Kriegerdenkmäler sind in Österreich aus der Mode gekommen. Und in die Jahre. Hundert wird das Lienzer Bezirkskriegerdenkmal heuer genau. Kein Alter, werden Sie sagen, und doch schon ein Fall für das Denkmalamt? „Die Jahre sind an dem Denkmal leider nicht spurlos vorübergegangen. Die Mauern ebenso wie die Pfeiler zeigen nur allzudeutliche Spuren von Mauerfraß, der Mörtel bröckelt hin und hin ab, unter der sich loslösenden Tünche erscheinen die Kritzeleien, welche die alten Arkaden verunzierten. Es muss wohl von der Nordseite her andauernd Feuchtigkeit hereinsickern, sodass die Mauern nie recht trocknen können.“
Den Befund kann man bequem im Archiv der Osttiroler Heimatblätter vom 8. Juli 1988 nachlesen, in denen Hans Waschgler sich ausgiebig selber zitiert, und es ist nachgerade gespenstisch, wie aktuell sich der Aufruf schon wieder – oder immer noch – anhört, den er als damaliger Kulturreferent der Stadt Lienz bereits 1950, zum bevorstehenden 25jährigen Jubiläum des Bauwerks, an die Gemeindevorsteher Osttirols sandte: „Der Bau ist so schadhaft, dass man bald zu einem Entschluss kommen wird müssen.“
Seit man die Schneeschmelze mit Salz zu beschleunigen weiß, ist es laut Bundesdenkmalamt noch viel schlimmer geworden. Im Vergleich zu den historischen Parallelen sind die Abweichungen zur Gegenwart marginal: „Die Kosten, werden viele sagen. Gewiss, die Kosten würden nicht gering sein, wollte man die ganze Arbeit einfach einer Baufirma übertragen. Soll es geschehen, muss es anders gehen!“ Die Osttiroler Gemeinden machten sich vor zwei Monaten darauf ihren eigenen Reim und beauftragten einen Malerbetrieb, der die Braut bis zum 8. September für die Segnung durch Diözesanbischof Hermann Glettler herausputzen sollte.


Was Malermeister Josef Kollreider aber „unter der sich loslösenden Tünche“ im doppelten Sinne ent-deckte, waren nicht „Kritzeleien“, sondern eine Bemalung, welche der 1829 bis 1831 errichteten Einfassung im Westen und Norden des Friedhofs um St. Andrä einst durchgehend ihren architektonischen Stempel aufdrückte. Um Quadersteine sauber zu Mauern zu fügen, müssen ihre Stirnseiten nicht glatt sein. Das ist ökonomisch, im Sinne von landwirtschaftlich und rustikal.
Fassaden dieser Art nennt man „Rustika“. In der Renaissance, im Barock und im Klassizismus hat man die Rustika mitunter kunstvoll behauen, um die Behausung besser gestellter Bewohner zu adeln. Man kann aber auch gewöhnliche Bruchsteine verwenden, das Ganze verputzen und die edle Symbolik mit Pinsel und Farbe vortäuschen.

„Resurrecturis – denen, die auferstehen werden“ war die Anlage per Inschrift über dem Eingang gewidmet. Damit waren noch nicht die „Helden der Heimat“ gemeint, wie man ab 1925 beim Umblättern der Chronik, also an der Rückseite des Westportals zu lesen bekam, sondern die etlichen zehntausend Toten von Lienz, die man im Laufe der Jahrhunderte im Kirchhof unter die Erde gebracht hatte. Die Arkaden aber waren der heimischen Prominenz vorbehalten.
Das alles konnte der 1928, drei Jahre nach der Errichtung des Bezirkskriegerdenkmals aus Südtirol zugewanderte Waschgler nicht wissen, hatten doch auch Fotografien des früheren Zustandes für die ziegelfarbene Rustizierung, für die Spruch- und Namensbänder, so er sie überhaupt kannte, nur schwarze und weiße Äquivalente zu bieten.
Und offenbar hatten die einheimischen Zeit- und Bundesgenossen der Farbe an den Arkaden eines voraus: Sie hielten dicht! Wahrscheinlich auch im Bezug auf das Verbot, in der Kriegergedächtniskapelle weder Messen noch kirchliche Funktionen zu feiern, solange der vom Heiligen Stuhl inkriminierte „Auferstandene“ von Egger-Lienz dort angebracht war.
Hätte man nämlich die Antwort des Apostolischen Administrators und späteren Diözesanbischofs Paul Rusch auf Waschglers Bitte, die Aufhebung des zeitweilig zum Bannfluch hochstilisierten Interdikts zu erwirken, allgemein kundgetan, die Rezeption Eggers wäre um eine heute bereits international kolportierte Provinzposse ärmer und die Verantwortlichen um eine Ausrede für ihre Nachlässigkeit gebracht geworden. Das „Interdikt“ sei, weil nie in der kirchenrechtlich vorgesehenen Weise veröffentlicht, zu keiner Zeit gültig gewesen! Auch wenn das 1977 datierte Gutachten eines renommierten Kirchenrechtlers dem widersprach, es bleibt doch die Frage, warum die Gläubigen ihrem Bischof nicht glaubten.

Wie geht es jetzt weiter? Nach Auskunft der Tiroler Landeskonservatorin Gabriele Neumann werden die Renovierungsarbeiten bis zum vereinbarten Zeitpunkt, mit Ausnahme der elf im Osten an die Kapelle anschließenden Arkaden, zügig zum Abschluss gebracht. Ein, zwei Restaurierungsfenster, die einen Eindruck vom Zustand vor der Umgestaltung zum Kriegerdenkmal vermitteln, will man stehen lassen. Genügend Substanz ist jedenfalls da.
Und der etwas halbherzige Versuch der Kirche, das Denkmal mit über 3000 Namen Gefallener und Vermisster beider Weltkriege dem Frieden zu widmen, wird vorerst in einer Inschrift über dem Westausgang enden.
Ein Posting
Selbst wenn die Grundsanierung der Kapelle 400.000 Euro kosten sollte, deren Inhalt ist noch das 10-fache wert. Ohne diesen Aufwand kann man dann für die 200-Jahr-Feier rasch auch das Innere der Kapelle farblich den Arkaden angleichen.
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