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Im Labyrinth der bolivianischen Behörden

Es gibt einfachere Dinge, als in Bolivien um ein Jahresvisum anzusuchen.

Ich sorge vor. Gewissenhaft habe ich mir schon vor meiner Ankunft in Bolivien ein Visum für einen einmonatigen Aufenthalt im Land besorgt. Ich könnte zwar ohne Visum einreisen und bei der Ankunft ein Touristenvisum ausgestellt bekommen, aber offiziell ist eine Verlängerung des Touristenvisums auf ein Jahresvisum nicht erlaubt. Also habe ich vorsorglich bei der bolivianischen Botschaft in Stockholm um ein „Visa de Objeto Determinado“ angesucht. Daher bin ich auch nicht aufgeregt, als ich endlich in Cochabamba ankomme und die Passkontrolle passieren muss. In einer langen Schlange stehen alle Ausländer an und warten darauf, dass ein Beamter erscheint. Endlich ist es soweit, ein Schalter wird zur Abfertigung der „Gringos“ geöffnet. Nach einer halben Stunde bin ich an der Reihe und der Beamte weiß nicht so recht, was er mit meinen Reisedokumenten anfangen soll. Woher ich denn sei? „Austria“, sage ich. „Australia?“ „Austria!“ Dann findet der überforderte Beamte mein Visum. „Das ist doch abgelaufen!“, meint er. Das Visum wurde im Mai ausgestellt, und jetzt, ein Monat später, befinde ich mich am Flughafen in Cochabamba. Erwartet der Beamte, dass ich am Tag der Ausstellung meines Visums verreise? Ich erkläre ihm, dass wiederum mir erklärt worden ist, dass das Visum ab dem Datum meiner Einreise in Bolivien gültig sei. Da müsse er mit einem Kollegen Rücksprache halten. Na gut. Als der Beamte schlurfend an den Schalter zurückkehrt, meint er, ich habe Recht. „Der Nächste bitte!“ Da bin ich wohl nur knapp einer Schmiergeldforderung entgangen.
In der MIgrationsbehörde werden aus Minten rasch Stunden und jeder Beamte scheint eine andere Information zu geben. Fotos: Sarah Kollnig
In der Migrationsbehörde werden aus Minuten rasch Stunden und jeder Beamte scheint eine andere Information zu geben. Fotos: Sarah Kollnig
Tag eins meines Aufenthalts in Cochabamba: Wir begeben uns zur Migrationsbehörde, um das Verfahren für ein Jahresvisum rechtzeitig zu beginnen. Innerhalb der Laufzeit meines Monatsvisums müssen alle Formalitäten erledigt sein, ansonsten steht eine Strafzahlung an. In der Migrationsbehörde weiß der Beamte am Informationsschalter nicht, welche Art des Visums für mich zutreffend ist und schickt mich ein Stockwerk höher. Dort meint der Chef der Migrationsbehörde: „Sie können ja heiraten und um ein Familienvisum ansuchen.“ Klingt verlockend, aber gibt es denn kein Visum für Forscher? Gibt es nicht. Also entscheiden wir, über eine Organisation, in der ich neben meiner Doktorarbeit mithelfe, um ein Freiwilligenvisum anzusuchen. Das Büro der Organisation befindet sich in einem Dorf außerhalb von Cochabamba, und als wir den Direktor endlich antreffen, ist es Tag zehn meines Monatsvisums. Ich benötige für mein Jahresvisum außerdem einen internationalen Strafregisterauszug. Vorsorglich habe ich mir schon in meiner Heimatgemeinde einen solchen Auszug besorgt – doch der ist in Bolivien nicht gültig. „Sie müssen bei der Interpol um einen Strafregisterauszug ansuchen“, sagt man mir in der Migrationsbehörde. Ich begebe mich zum Büro der Interpol, wo mich ein Zettel am Eingang begrüßt. Auf diesem Zettel befindet sich eine Liste von Dokumenten, die Ausländer für einen internationalen Strafregisterauszug benötigen: Ein Mietvertrag mit notariell beglaubigten Unterschriften, ein Strafregisterauszug der Drogenpolizei, ein Arbeitsvertrag, ein Foto im Profil und ein Foto von vorne. Und dann wird noch darauf hingewiesen, dass die Ausstellung des Strafregisterauszugs zumindest 20 Arbeitstage dauert. Es müsse nämlich ein Fax an das jeweilige Herkunftsland geschickt werden, und das dauere eben. Die Interpol versteht nicht, dass ich im Haus der Familie meines Freundes wohne und deswegen keinen Mietvertrag aufweisen kann. Sie versteht auch nicht, dass ich zwar einen schwedischen, aber keinen bolivianischen Arbeitsvertrag aufweisen kann. Und die Interpol versteht schon gar nicht, dass ich sicher keine Drogenhändlerin bin. Also muss ich alle angeforderten Dokumente besorgen. Bis ich alle Dokumente in der Tasche habe, ist es Tag 30 meines Monatsvisums. Die Polizeibeamtin meint mürrisch: „Kommen Sie in einem Monat wieder, dann ist Ihr Strafregisterauszug fertig.