder rauh, liebevoll, erotisch, politisch, lustig und zornig. Herwig Zamernik ist ein Phänomen, auch er müsste eigentlich landauf, landab bekannt sein wie ein bunter Hund. Einige seiner Songs lösten jedenfalls bei den Jüngeren im Publikum ein Aha-Erlebnis aus: Ah, der singt das!

Fazit nach knapp fünf Stunden im Wohnzimmer: Das einzig Negative an den Sessions ist die lange Wartezeit dazwischen. Alles andere ist exemplarisch: So belebt man mit erstaunlich wenig Aufwand die kulturelle Szene einer Kleinstadt und gibt im selben Atemzug auch der lokalen Gastronomie eine spannende Perspektive!

Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

Ein Posting

mali
vor 11 Monaten

So schön! Fuzzman, komm wieder!

 
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