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„Eine starke Demokratie hält zivilen Ungehorsam aus.“

Leonore Gewessler kontert auf Kritik des Kanzlers an Klimaklebern und findet die Normalitätsdebatte populistisch.

Die Grünen üben Kritik am Koalitionspartner: Dass Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) Klimakleber, Identitäre und islamistische Hassprediger als "nicht normal" in einem Atemzug genannt hat, ist für Umweltministerin und Grünen-Vizechefin Leonore Gewessler "ein No-Go". Wenn man Menschen in normal und nicht normal einteile, "dann macht man vor allem eines, nämlich das Geschäft der Populisten", richtete Gewessler der ÖVP im APA-Interview aus. Dennoch glaubt sie, dass die Koalition hält. Die ÖVP hatte sich zuletzt im Vorwahlkampf in der "Mitte" zu positionieren versucht und dabei den Begriff "normal" strapaziert - wofür man sich wie andere Parteien auch eine Schelte des Bundespräsidenten anhören musste. Gewessler hält es für "wichtig, dass der Bundespräsident darauf hinweist", und auch Grünen-Chef Werner Kogler habe das aufgegriffen, um zu sagen: "Achtung, davon geht eine Gefahr aus, wenn man Menschen beginnt einzuteilen in normal und nicht normal, in richtig und falsch. Weil wenn man das macht, dann macht man vor allem eines, nämlich das Geschäft der Populisten", meinte Gewessler. "Die profitieren davon, wenn man beginnt, Menschen zu spalten, wenn man Missgunst sät, wenn man viel über Probleme redet, aber nie irgendwelche Lösungen anbietet - dann macht man das Geschäft der Populisten." Dass der Kanzler dann im Zuge seiner Definition von "nicht normal" Klimakleber, Identitäre und islamistische Hassprediger in einen Topf warf, stößt Gewessler sauer auf: "Also ehrlich gesagt, diese Gleichstellung, die da passiert, die halte ich für ein No-Go", betonte die Grüne Vizeparteichefin. "Wenn man da über Terrorismus spricht: Terrorismus tötet Menschen. Wenn man über Hassprediger spricht: Das spaltet eine Gesellschaft. Wenn man über Rechtsextremismus spricht, dann sprechen wir über Menschen, die Nazi-Liederbücher horten." Auf der anderen Seite gebe es Aktivisten und Aktivistinnen, "die sich für ein gutes Leben für alle einsetzen, für eine gute Zukunft - und die einen Stau produzieren". Sie halte diese Gleichsetzung "wirklich für nicht zielführend".
Leonore Gewessler über Klimakleber: „Ich glaube, wir sollten bei der Debatte auch drauf schauen, dass wir nicht das Augenmaß verlieren." Foto: APA/Manhart
Sie verstehe, dass jene, die wegen der Klimaaktivisten im Stau stehen, dies "nervig" finden, gestand die Klimaschutzministerin zu. "Aber ich glaube, wir sollten bei der Debatte auch drauf schauen, dass wir nicht das Augenmaß verlieren", denn "eine starke Demokratie hält zivilen Ungehorsam aus", ist Gewessler überzeugt. Wenn es darüber hinausgehe, habe man jetzt schon rechtlich "alle Möglichkeiten". Was sie in der Debatte der vergangenen Wochen "gestört" habe, "ist dieses Runterspielen der Klimakrise", sagte Gewessler. Wenn man gerade die Nachrichten verfolge, werde sehr deutlich, "was auf dem Spiel steht", unterstrich sie. "Griechenland brennt. Man kann es nicht mehr anders formulieren." Hierzulande sei es in den Städten so heiß gewesen, "dass wir nicht mehr schlafen können, dass die Wohnungen sich nicht mehr abkühlen", merkte sie an. "Die Menschen mit dem Häuschen am Attersee, mit dem Chalet in den Bergen oder mit dem Penthouse in Wien, wo die Klimaanlagen den ganzen Tag laufen, die werden sich das in 20 Jahren auch gut richten. Aber die vielen Menschen im Gemeindebau, die Hacklerin auf der Baustelle und die Landwirtin und der Landwirt, die um ihre Existenz bangen, die brauchen ambitionierte Klimaschutzpolitik und die spüren das glaube ich gerade sehr stark." Alle - in Bundesregierung, Bundesländern, Gemeinden - seien gefordert, gemeinsam Maßnahmen zu setzen. Hitzewellen, Murenabgänge oder handtellergroße Hagelkörner: "Das ist ein Weckruf, was zu tun. Für alle." Ausgerechnet im Klimaschutzbereich hängen