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„Arbeiten ist für mich mehr Privileg als Pflicht“

Auf einer Checkliste für die Definition von „New Work“ würde Clemens Greil bei allen Punkten einen Haken setzen. 

Als Dolomitenstadt.at vor zehn Jahren die Heimweh-Serie startete, holte die Künstlerin Linda Steiner ihre Interviewpartner:innen einzeln vor das Mikrofon – mit Ausnahme von drei Dölsacher Freunden, die zu diesem Zeitpunkt gerade in ihren neuen Lebensabschnitt in Graz gestartet waren. 

„Das Schöne ist, dass Jakob, Markus und ich bis heute in Kontakt und gut befreundet sind, obwohl wir inzwischen an verschiedenen Orten leben“, erzählt Clemens Greil, den wir in der aktuellen Auflage der Heimweh-Serie als ersten der drei um ein Interview baten. „Es ist spannend, zurückzublicken und zu reflektieren, wie alles begonnen hat, als wir Osttirol verlassen haben und wie jeder seine Wege gegangen ist und geht“, meint er an das Gespräch von damals denkend.

Auf die Frage, warum sich Clemens für eine Wahlheimat außerhalb der Bezirksgrenzen entschieden hat, gibt es eine einfache Antwort: „Ich wollte studieren und das war in Osttirol nicht möglich.“ Die Entscheidung, diesen Plan in Graz umzusetzen, war schnell klar: „Die Stadt ist leicht erreichbar, weder zu klein noch zu groß, und viele meiner Freunde waren schon da. Somit war Graz für mich die beste Option auf jeder Ebene.“ 

Nach der Matura inskribierte Clemens in Graz für ein Studium, bis heute ist es seine Wahlheimat: "Graz war für mich die beste Option auf jeder Ebene." Foto: NUKI

Ich glaube, wenn man zu studieren beginnt, muss man erst einmal probieren, was für einen passt und was nicht.

Clemens Greil

In der steirischen Landeshauptstadt inskribierte er zunächst für ein Studium der Rechtswissenschaften. „Der Bereich interessiert mich immer noch, ich habe aber während des ersten Semesters erkannt, dass die Struktur des Studiums für mich nicht ganz passt“, schildert er. „Und die Inhalte waren mir zum Teil einfach zu trocken“, fügt er lachend hinzu. „Ich glaube, wenn man zu studieren beginnt, muss man erst einmal probieren, was für einen passt und was nicht.“ 

Er schaute sich nach Alternativen um und entdeckte das Studium „Management Internationaler Geschäftsprozesse“ an der FH Joanneum für sich. „Ich habe ehrlicherweise mit 19 Jahren noch nicht gewusst, welche Art von Arbeit ich später machen will, aber das Studium hat sich für mich am Ende als richtig herausgestellt.“ Dass dieser Satz nicht etwas ist, das Clemens einfach so dahinsagt, merkt man daran, mit welcher Begeisterung er über sein Studium spricht: „Die Inhalte waren spannend, die Lehrenden sehr kompetent und ich hab’ mich am Joanneum wohlgefühlt“, meint er rückblickend. Das habe ihn dann dazu bewogen, den Master „Business in Emerging Markets“ direkt im Anschluss an derselben Fachhochschule zu absolvieren. 

Ein großer Pluspunkt sei die Möglichkeit gewesen, in beiden Studienabschnitten ein Semester im Ausland zu verbringen. „Als ich während meines Bachelorstudiums ein halbes Jahr in Lissabon studierte, war das schon ein großer Schritt für mich. Ich hab’ wohl ständig den Mund offen gehabt und gestaunt, wie anders das Leben dort ist.“ Eine ganz neue Perspektive habe ihm dann aber noch das Auslandssemester in Kuala Lumpur, der Hauptstadt von Malaysia, eröffnet. „Ich hatte die Möglichkeit, von dort aus einen großen Teil Südostasiens zu bereisen. Es war schon ein Augenöffner in der Hinsicht, wie unterschiedlich Kulturen sind und was Armut wirklich bedeutet. Es hat mir gezeigt, wie sehr wir in Europa in einem Elfenbeinturm sitzen und schnell über andere urteilen, vor allem, was den Klimaschutz angeht – viele der Probleme haben ihren Ursprung bei uns.“ Diese Aspekte seien ihm auf theoretischer Ebene bewusst gewesen, „aber es ist noch einmal eine andere Erfahrung, wenn man dort wohnt und nicht nur auf Urlaub ist.“ 

