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Kals sucht seine Identität. Schultz hat sie gefunden.

Ein Kommentar zum Bergsteigerdorf von Gerhard Pirkner.

Die Diskussion über die Bergsteigerdorf-Qualitäten von Kals ist zwar pikant, aber nur der oberflächliche Ausdruck einer tieferen Problematik. Wenn in einer beschaulichen 1000-Seelen-Gemeinde mit einem mittelgroßen 4-Sterne-Hotel plötzlich eine Skischaukel samt 540-Betten-Ressort aus dem Boden schießt, dann verändert das für immer das Leben im Dorf. Es hätte schlimmer kommen können, war mein erster Gedanke, als ich die holzverkleideten Schultz-Chalets zum ersten Mal sah. Dieses "Dorf im Dorf" ist zumindest architektonisch kein Totalschaden. Es ist eben Teil eines konsequent durchgezogenen touristischen Großprojekts, mit dem Heinz Schultz, der derzeit aggressivste Tourismusunternehmer Österreichs, sein Reich ausbaut. Schultz kleckert nicht. Ein Imperium wie seines muss klotzen, sonst funktioniert es nicht. Skigebiet auf Skigebiet,  Lift auf Lift, Hotel auf Hotel müssen "entwickelt" werden um eine touristische Maschinerie in Fahrt zu bringen und in Gang zu halten, die viele, viele Millionen Euro kostet. In Kals haben Schultz und sein politischer Steigbügelhalter Andreas Köll, Bürgermeister von Matrei, einen  touristischen Megacoup gelandet. Schnell, konsequent und hoch subventioniert haben sie das Ruder in der Glocknergemeinde übernommen. Seit Jahren diskutieren die Kalser in – rückblickend fast rührend anmutenden – Arbeits- und Selbstfindungsgruppen über neue Wege im Tourismus und der Dorfentwicklung. Sie haben ihre Identität nicht selbst gefunden, sondern einem Zillertaler Tourismusindustriellen die künftige Prägung des Dorfes überlassen – und sind damit über Nacht in einer anderen Welt gelandet. Ob es eine bessere Welt ist als die, in der sie bisher lebten, wird die Zukunft zeigen. Nur eines ist sicher: es gibt keinen Weg zurück.
Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

6 Postings

Peter Haimayer
vor 12 Jahren

Zur Frage von Kals am Großglockner als Bergsteigerdorf im Sinne des Österreichischen Alpenvereins möchte ich mich hier nicht weiter äußern. Das habe ich an anderer Stelle mehrfach getan und ich kann nur jene unterstützen, die bezüglich des Verhaltens und der Argumentation der Damen und Herren im ÖAV den Kopf schütteln.

Mir geht es jetzt um die Aussage von Gerhard Pirkner zum Gemeindeentwicklungsprozess in Kals am Großglockner, zu dem er in seinem Beitrag „Kals sucht seine Identität. Schultz hat sie gefunden.“ folgende Aussage trifft: „Seit Jahren diskutieren die Kalser in – rückblickend fast rührend anmutenden – Arbeits- und Selbsthilfegruppen über neue Wege im Tourismus und in der Dorfentwicklung. Sie haben ihre Identität nicht selbst gefunden, sondern einem Zillertaler Tourismusindustriellen die künftige Prägung ihres Dorfes überlassen …“

Diese Bewertung des Entwicklungsprozesses in Kals beruht entweder auf einer unzureichenden journalistischen Recherche oder sie entspricht journalistischer Effekthascherei. Wie auch immer, diese Aussage von Herrn Pirkner stellt eine krasse Beleidigung der Kalser Bevölkerung dar und insbesondere jener sechzig Frauen und Männer aller Altersschichten, die sich intensiv um die Zukunftsgestaltung von Kals am Großglockner bemühen - und das sehr erfolgreich!

Das, was die Kalserinnen und Kalser in diesem Entwicklungsprozess leisten mag innerhalb von Osttirol – aus welchen Gründen auch immer – wenig Wertschätzung finden. Außerhalb der Grenzen des Bezirks werden die Leistungen der Kalser Bevölkerung anerkannt und gewürdigt, beispielsweise auf der Landesebene und bis hinauf zu bundesweiten Institutionen. Ein kleiner Einblick in die Arbeiten ist auf der österreichweiten Plattform Journal Nachhaltigkeit oder im Kommunalnet zu finden, wo das Projekt Kals unlängst als Prozess des Monats präsentiert wurde (Link: https://www.kommunalnet.at/default.aspx?menuonr=0&detailonr=70059).

