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Graf Leonhard und die abgebrochene Lanzenspitze

In der Pfarrkirche St. Andrä gibt uns das prächtige Grab des Grafen ein kleines Rätsel auf.

Die Pfarrkirche St. Andrä in Lienz birgt eine Reihe von Kostbarkeiten mit Geschichte. Manch einer hat hier seine letzte Ruhe gefunden, darunter auch Leonhard, der letzte Görzer Graf. Das prächtige Hochgrab aus rotbraunem Marmor im linken Seitenschiff zeigt Leonhard in seinem Harnisch mit damals modernen Kuhmaulschuhen. In der linken Hand hält er das Görzer Wappen, in der rechten Hand eine Lanze – mit abgebrochener Spitze! „Das ist ein typischer Hinweis darauf, dass es sich hier um den letzten der Dynastie handelt“, bemerkten fast zeitgleich zwei Universitätsprofessoren und Mittelalterexperten aus Deutschland und zeigten auf die abgebrochene Lanzenspitze. Angeführt von Lienz-Koryphäe Meinrad Pizzinini erkundeten wir mit einer kleinen Gruppe Interessierter die historischen Schätze der Pfarrkirche.
Was hat es mit der abgebrochenen Lanzenspitze von Graf Leonhard auf sich? Fotos: Dolomitenstadt/Wagner
Tatsächlich war Leonhard der letzte der einst mächtigen Görzer Grafen. Seiner Familie verdanken wir die Gründung der Stadt Lienz mitsamt dem Schloss Bruck, den Klöstern und der gotischen Basilika St. Andrä. Leonhard war Sohn einer nicht gerade glücklichen Ehe, seine Mutter ließ seinen Vater sogar immer wieder einkerkern. Öfters wird das Benehmen der Familie als nicht besonders „höfisch“ bezeichnet. So war Leonhard mit seinen Brüdern gern in Gasthäusern in Lienz unterwegs und überwies die Zeche einfach an ein gräfliches Amt zur Verrechnung. Nach dem Tod seiner Brüder übernahm der erst 18-jährige Leonhard das Erbe mit all seinen Konflikten: Im südlichen Teil der Grafschaft war der junge Graf ständig mit der Abwehr der Venezianer beschäftigt, Türkeneinfälle richteten immer wieder Schaden an und die Habsburger saßen den Görzern ohnehin seit jeher im Nacken. Erst mit König Maximilian I. verbesserten sich die Beziehungen. Innerpolitisch war die Lage entspannter: Leonhard war ein Förderer des Baugewerbes und des Kunsthandwerks, die große Zahl von Goldschmieden und „kunstreichen“ Malern in der Residenzstadt Lienz weist auf einen gewissen Wohlstand hin. Auch der Transithandel florierte. 1478 heiratete der Graf die erst 15-jährige Paola Gonzaga von Mantua. Es war seine zweite Ehe. Über die erste Ehe mit der Tochter des Königs von Bosnien ist wenig überliefert, sie dürfte auch nur sehr kurz gedauert haben. Die Heirat mit Paola war sicher politisch motiviert und versprach eine beachtliche Mitgift. