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Weihnachtstext: „Die Vorstandsitzung“

Von Judith Klammsteiner.

Das schwere hölzerne Portal zum Versammlungssaal der Weihnachtlichen Vorstandskommission öffnete sich mit einem lauten Knarren. Herein kam, mit angekokeltem Anzug und zerfranstem Bart, der Weihnachtsmann. Von seiner Bommelmütze stieg eine tanzende Rauchschwade auf, die hinter ihm Muster zog während er sich hinkend und stöhnend zur langen hölzernen Tafel begab, wo bereits einige der Vorstandsmitglieder vertreten waren. 

„Eins sag ich euch – das mach ich nie wieder!“, rief er als Gruß in die Runde. Klagend und schimpfend stimmten ihm die anderen zu. „Es ist unverantwortlich!“, rief der Nikolaus. „Alten Männer wie uns jedes Jahr diese Arbeit aufzuzwängen!“, dabei wies er auf seinen Gehilfen, den schwarzen Peter, der sich krumm und schief auf einen Stock stützen musste und vor lauter Rückenschmerzen nur gedämpftes Wimmern hervorbrachte. „Jawohl, es ist eine Frechheit!“, meinte auch Väterchen Frost und sah seine Tochter, das Schneemädchen vorwurfsvoll an. „Was willst du von mir? Soll ich ganz Russland alleine abdecken?!“, wehrte sie ab. Ihr Arm lag eingegipst auf dem Tisch und ihr rechtes Auge war durch eine Augenklappe verdeckt. Die Schwedische Lucia, die ihr gegenüber saß, nahm ihren halb verbrannten Kranz vom Kopf und warf ihn achtlos in die Mitte der Tafel. Die vier Kerzen darauf waren komplett abgebrannt und auch ihr ehemals weißes Kleid hatte Brandflecken und Rußspuren. „Lasst uns Frauen in Ruhe! So eine Arbeit ist etwas für starke, vitale Männer und nichts für zierliche kleine Mädchen!“, rief sie empört. In diesem Moment öffnete sich erneut das riesige Portal und herein kam das Christkind, auf Krücken gestützt und mit zerfledderten Flügeln. „So, das wars! Das mach ich nie wieder!“, stieß es schwer atmend hervor. „Das war ganz eindeutig das schlimmste Jahr von allen!“ Raunend stimmten ihm die Anwesenden zu. „Du hast ja wenigstens nur Mitteleuropa!“, riefen die Heiligen Drei Könige im Chor. „Wie müssen jedes Jahr von Bethlehem einreisen! Und so ein Visum zu beschaffen wird immer komplizierter! Verdammte Bürokratie!“ „Ihr habt wenigstens alle gemütliche und beheizte Fahrzeuge! Ich fall jedes Mal fast von diesem blöden Besen!“, warf die Italienische Befana ein. „Ach ja?!“, empörte sich der Weihnachtsmann. „Fragt mich mal! Ich muss jedes Jahr um die ganze Welt fliegen! Und mich durch jeden einzelnen Kamin zwängen! Ich hab eindeutig den lausigsten Job von allen!“ „Vielleischt würde es `elfen, wenn du nischt so fett wärst!“, rief Père Noel. „Waas?!? Das ist doch…es ist meine Pflicht, in jedem Haushalt Kekse zu essen und Milch zu trinken! Was bei meiner Laktoseintolleranz ohnehin schwer genug ist! Da muss ich mich doch nicht auch noch von so einem...dahergelaufenen Pudel beleidigen lassen!“ „Sacre blue! Du nennst misch eine dümme Püdel! Das lass isch mir nischt gefallen, du…du…Isch vordere disch süm Düell!“ „Ja, ja, mach doch! Ich mach dich platt, du…“ Bevor es zu Handgreiflichkeiten kam, galoppierte Joulupukki, der Finnische Weihnachtsbock, dazwischen und blökte: „Lasst gut sein, Leute! Wir sind alle mit den Nerven am Ende, da müssen wir uns nicht auch noch prügeln!