Der Vorwurf, Politik werde nur simuliert, um der Bevölkerung vorzumachen, man kümmere sich um ihre Anliegen, ist alt. Typischerweise wird er vom politischen Gegner vorgebracht – und häufig ist er korrekt, insbesondere in Vorwahlzeiten. Da kaum mehr eine ganze Legislaturperiode hindurch regiert wird, befindet sich – nicht nur – Österreich ständig in einem solchen Vorwahlmodus, was zur Folge hat, dass die eigene Klientel ununterbrochen bedient werden soll.
Symbolpolitik ist ein Weg, dies zu erreichen. Dazu gehören Steuergeschenke oder Gesetze zu Themen, von denen man weiß, dass sie die Bevölkerung bewegen. Manches Gesetz bleibt in der Folge zahnlos, doch alleine dass es erlassen wird, kann ein Gefühl der Zufriedenheit und Sicherheit vermitteln. Es funktioniert wie das Pickerl auf einer Haustür, das besagt, dass das Areal überwacht werde. Im besten Fall lässt sich ein Dieb davon abschrecken, zumindest aber fühlt sich der dort Wohnende ein wenig sicherer, auch wenn die Sinnhaftigkeit bezweifelt werden darf.
Sicherheit als Auftrag der Politik
Letztendlich ist das die Aufgabe von Demokratie: der Bevölkerung Sicherheit zu geben. Allerdings sollte dies konkret und nachweisbar sein. Wäre da bloß nicht das Problem, dass es eine solche nicht immer geben kann. Zuweilen fehlen die wissenschaftlichen Erkenntnisse, manchmal ist man als Politiker gegenüber einer Situation schlichtweg machtlos oder ein anderes Mal fehlt das Geld, was meist ein Euphemismus für fehlenden politischen Willen ist.
Da man der Bevölkerung kaum sagen kann, dass man keine Ahnung oder keine Lust hat, versucht man es mit Symbolik. Das ist immer hilfreich, lenkt ab und bedient die eigene Klientel ganz ohne Lösung. Hauptsache, die Emotionen stimmen.
Zeit gewinnen, anstatt Politik zu machen
Der Vorwurf wiederum, jemand betreibe nur Symbolpolitik, beinhaltet die Anschuldigung der Lüge, und diese wiegt schwer. Wer einen solchen Vorwurf ausspricht, befindet sich daher sofort im Vorteil, wirkt er doch als der Aufdecker und als jener, der realistisch denkt und weise handelt. Zumindest will man das als Anhänger so wahrnehmen.
Theoretisch ist solch eine Situation wunderbar. Der politische Gegner tut oder will etwas, und man antwortet: Achtung, Symbolpolitik! Schon gewinnt man Zeit und kann sich zurücklehnen, während sich der Gegner wehren muss und dadurch ein Weilchen beschäftigt bleibt sowie potentielle Wählerstimmen riskiert. Mit ein bisschen Glück erledigt sich das Thema derweil von selbst. So stellt sich heraus, dass auch der Vorwurf, jemand betreibe nur Symbolpolitik, selbst nur symbolisch wirkt und ablenkt, um Zeit zu gewinnen.
Moria als Beispiel für gnadenlose Symbolik
Was in dem Hickhack ausgeblendet wird, ist der Umstand, dass solche Spielchen auf Kosten der Menschen gehen. Trifft es die Wähler und Wählerinnen, werden sich diese irgendwann wehren. Immer wieder aber sind die Betroffenen jene, die kein Wahlrecht besitzen. Direkt vor unseren Augen zeigt sich auf Lesbos derzeit die ganze Tragödie verschiedener Symbolpolitiken der EU. Die einen wollen 400 Minderjährige retten, was selbstverständlich besser ist als nichts, aber bei 12.000 Menschen allein im Lager Moria auch nicht mehr kann, als zynisch zu wirken. Die anderen, Osteuropa und recht lautstark Österreich, verweigern sich, schimpfen über diese Symbolpolitik und betreiben sie zugleich selbst, indem sie so tun, als könne man ewig die Augen verschließen.
Alle liegen falsch und erweisen sich als feige – nicht zuletzt gegenüber der eigenen Bevölkerung, der sie vorgaukeln, das Problem sei nicht ihres und könne daher hierzulande ignoriert werden. Es ist an der Zeit, konkrete Politik zu machen. Denn die Frage, wie umgehen mit jenen, die ihre Heimat verlassen müssen und mit jenen, die sie verlassen wollen (meist steckt auch dahinter de facto ein Muss), wird nie wieder weggehen. Wir können weiterhin zuschauen, wie Menschen vor unseren Augen mit unseren Steuergeldern in Lager gesteckt werden und dort langsam verrotten, gleichgültig ob in Griechenland, der Türkei oder in Libyen oder wir werden uns eine andere Asylpolitik ausdenken müssen.
