Am vergangenen Sonntag war „klug bauen und die Stadt atmen lassen“ Thema einer Hintergrund-Story, die sich mit zeitgemäßen baulichen Reaktionen auf den Klimawandel beschäftigte. Dabei kam auch die junge Architektin und Landwirtin Julia Pohl zu Wort, die sich ganz dem vergessenen Baustoff Hanf verschrieben hat.
Sie ist Teil eines Kollektivs das sich „Kommando Hanf“ nennt und im Innsbrucker Kreativ-Hub BALE genormte Paneele herstellt, die bald schon in den ersten Häusern eingesetzt werden sollen. Julia Pohl will nicht nur Neubauten, sondern auch Bestandshäuser mit Hanfkalk klimafit machen. Welche Vorteile das Baumaterial hat, erklärt sie im Interview.

Frau Pohl, kann man ein Haus ausschließlich mit Hanf dämmen?
Ja, sogar sehr einfach. Noch im Studium lehrte man uns Wandaufbauten, wo zehn bis zwanzig verschiedene Schichten und Materialien notwendig sind. Die Magie bei Hanfkalk: Du hast ein einziges Material, das bei Neubauten ungefähr 34 bis 40 Zentimeter dick eingesetzt wird. Es ist wärmedämmend, schallisolierend, antibakteriell, brand- und schimmelresistent zugleich. Und wiederverwendbar: Du kannst die Dämmpaneele schreddern, wieder mit Kalk anmischen und in neuen Baustoff verwandeln. So erzeugen wir einen zirkulären Baustoff. Wird er nicht mehr gebraucht, wandert er zurück aufs Feld.
Wir erzeugen einen zirkulären Baustoff. Wird er nicht mehr gebraucht, wandert er zurück aufs Feld.
Julia Pohl
Ihr Unternehmen Kommando Hanf ist jung. Wie kamen Sie auf die Idee, mit Hanf zu bauen?
Ich habe mich im Studium ausführlich mit Hanf-Lehm beschäftigt und bemerkt, dass Lehm zwar ein tolles Naturmaterial ist, in unseren Breitengraden jedoch als nicht geschützte Fassade relativ schnell verwittert. Hanf wiederum bietet in Kombination mit Kalk perfekte Eigenschaften. Hanfkalk ist nicht nur einfach in der Handhabung, der Stoff härtet mit der Zeit immer weiter aus. Er mineralisiert, wird robuster. In Südtirol fertigt das Unternehmen Schönthaler schon lange Wärme-Dämm-Ziegel. Wir wollen den Baustoff auch in Nord- und Osttirol populär machen.
Ihre Hanfkalk-Paneele sind bald serienreif. Sie sollen die Akustik und Temperierung von Gebäuden verbessern. Wo könnte man sie in der Stadt einsetzen?
Viele städtische Bestandsbauten sind schlecht isoliert und überhitzen gerade in den Dachgeschossen sehr schnell. Im Winter geht viel Wärme verloren. Oft gibt es ein Schimmelproblem. Eine Hanfkalkdämmung funktioniert auf jeder Bestandswand, egal ob Beton, Ziegel, Stahl oder Holz. Sie ist atmungsaktiv, kann Feuchtigkeit aufnehmen, speichern und wieder an die Umgebungsluft abgeben, wenn es zu trocken wird. Das mag auf das städtische Klima kurzfristig keine großen Auswirkungen haben, das Klima von Innenräumen gewinnt aber massiv. Und ich bin überzeugt: Wir werden nicht umhin kommen, auf natürliche Baulösungen zurückzugreifen. Zum Vergleich: Eine herkömmliche Ziegelwand bedeutet einen CO2-Ausstoß von rund 100 Kilogramm pro Quadratmeter. Eine damit vergleichbare 30 Zentimeter starke Wand aus Hanfkalk bindet dagegen 40 Kilogramm pro Quadratmeter.
Nachbessern ist also klüger als neu bauen?