“ „Das Schaf hat Recht“, stimmte Nisse, der norwegische Weihnachtskobold, zu. Die beiden Streithähne warfen sich noch ein paar verächtliche Blicke zu, bevor sie sich widerwillig setzten. „Jedenfalls lässt sich sagen, dass diese Kinder immer dreister werden!“, rief der alte Nikolaus. „Was die alles wollen! Unvorstellbar!!“ „Und immer ungezogener! Früher mussten die Kinder noch im Zimmer warten, wenn ich kam! Sechs Mal bin ich überrascht worden dieses Jahr! Lausebengel!“, stimmte das Christkind zu. Erneut war lautes Schimpfen und Klagen am Tisch zu hören. „Verzogene Gören!“, warf Lucia ein, „Verwöhnte Fratzen!“, das Schneemädchen, „Faule Meute!“, so Nisse. Die anderen bekräftigten sie mit verärgerten Gesten und Kopfschütteln. Keiner bemerkte, dass sich das Portal erneut geöffnet hatte und der alte, ehrwürdige Vater Weihnacht langsam in den Raum kam. „Na na na, meine Herren! Meine Damen! Was gibt es denn zu klagen und zu raunzen?“, dröhnte seine respekteinflößende Stimme durch den Raum und brachte augenblicklich alle zum Schweigen. „Ich nehme an, Sie beklagen sich erneut, wie jedes Jahr, über Ihre heilige Pflicht, Ihre Aufgabe, wie? Na los, wer hat etwas dazu zu sagen?“ Mit einem Mal brach es aus allen heraus – der Weihnachtsmann und Père Noel entfachten erneut ihren Streit, das Schneemädchen und die Heilige Lucia hielten Vorträge über Emanzipation, Schmutz-, Erschwernis- und Feiertagszulagen, Joulupukki brachte in seinem Ärger nur Blöken heraus und die Befana brach in Tränen aus. „Also bitte, bitte, bitte, beruhigt euch doch!“, dröhnte Vater Weihnacht. „Wir werden ja über alles reden. Zunächst aber mal zur Anwesenheit, es sind ja noch gar nicht alle da!“ In diesem Moment öffnete sich wieder das Portal und einer der 13 isländischen Weihnachtszwerge kam sichtbar lädiert herein. „Mein Freund!“, begrüßte ihn der Vater. „Wo sind deine 12 Kumpane?“ Von einem verzweifelten Schluchzen geschüttelt, brachte der Versehrte gerade noch heraus: „Sie…sie… haben es nicht geschafft“, bevor er in sich zusammen sackte und von einigen Weihnachtselfen abtransportiert wurde, was den übrigen anwesenden erneut Grund zu lauter Empörung gab. „Ruhe! Ruhe sage ich! RUHE!!“ Vater Weihnacht verlor zusehends die Geduld. „So. Und jetzt hört ihr mir mal zu! Wir sind uns über die verschiedenen Probleme durchaus im Klaren und werden versuchen, wie jedes Jahr, Verbesserungen vorzunehmen und euch die Arbeit ein wenig zu erleichtern. Dafür bitte ich nun, meinen alten und treuen Freund und Geschäftspartner Fridolin hervorzutreten.“ Hinter der beeindruckenden Gestalt des alten Mannes trat ein kleiner, faltiger Elf mit grauem Bart und Rolator hervor. Er hievte sich mit Hilfe des alten Vaters auf einen erhöhten Stuhl und setzte die Lesebrille, die ihm mit einem Band befestigt vor dem Bauch baumelte auf die große Nase. „Einen guten Abend wünsche ich Ihnen.“, grüßte der Elf mit langsamer, nasaler Stimme. „Ich habe die Berichte und Beschwerden, die sie alle verfasst haben, durchgelesen und aufgearbeitet und werde Ihnen nun die wichtigsten Ergebnisse vorstellen. Zunächst einmal: Solange sich kein Nachfolger findet, kann bedauerlicher Weise niemand von Ihnen in Pension gehen. Die Stellenanzeige sind am gesamten Nordpol ausgehängt und das dortige AMS bemüht sich jedes Jahr um Lehrlinge. Soviel dazu.