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Das olympische Eisstadion in Innsbruck sollte nach den Spielen abgerissen werden, um den Baustahl wieder zu verwerten. Es steht noch heute. Foto: Landesbibliothek Vorarlberg

Das olympische Eisstadion in Innsbruck sollte nach den Spielen abgerissen werden, um den Baustahl wieder zu verwerten. Es steht noch heute. Foto: Landesbibliothek Vorarlberg

Hans Buchrainer zum Hunderter – eine Spurensuche

Der vielbeschäftigte Architekt schuf „andere Räume“, deren Einzigartigkeit nicht immer überdauerte. 

Die Volksschule Süd und das Lienzer Gymnasium, die Hochhäuser der „Pfarrsiedlung“ in der Tristacherstraße, die Wohnblöcke im Moarfeld und im Terlagofeld, das Wohn- und Pflegeheim in Lienz: allesamt Bauten, die seit den späten 1950er Jahren zahllose Osttirolerinnen und Osttiroler entlang ihres Lebensbogens zumindest ein Stück weit begleiten und die trotz des gesellschaftlichen Wandels ihre Funktionen noch heute erfüllen. Ihrem Architekten, Hans Buchrainer (1923 - 2010) ist nun zum 100. Geburtstag eine Ausstellung in der Lienzer Dolomitenbank gewidmet.

Wer erinnert sich noch an „das Original“ von Stadtsaal und Hotel Sonne?

Buchrainers Weitblick und die Nachhaltigkeit seiner Architektur haben die Nachfolger nicht selten in die Rolle des Änderungsschneiders gedrängt, der Platz schafft, wo er benötigt wird oder – wie im Falle des Lienzer Finanzamtes – die ursprüngliche Hülle mit einem wärmeren Futter ausstaffiert. Auch wurde Buchrainers Geometrie, als äußerlich sichtbarer Ausdruck der Addition gleich gestalteter Funktionseinheiten, manchmal mit modischen Accessoirs aufgelockert. Kaum aber landete, um im Bild zu bleiben, ein Gewand in der Altkleidersammlung oder gar auf dem Müll.

Die Originalfassade des Lienzer Finanzamts vor dem Umbau. Foto: Dolomitenstadt/Böhm
Und unmittelbar nach der thermischen Sanierung. Foto: Wolfgang C. Retter

Auch wenn ein Abriss des von Buchrainer projektierten Innsbrucker Eisstadions zwecks anderweitiger Verwertung des Baustahls nach den Olympischen Spielen 1964 verhindert werden konnte: Passiert sind solche Schicksale doch und immer dann, wenn ein außergewöhnlicher Träger sein einzigartiges Festtagsgewand abgelegt hat. Buchrainers ästhetische Stärke lag nicht zuletzt in der Gestaltung von Räumen, die der französische Philosoph Michel Foucault „Heterotopien“, „andere Räume“ genannt hat, die es im Gegensatz zu den Utopien, den Nicht-Räumen oder den Unorten, tatsächlich gibt.

Andere Räume stehen im Gegensatz zum betriebsamen Alltag und zum reinen Funktionieren des städtischen Lebens. Es sind Orte, in die man sich temporär zur Unterhaltung, Erholung, Entspannung und Selbstreflexion zurückzieht: der Konzertsaal, das Kino und das Theater, oder solche, die einen entscheidenden Lebensabschnitt in eine Art Parallelwelt verlegen. Auch Kasernen sind nach Foucault Heterotopien, und was wäre etwa das Bundeskonvikt in Lienz aus heutiger Sicht anderes gewesen als eine Kaserne für Kinder und Jugendliche im wehrunfähigen Alter? Ihr Abbruch hat, nach dem Aus für das „Kino Wanner“ (1958-1991), dem Lienzer Stadtbild eine weitere Utopie hinterlassen.

Hans Buchrainer, der Architekt der „anderen Räume“, prägte Lienz entscheidend mit. Foto: Privat
Hans Buchrainer und Otto Gruber entwarfen die Kirche zur Hl. Familie. Foto: Ramona Waldner

„Wer die Welt noch einmal will, der bleibt in der Welt und geht nicht in die Kirche!“ Diese immer wieder variierte pastorale Ansage meint, dass auch Kirchengebäude als Heterotopien zu verstehen sind. Und sie übt unmissverständlich Kritik an einer nachkonziliaren Architektur, die, um Hemmschwellen abzubauen, die Grenzen zwischen sakral und profan zu verwischen bemüht war. „Pater noster-Garage“ nannte man die von Hans Buchrainer und Otto Gruber erbaute Kirche zur Hl. Familie in Lienz. Angeblich, so war in den Osttiroler Heimatblättern noch 1968 zu lesen, erschien die weitgehend schmucklose Architektur den Gläubigen viel zu modern. Aus historischer Sicht aber wurde dem fünf Jahre zuvor geweihten Gebäude, da es noch die alte Messordnung bediente, seine Modernität abgesprochen.

Nach und nach trugen Eingriffe in die nach vielen Seiten offene, unaufdringliche und zur Hauptsache der präzisen Lichtregie geschuldete Symbolik dem Bedürfnis der Kirchenbesucher nach Mitspracherecht in Liturgie und Ästhetik Rechnung. Schließlich lobte anlässlich der Neueinweihung Reinhold Stecher die Strahlkraft des zwischen 1993 und 1996 vollzogenen Umbaus, die sie nicht zuletzt zwei störenden Fensterausbrüchen im Süden und Westen verdankt. Das vom Tiroler Bischof hervorgehobene Kunstverständnis ging über jenes von Buchrainer und Gruber jedoch nicht hinaus, sondern schlicht und ergreifend hinweg.

Die Ausstellung zeigt notgedrungen nur einen kleinen Ausschnitt aus dem reichhaltigen architektonischen Schaffen Hans Buchrainers, das weit über den Horizont des Bezirkes und seiner Hauptstadt hinausreicht. Einen sorgfältig recherchierten Gesamtüberblick, mit Planzeichnungen und Gegenüberstellungen von historischen und gegenwärtigen Aufnahmen, bietet das von Sohn Michael Buchrainer und dessen Frau Eva gestaltete Buch, das zum Jubiläum erschienen ist und zum Verkauf aufliegt.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

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