 
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peter raneburger
vor 12 Jahren

Kals am Großglockner – ein Dorf emanzipiert sich. Dieser Entwicklungs-Prozess gründet auf der Bewusstseinswerdung eigenständiger Werte, Stärken und (Natur-) Schönheiten, hat die Befreiung aus den Fängen anachronistisch anmutender Vereinssstatuten (ÖAV) und ein maßvolles Überschreiten ökonomiebremsender Parteigrundsätze (Die Grünen Tirol) zur Folge. Die beiden erwähnten Institutionen täten gut daran, ihre teils unzeitgemäßen Strukturen zu überdenken, einen personalen Generationsschnitt zu vollziehen und ihre Ziele neu zu definieren, um nicht als Relikte vergangener Zeiten im Heute zu enden.

 
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beobachter52
vor 12 Jahren

Witzverein Alpenverein! Kals hatte zwei Möglichkeiten: Den Strohhalm Anschluss an das Schiresort Matrei oder weiterhin den "sanften Tourismus", den sie ja bisher leider erfolglos (siehe sinkende Bevölkerungszahl, Wegfall von Arbeitsplätzen, dramatischer Geburtenrückgang ...) gegangen sind. Ob eine Hotellanlage in der Größe notwendig ist, mögen andere bzw. wird die Zukunft beurteilen. Dass diese Entwicklung Gefahren für das dörfliche Leben mit sich bringt, ist auch klar! Aber, wo gibt es nur Vorteile? Außerdem geben sogar schärfste Kritiker zu, dass das "Großhotel" architektonisch gut gelungen, gut "versteckt" ist. Eine wirklich komische Rolle spielt in dieser Angelgenheit allerdings der Österreichische Alpenverein! Es geht den Herrschaften anscheinend nicht schnell genug! Bevor es noch Gespräche mit den vor Ort Verantwortlichen gibt, wird eine Meldung nach der anderen an die Presse geschickt, dass Kals aus der Reihe der Bergsteigerdörfer ausgeschlossen wird. Dabei hat Kals einen relativ kleinen Gemeindeteil im Südwesten als Schigebiet ausgewiesen, der weite Bogen vom Kalser Tauerntal bis zum Hochschober bleibt unberührt wie eh und je! Schaut man sich die "Bergsteigerdörfer" des Alpenvereins an, kann man sich nur wundern: Ginzling im Nahbereich von Mayrhofen und Hochfügen, Vent in der Gemeinde Sölden - "Bergsteigerdörfer", über die es keine Diskussion gibt ... Da kann man den Kalsern nur einen Vorwurf machen: Wahrscheinlich haben sie die Herren des Alpenvereins (Haslacher und Kollegen) nicht so oft zu Gratisurlauben eingeladen wie die Ötztaler oder die Zillertaler .....

 
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wisdom of crowds
vor 12 Jahren

Benötigt Kals wirklich jeden Strohhalm, an den es sich klammern kann? Als Auslandsosttiroler, der immer wieder gerne nach Kals kommt, blutet mir das Herz. So geht das Einzigartige und Unverwechselbare leider verloren. Und das mit dem Bergsteigerdorf war's dann wohl (siehe www.alpenverein.at/Naturschutz/Gesamtbroschuere_Bergsteigerdoerfer_s.pdf)

 
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steiner345
vor 12 Jahren

Ich möchte wissen, welche Vorschläge Herr Pirkner und morrison192 machen, um die wirtschaftliche Situation zu verbessern. Das Feriendorf und die Schischaukel sind ein Strohhalm, an die man sich zu klammern versucht. Ich denke, manche sind eifersüchtig, dass so was in Kals (auch wenn von einem Zillertaler) gebaut wird. Ob nun Bergsteigerdorf oder nicht, das spielt eigentlich keine Rolle. Kals ist einer der wichtigsten Orte, wo die Glocknerbesteigung beginnt.

 
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morrison192
vor 12 Jahren

Auf den Punkt gebracht. Ein großartiger Kommentar von Gerhard Pirkner zu der fragwürdigen neuen touristischen Infrastruktur in Kals. Bleibt an dem Thema dran!

 
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