Definitiv. Du kannst schlecht die ganze Stadt abbrechen. In Bestandsgebäuden steckt sehr viel graue Energie, die verloren ginge, wenn wir sie abreißen. Auch das Recycling kostet enorm viel Energie. Geschickter ist es doch, den Bestand zu erhalten und in einen klimaverträglichen Standard zu bringen. Ich wünsche mir, dass wir wegkommen von der Wegwerfarchitektur und wieder Häuser bauen, die 300 Jahre stehen können.
Hanf braucht keinen Dünger, keine Pestizide. Er ist unglaublich robust und wächst fast von allein.
Julia Pohl, Architektin, Bäuerin, Baustoffproduzentin
In Japan stehen Hunderte Jahre alte Häuser auf Hanfbasis. Wie verarbeiten Sie den Baustoff heute?
Es stimmt, in Japan gibt es den hanfbasierten Nakamura-Wohnsitz aus dem Jahre 1698 und er steht immer noch. Hanfkalk wurde in Frankreich in den Achtzigern populär und ist seither stark weiterentwickelt worden. Anfänglich wurde er eingesetzt, um Gebäude klimatisch nachzurüsten, später hat man ihn auch im Neubau angewandt. Wir mischen heute natürlich-hydraulische Kalke mit Hanfschäben – dem inneren Kern des Hanfstängels. In Österreich werden bisher nur die Blüten und Hanfblätter für Kosmetik und Lebensmittel verarbeitet. Der Stiel ist quasi Abfall. Den machen wir uns zunutze: Wir trennen den Stängel von den Fasern im Inneren. Diese besitzen einen sehr hohen Dämmwert, weil sie zu 70 Prozent aus Zellulose bestehen. Die zerstoßenen Schäben mischen wir mit Wasser, verschiedenen Kalken und einem natürlichen Bindemittel. Die Masse wir dann zu genormten Paneelen gepresst und für ein bis zwei Wochen luftgetrocknet. That’s it!

Das klingt fast zu einfach. Wie sah Ihr Weg aus?
Ich musste mir viel anhören, auch von Kollegen, die scherzten „Willst du das Haus dann rauchen?“ Anfangs hat das niemand wirklich ernst genommen, seit nun aber unsere Dämmstoffe entstehen und in Trins ein erstes Haus komplett mit Kalkhanf gebaut wird, beginnen die Leute zu begreifen, dass es funktioniert. Wir haben auf einem kleinen Feld von vielleicht 800 Quadratmetern in Kössen begonnen, Hanf zu kultivieren. Im Zuge meiner landwirtschaftlichen Facharbeiterausbildung konnte ich andere Bauern für die Pflanze begeistern. Hanf braucht ja keinen Dünger, keine Pestizide. Er ist unglaublich robust und wächst fast von allein. Er kann auch als Zwischenfrucht dienen, um den Boden wieder aufzulockern und sogar Giftstoffe zu entfernen. Wir haben sehr, sehr viele bauphysikalische Tests durchgeführt, auch in den Labors an der Universität, um ein witterungsbeständiges Mischverhältnis zu finden. Mittlerweile traue ich mich zu sagen: Wir sind so weit.
Es ist krass, was ich bei Architekten auslöse, die vierzig Jahre mit XPS oder Beton gebaut haben.
Julia Pohl
Keine weiteren Auflagen?
Hanfkalk wird dem Beton zugeordnet, was etwas irreführend ist, weil er nichts damit zu tun hat. Damit ist er aber bereits genormt. Man kann ihn legal verbauen, es gibt Brandzertifikate. Hier hat das bereits erwähnte Unternehmen Schönthaler aus Südtirol jahrelange Vorarbeit geleistet und schon sehr viel erreicht. Es ist an der Zeit, umzudenken und neue Lösungen miteinzubeziehen. Bei den herkömmlichen Baumaterialien hat sich herausgestellt, dass wir sie nicht zur Genüge recyceln können und dass sie sehr viel Energie fressen. Es ist krass, was ich bei Architekten auslöse, die vierzig Jahre mit XPS oder Beton gebaut haben. Dabei will ich lediglich neue Wege aufzeigen. Wir sollten offener sein.
