Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) wurde zuletzt mehrfach Zielscheibe von Anfeindungen der FPÖ. „Das lässt uns in den allermeisten Fällen aber kalt“, sagte der wissenschaftliche Leiter Andreas Kranebitter im APA-Interview. Eine „bewusste Strategie“ seien die über 200 parlamentarischen Anfragen, mit denen die Freiheitlichen unlängst die Ministerien fluteten. Von der Koalition fordert er mehr Tempo beim Aktionsplan gegen Rechtsextremismus.
Dieser ist im Regierungsprogramm verankert und liegt in der Zuständigkeit des Innenministeriums. Erst vergangene Woche hatte der Staatssekretär im BMI für Staatsschutz Jörg Leichtfried (SPÖ) gegenüber der APA betont, diesen „rasch“ umsetzen zu wollen. „Der Wille ist sowohl bei Innenminister Karner (Gerhard, ÖVP, Anm.) als auch beim Staatssekretär da, es ist nur ganz offensichtlich nicht Priorität“, kritisierte Kranebitter. „Ich höre nichts von einer Strategie, ich erlebe da zu wenig Initiativen“, so Kranebitter, für den das rund ein halbes Jahr nach der Regierungsbildung enttäuschend ist.

Bei dem Nationalen Aktionsplan gehe es nicht nur um Forschung und Berichte, wie etwa den vom DÖW herausgegebenen Rechtsextremismusbericht, sondern um Dinge wie ein Aussteigerprogramm wie etwa „Exit“ in Deutschland. „Das gibt es in Österreich ganz wenig. Es gibt tolle Initiativen von Neustart (Bewährungshilfe, Anm.), aber die werden nicht alles alleine tragen können.“ Auch brauche es mehr Opferschutz und dafür wie so oft: Mehr Geld.
Vier von fünf Parteien haben ein „offenes Ohr“
Man sei in Kontakt mit den erinnerungspolitischen Sprechern und Sprecherinnen von vier der fünf Parlamentsparteien. „Da gibt es viele Ideen und viele offene Ohren.“ Mit der fünften Partei - der FPÖ - sei man auch in Verbindung, „aber meistens vor Gericht“, so Kranebitter. Erst am Mittwoch hatte das DÖW erstinstanzlich eine Klage gegen den oberösterreichischen FP-Landesparteisekretär Michael Gruber gewonnen, der behauptet hatte, das DÖW habe mit wissenschaftlicher Arbeit nichts zu tun und das nun nicht mehr darf. „Der Rechtsextremismus schreit einem natürlich ins Gesicht, wenn man ihn beobachtet und beschreibt“.
„Der Rechtsextremismus schreit einem natürlich ins Gesicht, wenn man ihn beobachtet und beschreibt“.
In den allermeisten Fällen lassen den wissenschaftlichen Leiter des DÖW Attacken wie diese kalt, „aber es gibt natürlich klare Grenzen. Und diese Grenzen muss man immer wieder definieren, ziehen und auch ausstreiten. Der Vorwurf, das DÖW sei unwissenschaftlich, ist eine reine Diskreditierung“, so Kranebitter. Angriffe der FPÖ und FPÖ-naher Medien wie AUF1 auf das DÖW, aber auch etwa Klimaforscher oder andere Wissenschafter seien nichts Neues: „Wissenschaftsfeindlichkeit ist ein Kernmerkmal einer rechtsextremen Ideologie.“
Flut an parlamentarischen Anfragen „Goebbels-Strategie“
Problematisch beurteilt Kranebitter auch die über 200 parlamentarischen Anfragen, die die FPÖ im Frühjahr an zahlreiche Ministerien gerichtet hat, um damit die Pandemie und ihre Folgen „aufzuarbeiten“. „Das sind ganz bewusste Strategien, die rechtsextreme Parteien schon sehr lange fahren. ‚Flood the zone with shit‘, das ist eine Goebbels-Strategie und keine Trump-Erfindung“, so die harsche Kritik. Die FPÖ könne man nicht mit der NSDAP gleichsetzen, „aber die Trickkiste des Ausnützens von demokratischen Mitteln, um damit die Verwaltung stillzulegen, ist altbekannt“.
„‚Flood the zone with shit‘, das ist eine Goebbels-Strategie und keine Trump-Erfindung.“
Mit Nationalratspräsident Walter Rosenkranz, dem Tiroler Parteichef Markus Abwerzger oder eben Gruber gebe es zahlreiche hohe Funktionäre der FPÖ, „die rechtsextreme Einstellungen nicht mehr verbergen, sondern stolz vor sich hertragen“. Bei Rosenkranz zeige sich das durch eine Liste an Männern, die er als Leistungsträger bezeichnete - „viele davon vehemente Nazis“, so Kranebitter - aber auch „Kleinigkeiten“ wie, dass er einem FPÖ-Abgeordneten für einen „Umvolkungs“-Sager keinen Ordnungsruf erteilte.
