Sie war einfach da.
Bevor ich wusste, wie Berge heißen, oder dass Wasser eine Quelle hat.
Bevor ich mir Gedanken machte über Stromerzeugung, Renaturierung oder Natura 2000.
Die Isel war einfach da. Ein Rauschen im Hintergrund meiner Kindheit. Ein lebendiges Band durch unser Tal. Eine Verlässlichkeit.
Ich bin an ihrem Ufer groß geworden. Zuerst an der Hand meiner Eltern, später mit Freund:innen auf Steinen balancierend, lachend, mit nassen Schuhen und den Taschen voller glatt gewaschener Steine.
Wir haben unsere Sommer zwischen Büschen und Kiesbänken verbracht, haben Lager gebaut, Würstel gegrillt, heimlich Zigaretten ausprobiert.
Die Isel hat uns nicht verraten. Sie hat uns zugeschaut, wie man einer alten Freundin zuschaut, die weiß: Sie wird's schon lernen.


Dann kam eine andere Zeit. Ich trug mein erstes Kind ans Ufer, später auch das Zweite. Stillere Jahre vielleicht, aber nicht weniger intensiv.
Die Isel wurde zur Kulisse für die großen und kleinen Wunder der frühen Mutterschaft. Kinderfüße im Wasser, kichernd vor Kälte, die unverwechselbare Mischung aus Furcht und Mut, wenn das Wasser schneller war als erwartet. Ich habe ihnen die besten Stellen gezeigt, die, an denen man die schönsten Steine findet, und die, an denen die Sonne am längsten bleibt. Wir haben ihr Wasser getrunken und ihrem Tosen zugeschaut. Und sie haben gelernt, wie ich gelernt habe:
Dass ein Fluss mehr ist als Wasser. Er ist Bewegung, Wandel, Trost.
Und Schutz.
Denn ich habe ihr meine Kinder anvertraut – so oft, so selbstverständlich. Beim Planschen, beim Wandern, beim Paddeln. Weil ich weiß, dass sie einander respektieren, wertschätzen und beschützen. So wie ich die Isel beschütze, und sie mich.
Da ist etwas unausgesprochen Starkes zwischen uns. Etwas, das über Jahre gewachsen ist.
Ich habe mich ihr anvertraut, und sie hat das angenommen.


Heute stehe ich oft mit meinem Hund an ihrem Ufer. Sie kennt mich. Ich bilde mir das nicht ein.
Manchmal rauscht sie über die Steine wie eine gute Geschichte, manchmal liegt sie ruhig da, grün und schwer.
Es gibt Tage, da scheint sie mir zu sagen: „Mach langsam. Schau hin.“ An anderen Tagen trägt sie einfach alles mit sich fort, was zu viel ist. Sie ist mein Gespräch ohne Worte.
Und oft, wenn ich meinen Kindern beim Kajakfahren zusehe – stark, sicher, voller Vertrauen –, dann weiß ich: Auch sie kennen sie. Auf ihre Weise. Nicht als Landschaft, nicht als Ausflugsziel, sondern als etwas Tieferes. Die Isel war auch für sie immer da.
Ich kann die Diskussionen um Schutz, um Nutzung, um Wasserkraft nachvollziehen. Aber für mich wird sie nie nur ein Fluss sein. Sie ist eine Mitwisserin, eine Lehrmeisterin, eine alte Freundin. Sie hat mir beigebracht, dass man nichts festhalten kann, dass alles fließt – und dass darin auch Trost liegt.
Wenn ich heute höre, dass 2025 das „Jahr der Isel“ sein soll, dann lächle ich. Für mich war jedes Jahr ein Jahr der Isel. Und ich wünsche mir, dass wir endlich beginnen, sie nicht nur zu sehen, sondern zu verstehen. Als etwas, das lebt. Und das verdient, geliebt zu werden. Nicht nur, weil es schön oder selten ist – sondern weil es Teil von uns ist.
3 Postings
Sehr nette Erzählung, könntest ruhig weiter schreiben
z.B. Wie geht's dir damit das die Isel mit der Drau in Lienz heiratet und deren Namen annimmt?
Super ! :-).....elegante Einstellung zu unserer Natur.
Selten so etwas Nettes gelesen. Auch meine Kindheit verbrachte ich in der Nähe eines Flusses welcher schließlich nicht nur mein, sodern auch der Spielplatz anderer Kinder war. Schwimmbad hat es damals im Ort noch keines gegeben.
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