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Warum Heinfels trotz Warnung eine Reise wert ist …

… und wie Nachrichten auf Papier einem langweiligen Sonntag etwas Würze geben.

So ein Sommer zuhause kann ganz schön lang werden. Meine Frau hatte Ende August eine Reisewarnung für Heinfels verfügt, und wie zur Bekräftigung ihres Urteils stiegen dort zwei Wochen später die Zahlen. Dabei war mir schon so viel über die architektonisch gelungene Revitalisierung der Burg und über die familienfreundlichen Führungen dort zu Ohren gekommen. Eigentlich wollte ich an diesem Sonntag vor Schulbeginn meine Familie dorthin entführen. So aber war ich jetzt mit der Zubereitung des Quarantänefrühstücks beschäftigt. Darin hatte ich mittlerweile Routine.

„Holst du mir bitte die Zeitung?“ tönte es aus dem Badezimmer. Meine Frau war mit ihrer Pediküre beschäftigt, das konnte jetzt dauern, und mit ungepflegten Zehennägeln kann man in Österreich keine Zeitung erwerben. „Dann hol dir doch Österreich, die ist gratis“, wollte ich schon erwidern, doch ich verkniff mir diesen Seitenhieb auf ihr Niveau, dessen Strafrahmen immerhin von einer Anzeige bis zu einem Posting auf dolomitenstadt.at reicht. Bei dolomitenstadt.at sind sie in solchen Dingen völlig humorbefreit. Stimme zu? Stimme nicht zu!!

Also versuchte ich es bei meinem Sohn, den ich vor dem Computer in seinem Zimmer antraf. Mein Angebot, zwei Hausecken weiter die Sonntagszeitung aus dem stummen – und ganz sicher auch gehörlosen und blinden – Verkäufer zu ziehen und dafür die 2,50 Euro selbst einzustreifen, kostete ihn ein bedauerndes Achselzucken. Keine Zeit. Er sei mit der Komposition eines neuen Schlachtlieds für Fridays for Future im Rückstand. Fridays for Future? Zu Schulbeginn? Während Corona? Eben deshalb. Schulschwänzen sei im letzten Semester aus der Mode gekommen, weshalb die Veranstaltungen ab sofort in die Klassenzimmer verlegt würden. In den Religionsunterricht. Schließlich sei der Klimawandel ja eine Frage des Glaubens.

Mir blieb nichts anderes übrig als in meine Tassel Loafer zu schlüpfen, die kann man notfalls auch ohne betreten, obwohl ein weißes Paar Socken meinem Sonntagsdienst natürlich ein bisschen mehr Würde verliehen und seinen Zweck zur Nebensache herabgestuft hätte. Am Zeitungsständer setzte ich meinen Mundnasenschutz auf, entnahm – wo hab ich das Wort schon gehört? – die Ware, drückte, da ich nur einen Zehner einstecken hatte, meine Bankomatkarte an den Schlitz, entfaltete das Blatt und hielt es mir vors Gesicht. So würde mich nicht so leicht jemand erkennen.

Im Mittelteil berichten sie immer seitenweise von Wien, als ob unsereinen das interessiere. Mariahilfe… stand da zu lesen, r-Straße ging es wohl hinter der Sonntagsbeilage weiter, doch das ersparte ich mir, da mir schon beim zweiten Buchstaben ein ärgerlicher Druckfehler auffiel: Da stand ein o statt ein a. Auf Rechtschreibfehler bin ich allergisch, und da nehme ich dolomitenstadt.at nicht aus. Von den Postings der kleinen beschaulichen Gruppe im Forum bekomme ich immer Symptome. Ein Wassertropfen, der auf die Schlagzeile klatschte, riss mich aus meinen Gedanken. Ich stülpte mir die Zeitung über den Kopf und beeilte mich, trockenen Fußes nach Hause zu kommen.

Die Stiege zu unserer Wohnung ist zum Glück überdacht, doch der Eingang liegt unter freiem Himmel, aus dem sich nun doch noch ein Sturzbach über meinen Körper ergoss. Wie in der Burgkapelle von Heinfels, an deren Balkendecke zwei interferierende Tropfen zum Regenwasser aus Jahrhunderten schwellen. Die Zeitung war selbstverständlich perdü, aber die Sonntagsbeilage hatte nur einen Fettfleck von meiner Stirn abbekommen. Ihn würde man später der exzessiven Art des Frühstückens eines unserer Familienmitglieder in die Schuhe schieben können.