Rechtsextreme Codes wie dieser oder auch der Ruf nach „Remigration“ kämen immer wieder vor, und das ganz bewusst, so Kranebitter. „Oder wenn Kickl dann auf der CPAC-Konferenz in Budapest von ‚fight and knock the globalists out‘ redet, ist vollkommen klar, was er meint. Globalisten ist ein Code für Jüdinnen und Juden. Das ist ein antisemitischer Kampfbegriff.“
Weiterhin enge Verbindung zu den Identitären
Am heutigen Samstag ziehen in Wien wieder die rechtsextremen Identitären durch die Innenstadt. Die jährlich stattfindende Demo sei „der Tummelplatz des österreichischen Rechtsextremismus, auch mit Verbindungen ins Ausland“, ist Kranebitter überzeugt. Die Gefahr, die von den Identitären ausgehe, ergebe sich aber nicht aufgrund der Größe. „Sie sind ein richtiger Stichwortgeber, Ideengeber und Einflussgeber, genau wie die Burschenschaften, für den parlamentarischen Arm des Rechtsextremismus, die FPÖ.“ Erst unlängst wurde bekannt, dass ein enger Vertrauter von Martin Sellner mittlerweile im blauen Parlamentsklub arbeitet.
„Obwohl die Strache-FPÖ sehr rechts war, war da eine Abgrenzung zu den Identitären zu spüren. Und auch Personen wie Norbert Hofer haben diese Abgrenzung schon auch durchgeführt“, betont Kranebitter. Davon sei mittlerweile aber nichts mehr zu sehen.
Regierung fehlt bei neuer Antisemitismusstrategie Gesamtzusammenhang
Weiterentwickelt werden soll in dieser Legislaturperiode auch die nationale Strategie gegen Antisemitismus. Einerseits seien dafür aber zu wenig finanzielle Mittel freigemacht, andererseits fehle ein konkreter Plan, kritisiert Kranebitter. „Die Dinge werden manchmal unausgegoren verlautbart, siehe Holocaust-Museum. Man braucht nicht ein Jahr lang eine Fact-Finding-Mission machen, wo es Museen gibt, weil die kennen wir schon.“ Es sei ein wenig so als ob Österreich „immer weiterhüpfe“, aber „mir fehlt da der Gesamtzusammenhang als Strategie für eine erinnerungspolitische Landschaft“.
Eine Gefahr sei es, zu glauben, man könne Antisemitismus „abschieben“ und etwa nur muslimische Jugendliche verantwortlich machen. „Wenn man in Österreich nur vom migrantischen, importierten Antisemitismus redet, dann ist das unehrlich“. Diesen gebe es von links, „im katholischen Gewand“ aber am häufigsten eben von rechts.
Israelkritik nicht automatisch Antisemitismus
„Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus gehen Hand in Hand“. Gestiegen seien antisemitische Handlungen - genauso wie antimuslimische - seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023. „Es ist wichtig, Antisemitismus klar erkennen und benennen zu können. Israel das Existenzrecht abzusprechen, das Hamas-Massaker zu verteidigen oder die IDF (Israel Defense Forces, Militär, Anm.) mit der Wehrmacht gleichzusetzen, ist antisemitisch.“
„Wenn man sagt, dass das israelische Militär Kriegsverbrechen begeht, muss das keineswegs antisemitisch sein“.
Aber: „Nicht alles, was Israel kritisiert, ist antisemitisch“. Sehr wohl aber, wenn man Juden und Jüdinnen hierzulande die Schuld am Vorgehen Israels gebe. „Im Gaza-Streifen gibt es eine humanitäre Katastrophe und man muss ganz klar sehen, dass in der Knesset (israelisches Parlament, Anm.) rechte Parteien sitzen, die sagen, der palästinensische Staat soll nicht existieren.“ Die Kriegsführung Israels zu kritisieren - wie unlängst Außenministerin Beate Meinl-Reisinger in einem Brief mit zahlreichen weiteren Außenministern - ist nicht antisemitisch, betont Kranebitter.
„Wenn man sagt, dass das israelische Militär Kriegsverbrechen begeht, muss das keineswegs antisemitisch sein“. Für schwierig halte er wiederum den Vorwurf eines Genozids. „Der Begriff ist für den Nationalsozialismus entwickelt worden, und dann auch im Völkerrecht etabliert worden. Danach finden sich in der Geschichte nur wenige Beispiele, etwa Ruanda“. Aber: „Ein Genozid hat keine Stopptaste, da gibt es keine Waffenstillstände dazwischen und auch keine Friedensverhandlungen.“
Rechtsextremismusbericht 2024 soll Ende des Jahres präsentiert werden
Das DÖW wurde 2023 vom Innenministerium mit der Erstellung eines Rechtsextremismusberichts betraut. Dieser wurde Anfang des Jahres für 2020-2023 veröffentlicht, noch dieses Jahr soll der Bericht für 2024 folgen. Darüber hinaus soll im Jänner erstmals seit den 1990ern ein Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus herausgegeben werden. „Der Rechtsextremismus ist ganz klar die offensichtlichste und die am weitesten verbreitete Form des Extremismus. Es gibt viel mehr Straftaten als im linksextremistischen oder islamistischen Bereich“, so Kranebitter.
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