“ Ich muss also mit Sicherheit eine Strafzahlung leisten. Die bolivianischen Behörden haben noch mehr Demütigungen für mich bereit. Ich benötige für mein Visum auch ein ärztliches Attest, das bestätigt, dass ich an keiner ansteckenden Krankheit leide. Die Untersuchung wird in der Polizeiklinik vorgenommen und kostet 50 Euro, gutes Geld für bolivianische Verhältnisse. Eine Krankenschwester nimmt mir Blut ab, und ich muss zum Lungenröntgen. Röntgen? „Sie könnten ja Tuberkulose haben.“ Der Röntgenarzt empfängt mich halbwegs freundlich, doch er bittet mich, etwas zu warten. Er hat Blutflecken am Boden entdeckt, die er schnell mit einem schmutzstarren Putzfetzen wegwischt.
Ein improvisiertes Fotostudio in einem Park in Cochabamba.
Ein improvisiertes Fotostudio in einem Park in Cochabamba.
Als ich endlich alle erforderlichen Dokumente für das Visum habe, sind zwei Monate seit meiner Ankunft in Bolivien vergangen. Trotzdem bin ich erleichtert – endlich hat das Warten ein Ende. Als ich nichtsahnend am frühen Vormittag in das Büro der Migrationsbehörde spaziere, wird mir mitgeteilt, es werde nur eine bestimmte Anzahl an Personen abgefertigt und die Wartenummern für den Vormittag seien alle schon vergeben. Doch am Tor stünden schon die Menschen für die Bürozeiten am Nachmittag Schlange. Und wirklich: es ist 10 Uhr morgens und die Menschen am Eingang streiten sich schon darum, wer am Nachmittag drankommt. Bevor ich mich anstelle, möchte ich sichergehen, dass meine Dokumente in Ordnung sind. Das weiß die Dame am Informationstisch nicht, aber sie fragt ihren Chef. Laut dem Direktor der Migrationsbehörde können meine Dokumente so eingereicht werden. Ich stelle mich in die Schlange. Vier Stunden Wartezeit, in der Mittagshitze von Cochabamba. Eine Frau verkauft Mittagessen und ein älterer Herr bietet Sonnenschirme an. Dann öffnet sich das Tor, die Schlange löst sich auf, und alle rennen und rempeln und wollen als erste am Schalter ankommen, wo die Wartenummern ausgegeben werden. Ich erhalte eine relativ niedrige Nummer und freue mich, endlich meine Dokumente abgeben zu können. Bald bin ich an der Reihe! Nummer 16. Auf dem Bildschirm leuchtet die Nummer 15 auf – und dann Nummer 17. Erst nach einer Auseinandersetzung mit einem Beamten ist er bereit, anzuerkennen, dass es auch eine Nummer 16 gibt. Mich bedient ein beleibter Beamter mit Brille. Ich sage ihm: „Ihre Kollegin meint, die Dokumente seien so in Ordnung.“ Er antwortet: „Es ist mir scheißegal, was meine Kollegin sagt. Meiner Meinung nach fehlen noch Dokumente.“ Ich bin so erschöpft, dass ich nicht mehr die Kraft habe, ihm zu widersprechen. Er benötigt die Kopie des Personalausweises des Direktors der Organisation, für die ich als Freiwillige arbeite. Es vergehen zwei weitere Wochen, bis ich die zusätzlichen Dokumente auftreiben kann. Wieder will der Beamte der Migrationsbehörde meine Dokumente nicht akzeptieren. Dieses Mal gehe ich zu seinem Vorgesetzten und der hält ihm eine Standpauke. „Die Dokumente sind zu akzeptieren!“ Von da an läuft alles schnell. Ich muss umgerechnet 200 Euro zahlen, an Strafzahlungen und Gebühren. Eine Woche später habe ich mein Visum in der Tasche. Als ich meinen Pass mit dem Visum abhole, informiert mich die Beamtin, dass ich nun verpflichtend um einen Personalausweis für Ausländer ansuchen muss. Verpflichtend! Die Stelle, die diesen Ausweis ausstellt, befindet sich natürlich am anderen Ende der Stadt. Und für Ausländer kostet der Ausweis 50 Euro. Gutes Geld für Bolivien.

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