An der Balkendecke der Burgkapelle in Heinfels schwellen zwei interferierende Tropfen zum Regenwasser aus Jahrhunderten. Architektur: Gerhard Mitterberger. Foto: Zita Oberwalder

Apropos, ich hatte meine Tassel vor der Tür stehen lassen! Als ich mich bückte, sie aufzuheben, sah ich in der Pfütze jenseits der Schwelle meine bloßen Füße gespiegelt: kleiner und zierlicher, dafür ohne die geröteten Druckstellen der Schuhe. Mein Blick strich an zwei sehr schlanken, makellos gebräunten Beinen nach oben, schwenkte auf halber Höhe kurz seitwärts, um schließlich an einem Paar großer, dunkler Augen hängenzubleiben, die, begleitet von unverständlichem Murmeln, an mir vorbei in das Vorzimmer starrten.

„Wer ist denn da draußen?“ fragte meine Frau aus der Küche. „Die Sternsinger", wollte ich schon erwidern, doch wäre das um die Jahreszeit wenig überzeugend gewesen. „Gib der Dame fünf Euro, und dann schick sie fort!“ rief meine Frau, die den Braten längst gerochen hatte. „Sollten wir sie nicht wenigstens so lange hereinbitten, bis es aufgehört hat, zu regnen?“ Als ich, um keine Zweifel an meiner Neutralität aufkommen zu lassen, dann noch ergänzte, dass die junge Dame kaum etwas anhabe, hätte erstmals seit langer Zeit sogar unser Sohn mein Anliegen unterstützt.

„Ja, und dann kommt ihr Beschützer zum Abkassieren und schickt uns noch mehr von der Sorte!“ Das Argument war schlagend – wenigstens im übertragenen Sinn. Ich musste erst die dünnen Arme, mit denen die Person meine Hüfte umschlungen hielt, lösen, um den Zehneuroschein aus der Gesäßtasche zu ziehen. Meine Frage, ob sie mir einen Fünfer herausgeben könne, schien sie nicht zu verstehen. Ich drückte ihr das Geld in die Hand, schloss mit einem nachsichtigen Nicken die zarte Faust und schob sie sanft Richtung Stiege.

Als sie die Stufen hinabstieg, fiel mir zum ersten Mal auf, wie viel Kunst der Architekt doch in diesen Bauteil gelegt hatte. Seine Flucht verjüngte sich völlig asynchron zu seiner Benutzerin, deren winzige Finger am Ende kaum noch den Handlauf erreichten. Wie ein hilfloses, verlorenes Kind.

Stiegenaufgang zur Burg Heinfels. Architektur: Gerhard Mitterberger. Foto: Zita Oberwalder

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker, Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt und Autor. Während des Lockdowns hielt uns sein Corona-Tagebuch bei Laune, doch mittlerweile kritzelt Rudi seine Notizen einfach an den Rand der Ereignisse, also dorthin, wo die offizielle Berichterstattung ein Ende hat. Wir präsentieren in unregelmäßigen Abständen „Rudis Randnotiz“.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

2 Postings

vielleserin
vor 3 Jahren

Die Hygienemaßnahmen funktionieren halt wahrscheinlich auch für's "in-Unschuld-waschen".

 
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aenda
vor 3 Jahren

Lieber Herr Ingruber, Sie hätten sich gleich den Zustand der Zehennägel Ihres Damenbesuches anschauen sollen. Daran hätten Sie vielleicht erkennen können, ob die dazugehörigen schlanken Beine zu eben jener kaufwilligen Bananenschale gehören, welche aus einem Juniorpartner einen alten Esel gemacht hat. Die soll sich ja auch auf der Flucht befinden, da brennt der Hut und das Wasser steht ihr bis zum Hals. Sei's drum, die Regierung wurde erfolgreich verjüngt, und wer jetzt denkt, dasselbe hätte man durch die Aufnahme von ein paar Kindern auch mit der österreichischen Bevölkerung vor, der hat sich sauber geschnitten. Hilfe VORM Ort, nicht IM Ort, das schafft nur Probleme!

 
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