Trotzdem oder gerade deswegen habe er das ‚Heimkommen‘ immer besonders zu schätzen gewusst: „Es geht uns schon extrem gut, vor allem, was beispielsweise die Sauberkeit und die Sicherheit betrifft.“ Weil er seinem Fernweh in den beiden Auslandssemestern ausreichend gerecht wurde, beschloss er, die verpflichtenden Praktika in Österreich zu absolvieren. Dafür zog es ihn unter anderem immer wieder für kurze Zeit zur Firma Liebherr nach Lienz, wo er Erfahrungen im Bereich des Lean Managements sammeln konnte. Er habe damals für sich erkannt, dass seine Stärken vor allem im strategischen und analytischen Bereich liegen. 

Mit Abschluss des Studiums ergatterte er ein sechsmonatiges Praktikum bei der Mercedes G-Klasse, welche in Graz entwickelt wird. „Das war mein Wunschpraktikum und es war eine Riesenmöglichkeit, für so ein großes Unternehmen arbeiten zu dürfen“, meint er rückblickend. „Theoretisch hätte ich dort auch bleiben können, aber wie so oft hat nach Abschluss des Praktikums eines zum anderen geführt und schließlich habe ich mich dafür entschieden, beim Grazer Start-up NUKI anzufangen.“ 

Wer wissen möchte, welche Art von Produkten NUKI entwickelt, der sollte den Namen des Start-ups einmal laut lesen – und wird schnell erkennen, dass die vier Buchstaben nach dem englischen „New Key“ klingen. „Wir machen Smart-Locks, als Teil von der smarten Vernetzung in den eigenen vier Wänden, wie man es beispielsweise von der Beleuchtung kennt“, erklärt Clemens. Das System von NUKI zielt darauf ab, die eigene Eingangstür schlüssellos aufsperren zu können, etwa über das Smartphone, mit Hilfe eines Codes oder einem Fingerabdrucksensor. 

„Ich habe die Entwicklung des Start-ups schon zu Studienzeiten verfolgt. Als ich angefangen habe, war das Unternehmen noch recht klein. Wenn so ein gutes Wachstum besteht, das auf relativ wenigen Schultern getragen wird, ist die Verantwortung für jeden Einzelnen höher - diese Challenge hat mich neugierig gemacht“, erzählt er. Seit mehr als drei Jahren ist Clemens nun für das Grazer Unternehmen tätig, das sich bereits international einen Namen gemacht hat: „Das ist keine Selbstverständlichkeit, nachdem Graz nicht gerade als der große Tech-Hub bekannt ist“, schmunzelt der 29-Jährige. 

Es ist einfach toll, wenn man seinen Beitrag leisten darf und den Ansprüchen, die man an sich selbst stellt, auch gerecht wird.

Clemens Greil

„Es klingt vielleicht klischeehaft, aber es motiviert, Teil dieser Erfolgsgeschichte zu sein“, er wolle nicht nur arbeiten, um seine Zeit abzusitzen und Geld zu verdienen: „Ich will meine Arbeit wirklich mögen und etwas erreichen“. Auch der positive Team-Spirit spiele dabei eine große Rolle: „Meine Arbeit fühlt sich nicht wie eine Pflicht an, mehr wie ein Privileg. Es ist einfach toll, wenn man gemeinsam etwas schafft, seinen Beitrag entsprechend leisten darf und den Ansprüchen, die man an sich selbst stellt, auch gerecht wird.“ 