Dieser Beitrag wird unterstützt durch ein Journalismus-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Im Original ist dieses Interview in der Juniausgabe der Innsbrucker Straßenzeitung 20er erschienen. Dolomitenstadt.at sorgt als Partnermedium für die digitale Verbreitung. Die Serie wird fortgesetzt.
8 Postings
Julia Pohl: ''Ich wünsche mir, dass wir wegkommen von der Wegwerfarchitektur und wieder Häuser bauen, die 300 Jahre stehen können.'' ... diesen wesentlichen Satz verstehen alle verantwortlichen und maßgeblichen Protagonisten nicht. Sie betonieren sich weiter durch den verdammten Gestzesdschungel, und sehen nix außer der kurzfristigen Rendite! Egal ob Gesetzgeber oder Ausführender, Planender oder Fabrikant, kein einziger hat diese oben genannte Wahrheit zur Zeit erkannt. Dementsprechend schaut s aus in unserem hässlisten Talboden Österreichs, und auch in der 'Altstadt' wird Schönheit neuerdings bekämpft wo es nur geht.
nichts Neues, mit hanf gedämmt haben wir unsere bude schon vor zwanzig jahren. material damals vom tristacher Einhauer erworben
Naja, wenn sie nur eine "Bude" haben und kein Haus. :-)
🤣
Vielleicht kommt ja bald auch wieder die beinahe hundert Jahre alte Idee von Henry Ford für das "Hemp car" aufs Tapet: eine Fahrzeug, in dessen Karosserie Hanffasern verarbeitet sind und das mit "Cannabis-Treibstoff" (= Ethanol aus Hanf) betrieben wird. Der Prototyp hat funktioniert. "Grüner" geht's nicht!
Ein heutzutage gut gebautes Haus sollte meiner Meinung nach aus einem monolithischen Wandaufbau (ohne Dämmstoff!) hergestellt werden. Geklebter, nicht gedämmter Planziegel und fertig isses! Eine kontrollierte Wohnraumlüftung ist und bleibt absolut für´n Hugo und wird nur zur Einhaltung der Wohnbauförderungsansprüche gemacht! Holz als Baustoff ist, weil er vorallem leicht ist gut, muss aber trotzdem gedämmt werden....Ein Vollwärmeschutz eignet sich meiner Meinung nach nur zur Althaussanierung.
Und gerade dort ist der Vollwärmeschutz nicht zu gebrauchen. Die Mauern können nicht mehr atmen, fangen an zu Schimmeln. Eine Wohnraumbelüftung gibt es auch nicht, die zusätzlich nur ein Stromfresser ist. Viele schalten sie bei Neubauten ab, da sie sich den Strom nicht mehr leisten können.
Mit ana sellanen Weibischn weart da Drexl unt da Eiberger Zement unt da BNW-Betoun koa Freit hobn. Unt da Bodna Bau scho goar ette. De hobn olle anOngscht assnse ze wianig Geld vadian. Jo nix Neichs, Teifl eini. (Ironie off)
Mich hat Hanf als Dämmstoff auch überzeugt und wollte so dämmen. War dann leider viel zu Teuer für meinen Geldbeutel und ich musste auf Steinwolle umsteigen....XPS ist halt auch unschlagbar billig und der Grund warum viele, vor allem Siedlungsgenossenschaften immer noch mit Plastik dämmen....kürzlich gesehen im Lienzer Talboden: Wohnblock- Betongebäude mit XPS- Dämmung und dann eine Lärchenholzschalung darüber um den Anschein einer ökologischen Bauweise zu erwecken.......🤦♂️ 🤦♂️ 🤦♂️
Sie müssen angemeldet sein, um ein Posting zu verfassen.
Anmelden oder Registrieren