aber einige Vorhaben seit Monaten oder sogar Jahren in der Warteschleife: So fehlt seit über 900 Tagen ein Klimaschutzgesetz. Obwohl sie es bisher bei der ÖVP nicht durchgebracht hat, meint Gewessler weiterhin: "Ja, wir werden auch dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode auf den Boden bringen und umsetzen." Dass es mit dem Erneuerbare-Wärme-Gesetz, das den Ausstieg aus Gas- und Ölheizungen bringen soll, bisher nichts wurde, schreibt die Ministerin der SPÖ zu - die habe schließlich Zweidrittelmaterien blockiert. Die SPÖ kritisiert freilich, dass es zu dem Vorhaben keine echten Verhandlungstermine gab. "Wie gesagt, es hat eine Zeit gegeben, da hat die SPÖ die Gespräche verweigert. Die ist jetzt vorbei, umso wichtiger, dass die jetzt wieder starten", meinte Gewessler. Es habe auf Parlamentsebene bereits einen Termin zu den Verfassungsgesetzen insgesamt gegeben. Auch die wegen Uneinigkeit zwischen den Koalitionspartnern vertagte Bodenschutzstrategie hat Gewessler noch nicht abgeschrieben. "Wir haben in Österreich im Bodenschutz viel geredet, aber wenn es dann darum gegangen ist, konkrete Entscheidungen zu treffen, dann ist erst wieder betoniert worden." Deswegen sei es wichtig, verbindliche Zielvorgaben in der Strategie zu haben, argumentierte die Ministerin. "Da ist Norbert Totschnig (Landwirtschaftsminister, ÖVP) jetzt gefordert, auch einen Vorschlag vorzulegen, der das einlöst." Sie sei aber zuversichtlich, dass das bis Herbst gelinge. Eine weitere Baustelle ist der Nationale Energie- und Klimaplan (NEKP). Der CO2-Ausstoß soll bis 2030 gegenüber 2005 um 48 Prozent sinken, mit dem bisher vorgelegten Plan gehen sich aber nur 35 Prozent Reduktion aus. Um diese Lücke möglichst breit getragen zu schließen, ruft Gewessler Interessensvertretungen und Zivilgesellschaft dazu auf, bis Ende August Vorschläge einzubringen. "Mir ist diese Konsultation wirklich wichtig, weil da geht's um fundamentale Entscheidungen." Trotz aller Probleme ist Gewessler jedenfalls davon überzeugt, dass es sich für die Grünen lohnt, die Legislaturperiode mit der ÖVP bis zum Ende durchzuhalten: "Ja, selbstverständlich, weil wir sehen, die Grünen haben in dieser Regierung in den letzten dreieinhalb Jahren gerade beim Klimaschutz, aber auch in vielen anderen Bereichen, einen riesigen Unterschied gemacht." Und man habe im letzten Jahr bis zur Wahl auch noch viel vor, verwies sie etwa aufs Informationsfreiheitsgesetz und den Finanzausgleich. Zu medialen Spekulationen, sie könnte für die Grünen als Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl in einem Jahr antreten, meinte Gewessler: "Ich habe als Ministerin noch viel zu tun. Das braucht meine volle Aufmerksamkeit", verwies sie etwa auf das Klimaschutzgesetz. "Alles andere halte ich für eine Sommerlochdebatte." Ob es - sollten die Grünen nach der Nationalratswahl die Möglichkeit bekommen, wieder zu regieren - mit der ÖVP oder der SPÖ leichter wäre, ließ Gewessler offen. Die Frage stelle sich so nicht, denn "den Unterschied in einer Koalition gerade beim Thema Klimaschutz machen die Grünen", gab sie sich selbstbewusst. Für die Grünen ist die SPÖ ihren Ruf als "Partei des Betons und Benzins" offenbar auch mit ihrem neuen Vorsitzenden nicht losgeworden: "Die Aussagen von Andreas Babler haben durchaus aufhorchen lassen. Nur sieht man dann halt auch: Tempo 100, unmittelbar zurückgerudert aus dem Burgenland. Lobautunnel, unmittelbar zurückgerudert aus Wien. Also es hat sich nach wie vor an der Position der SPÖ nichts verändert." Sollten die Grünen nach der Nationalratswahl auf der Oppositionsbank landen, können sie offensichtlich weiter auf Gewessler zählen: "Ich bin überzeugt davon, für Klimaschutz braucht es die Grünen in der Regierung. Aber solange die Grünen mich brauchen und ich einen guten Beitrag leisten kann, mache ich das mit großer Überzeugung, in welcher Funktion auch immer - auch als Stellvertreterin von Werner Kogler in seinem Team", sagte sie auf eine entsprechende Frage.