Wir dürfen und müssen von unseren Politikern verlangen, dass sie sich aus der Simulation von Politik herausbewegen und zu einer Lösung kommen. Diese wird nicht lauten können, wir schließen die Balkanroute, Lesbos oder ganz Südeuropa, da auch das nur Symbolpolitik war. Oder wir geben einfach zu, dass wir am Ende dessen angelangt sind, was Europa seit 1948 ausgemacht hat. Dann wäre die Hochhaltung der Menschenrechte ebenfalls nur mehr Symbolik und wir müssten uns gefallen lassen, dass man uns kalt und unmenschlich nennt.
Daniela Ingruber, Demokratieforscherin am Austrian Democracy Lab der Donau-Universität Krems, analysiert wöchentlich in der Rubrik „Politik im Blick“ aktuelle politische Themen und erklärt deren Hintergründe.
3 Postings
frau ingruber, man möchte meinen, dass es auf der welt genügend platz für alle gibt und diese in frieden ihren bedürfnissen nachgehen könnten. dem ist aber leider nicht so.
in ihren analysen der politik in menschenrechtsfrage und der flüchtlingsthematik befassen sie sich hauptsächlich im wirkungsbereich in west- und osteuropa. man findet - und da gebe ich ihnen recht - auch so manche schuldige. ob mit oder ohne symbolikoperat will ich nicht beurteilen und auch nicht verurteilen.
was mir in all den fragen für die geschundenen menschen in den lagern abgeht, ist die bereitsschaft der gesellschaftlich gleichgesinnten arabischen welt mitzuhelfen, das leid zu lindern, denn auch dort gibt es reiche und halbechs stabile länder, die sich humanitäre hilfe leisten könnten und ihre grenzen dafür öffnen könnten. sie wären wirtschaftlich längst auch in der lage, im ursachenbereich zwischen arm und reich oder der religisen problematik mitzuwirken und nach demokratischen regeln für ihre gesellschaft der arabischen länder mitzuwirken. warum sie es trotzdem nur im geringen maße bis gar nicht tun, scheint mir eine elemantare frage für die weitere haltung europas zu sein. allein mit der aufnahme von millionen flüchtlingen werden wir das leid im ursachenbereich auf dauer nicht lindern, so sehr ich auch verständnis dafür habe.
Herr/Frau Senf, selbstverständlich soll nicht nur Europa Menschen aufnehmen, das ist aber ohnehin nicht der Fall. Schauen wir uns ein paar Zahlen an: Das Flüchtlingshochkommissariat der UNO, UNHCR, gibt jedes Jahr die umfassendste Statistik zum Thema Flucht heraus. Demnach waren Ende 2019 79,5 Millionen Menschen auf der Flucht, davon 45,7 Millionen im eigenen Land. 73% von ihnen sind in Nachbarstaaten umgekommen. Alleine diese Zahlen zeigen schon, dass auch in den arabischen Staaten viele Geflüchtete aufgenommen werden. 85% aller Menschen auf der Flucht leben in sogenannten Entwicklungsländern, auch darunter sind arabische Staaten.
Im Verhältnis zur Bevölkerung halten sich die meisten Geflüchteten im Libanon auf (1 von 7 Personen), in Jordanien ist es 1 von 15 Personen. All das trifft auf kein EU-Land zu. In der Türkei ist es übrigens 1 von 23 Personen. Insgesamt hat die Türkei weltweit am meisten Menschen auf der Flucht aufgenommen, gefolgt von Kolumbien (dort sind es nahezu ausschließlich Venezolaner), Pakistan, Uganda und dann an fünfter Stelle Deutschland. Die genauen Zahlen finden Sie hier: https://www.unhcr.org/5ee200e37/
frau ingruber, sie haben hier die weltweite situation nach UNHCR dargestellt, in ihrer analyse beziehen sie sich nach meinem verständnis auf die aktuelle flüchtlingssituation im lager moria mit europa. aus diesem bericht geht nicht klar hervor, wieviele flüchtlinge z. bsp. aus syrien in den arabischen ländern aufgenommen wurden -frei ihrer gesellschaftlichen orientierung (sunnitisch, schiitisch, ...).
unabhängig der flüchtlichs-aufnahmezahl in europa darf nicht vergessen werden, welche leistungen diese gemeinsamen staaten an direktzahlungen (türkei, griechenland...) für flüchtlinge und entwicklungshilfe/aufbauhilfe für diese instabilen staaten laufend erbringen.
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