“ Die Zuhörer warfen sich genervte Blicke zu, einige fluchten wild. Der alte Elf räusperte sich. „Ich darf doch um Ruhe bitten! Zu den Produktionszahlen ist zu sagen, dass Teddybären immer noch am besten gehen, wir hatten dieses Jahr wieder eine beeindruckende Menge. Auch Videospiele und Barbiepuppen sind konstant beliebt, allerdings sind Bücher und Musikinstrumente dieses Jahr verhältnismäßig weit gesunken, was tragisch ist. Hingegen stehen wir, was iPhones, iPads und dergleichen betrifft, vor einem gewaltigen Problem. Seit das iPhone 5 herauskam kommen wir mit dem Produzieren fast nicht mehr hinterher. Das Fazit lautet also: nächstes Jahr werden keine Mobilfunktelefone mehr geschenkt und mehr Wert auf bildende Gegenstände gelegt. Auch kamen wir zu dem Schluss, dass Kühlschränke und Ponys von der Produktionsliste gestrichen werden. Die Reparaturkosten der Schlitten und Jutesäcke sind unverhältnismäßig groß und die Ponys fressen immer die anderen Geschenke an. Außerdem machen die Tiere immer so viel Mist, weshalb wir Haustiere allgemein von der Schenkung zurückziehen.“ „Na wenigstens etwas!“, rief Väterchen Frost. „Auch haben wir beschlossen, dass wir das Strafen durch Kohlen statt Süßigkeiten im Strumpf wieder konsequenter durchziehen, damit diese Saufratzen ein bisschen dankbarer werden!“ Zustimmende Laute und begeisterte Ausrufe von den Zuhörern. Er reichte dem Nikolaus, der zu seiner Rechten saß, einen Stapel Zettel und beauftragte ihn damit, diesen auszuteilen. „Ich habe für Sie die Bilanz und Guv-Rechnung, sowie die finanz- und wirtschaftsrelevanten Kennzahlen zusammengefasst. Wenn Sie sich die doch bitte später in Ruhe zu Gemüte führen würden. Das wäre es dann von meiner Seite. Abschließend möchte ich Ihnen einen erholsamen Urlaub wünschen und freue mich bereits auf eine gute Zusammenarbeit im nächsten Jahr.“ Der alte Elf nahm die Brille wieder ab und ließ sich ächzend vom Stuhl helfen. Auch die anderen Anwesenden begannen, sich stöhnend in aufrechte Positionen zu begeben, stützen sich an Tisch und Krücken ab während sie ihrem Wehklagen freien Lauf ließen. Vater Weihnacht ergriff erneut das Wort: „Bevor ich Sie in den Rehabilitationsurlaub entlasse, möchte ich noch auf das Buffet im ersten Stock hinweisen. Und Ihnen natürlich allen zu Ihrer gute Arbeit gratulieren! Ich schlage vor, ich gebe Ihnen allen einen aus!“ Schon deutlich besser gelaunt begaben sich die Vorstandsmitglieder humpelnd und hinkend, schwatzend und lachend zum Ausgang. Das schwere Holzportal schloss sich wieder und blieb verschlossen für ein langes Jahr. ------------------ Dieser Beitrag wurde eingereicht zum Weihnachtstexte-Wettbewerb der Stadtbücherei Lienz. Hier finden Sie alle Weihnachtstexte auf einen Klick.

2 Postings

Gorilla im Nebel
vor 10 Jahren

Ein wunderbar weihnachtlicher und sehr lustiger Text! Es ist mein Favorit, weil für mich Weihnachten ein fröhliches Fest ist! Das größte Geschenk ist das Lachen und dieser Text hat mir genau das geschenkt.

 
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Gertrude
vor 10 Jahren

Habe mich sehr gefreut, das Weihnachtspersonal einmal von einer anderen Seite kennenzulernen.

 
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