12 Postings

Omo
vor 9 Monaten

Ich war mit einem grünen T-Shirt mit der Aufschrift: "Ich fahre Benzin und spare Strom" in Lienz unterwegs und bin tatsächlich beschimpft worden! Also hat mein Shirt den Zweck erfüllt.

 
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e-mission
vor 9 Monaten

wie stark unsere demokratie ist, sieht man ja bei den urteilen gegen ein paar rechte spinner.

 
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TW-WU
vor 9 Monaten

Shell vermeldete Anfang Feb. einen Jahresgewinn von 40 Mrd Dollar, ExxonMobil machte 2022 noch mehr Profit, nämlich 56 Mrd. Dollar, Chevron kam auf 37 mrd. Saudi-Aramco 161 Mrd Dollar!!!

Vergl. Österreich budget 99mrd €!

BP – Jahresgewinn: fast 28 Mrd Dollar – reagierte auf seine gewaltigen Einnahmen mit einer Ankündigung. CEO B. Looney erklärte, dass er die eigenen Klimaziele nun aufkündigen werde. Urspr. wollte BP seine Emissionen bis 2030 um 35 bis 40 % absenken. Jetzt, da das Geld so sprudelt, sollen es nur noch 20 bis 30 % werden...

Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um die "normalen" Profite dieser Konzerne weiter zu gewährleisten.

GEZ. fpövp

https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/verhalten-von-konzernen-wie-die-biosphaere-kaputt-gewuchert-wird-a-a684364f-0ea7-48cf-8dcd-8009e19076da

 
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    wolf_C
    vor 9 Monaten

    ... beim Budget würd ich noch einmal recherchieren, sinngemäß kann man zB auch die letztjährigen und heurigen Verbund- und TIWAGgewinne 'normal' oder den Zeiten entsprechend finden ...

     
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genaugenommen
vor 9 Monaten

Diese Übersachrift ruft eigentlich schon zum zivilen Ungehorsam auf ! Wenn jeder, der sich nicht an Regeln halten will, sich auf die Strasse klebt. Dann gute Nacht Demokratie. „Ich will bei einer STOPTAFEL nicht stehenbleiben müssen, oder bei Rot über die Kreuzung gehen, oder auch gegen die Einbahn fahren, das könnte man beliebig fortsetzen….

 
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    Enrico Andreas Menozzi
    vor 9 Monaten

    Sie verwechseln da etwas , ihr Interesse bei rot über die Ampel zu fahren , dient nicht einem höheren Ziel , nur ihrem Egoismus .

    Der zivile Ungehorsam steht als politisches Instrument zwischen dem positiven Recht, das verletzt wird, und dem Ziel, Gerechtigkeitsprinzipien für das Gemeinwesen durchzusetzen.

     
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    wolf_C
    vor 9 Monaten

    ''gute Nacht Demokratie'' beginnt, sobald jemand für sich mehr Rechte beansprucht wie er dem anderen zugesteht, nachdenken bitte, sonst wird das nix mit dem Nobelpreis ...

     
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    unholdenbank
    vor 9 Monaten

    Ungehorsam und zumindest fahrlässig ist aber auch den Mitmenschen gegenüber, deren Atemluft mit Autoabgasen, Reifenabrieb und Industrieabgasen zu verstinken. Das wird aber gnädig ausgeblendet, weil dann müsste man ja nachdenken - und das geht schon gar nicht.

     
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unholdenbank
vor 9 Monaten

Es ist schon ein Alarmzeichen, wenn Menschen die sich für eine saubere, lebenswerte Umwelt einsetzen kriminalisiert werden, Umweltstinker und Luftverpester/vergifter als "normal" hingestellt werden. Das zeigt ja genau den Irrsinn und Widerspruch in dem wir mit unserem "Macht Euch die Erde untertan" - Prinzip leben. Leider war es schon immer so, dass die Rufer in der Wüste diffamiert und sogar ermordet wurden - auch Jesus erging es nicht anders. Geistige und körperliche Bequemlichkeit, sowie Reichtum sind anscheinend für den Großteil der Menschen da höchste Gut.

 
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    DemLandTiroldieTreue
    vor 9 Monaten

    Zitat: "Geistige und körperliche Bequemlichkeit, sowie Reichtum sind anscheinend für den Großteil der Menschen da höchste Gut." WIE WAHR !!!

     
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    chiller336
    vor 9 Monaten

    eine simple frage: wieviel von den grünen sind keine umweltstinker und luftverpester weil sie kein auto fahren oder busse verwenden oder gar in flugzeugen fliegen? also komm mir nicht mit dieser doppelmoral

     
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      wolf_C
      vor 9 Monaten

      ... deswegen haben die Stromautos ja grün gefärbte Ziffern auf den Nummertafeln, comprende? ...

       
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