Damit erfüllen sich für Clemens wohl alle Anforderungen, die seine Generation an das Arbeiten stellt, gleichzeitig füllt er seine Freizeit mit einem bunten Programm: Wenn er nicht gerade im NUKI-Büro oder im Home-Office am Schreibtisch sitzt, findet man ihn in der Boulderhalle oder auf dem Fußballplatz, erzählt er. Sein Fernweh stillt er „häppchenweise“, wie er es beschreibt, mit Kurztrips innerhalb Europas. Solche „Häppchen“ gibt es eine ganze Reihe, sogar so viele, dass er sie in einem Spreadsheet gesammelt hat: „In diesem Jahr geht es gleich dreimal nach Spanien, einmal nach Frankreich und in die Schweiz.“ Auch Budapest, London, Stockholm und Berlin stehen auf der Liste. Diese Auszeiten werden nicht nur seiner Reiselust gerecht, sondern sind auch oft mit seiner Leidenschaft fürs Klettern und Bouldern oder dem Besuchen von Konzerten und Festivals verbunden. 

Auch wenn Clemens´ Erzählungen so klingen, als hätten sich die Möglichkeiten mit einer Mischung aus Fleiß und Durchhaltevermögen sowie einem guten Timing ‚eben so ergeben‘, heißt das nicht, dass es immer einfach war: „Gerade in der Zeit nach dem Studium hat mir das langfristige Ziel gefehlt. Die ganze Kindheit und Jugend arbeitet man darauf hin, die Ausbildung erfolgreich abzuschließen und danach ein Studium zu absolvieren. Als dann alles erreicht war, hab’ ich für mich erkannt – auch verstärkt durch die Corona-Pandemie – dass mir ‚nur‘ eine Arbeit zu finden nicht reicht.“ Über einen Zufall ist Clemens auf das Projekt Sindbad gestoßen. Ziel des Projektes ist es, Jugendlichen, welche gerade ihre Pflichtschulzeit abgeschlossen haben und auf ihrem weiteren Weg Unterstützung und Orientierung brauchen, einen Mentor zur Seite zu stellen. Diese Rolle hat Clemens für seinen 16-jährigen Mentee Tobi übernommen. 

Die gemeinsamen Treffen haben schlussendlich nicht nur Tobi weitergeholfen, sondern auch Clemens hat dadurch seine eigene Sinnkrise überwunden: „Das hat ein großes Loch bei mir gefüllt, weil ich die Möglichkeit hatte, einen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten und jemandem helfen zu können. Es hat mir auch selbst gezeigt, was ich schon geschafft habe. Es war ein gutes Gefühl diese Erfahrungen und mein Wissen weitergeben zu können.“ 

Zweifle nicht an dir, gib weiter dein Bestes und streng dich an – dann wird alles funktionieren.

Clemens Greil

Was er in den letzten Jahren alles erlebt und gelernt hat, habe ihm auch der Blick zurück auf das Dolomitenstadt-Interview vor zehn Jahren vor Augen gehalten: „Was ich meinem damaligen Ich mit auf den Weg geben würde, wäre: ‚Zweifle nicht an dir, gib weiter dein Bestes und streng dich an – dann wird alles funktionieren.‘ Und das Zweite ist, dass man sich nicht so viele Gedanken darüber machen sollte, was andere sagen oder denken. Das ist wohl eines der Haupt-Learnings“, meint er lachend. 

Auch eine andere Sache habe er in den vergangenen Jahren gelernt: „Ich habe es geschafft, das langfristige Planen abzulegen, weil ich erkannt habe, dass niemand sagen kann, was in zwei oder drei Jahren ist. Gegenwärtig bin ich sehr zufrieden und würde gerne diesen Weg weitergehen. Früher oder später wird aber wohl ein Tapetenwechsel Thema sein. Wie international das sein wird, wird sich zeigen“, schmunzelt er. 

Anna Maria Huber unterrichtet an der International School in Innsbruck und schreibt nicht nur für dolomitenstadt.at sondern auch für die Straßenzeitung 20er. Annas Stärken sind penible Recherchen und die Fähigkeit, komplexe Inhalte in klare und verständliche Artikel zu verwandeln.

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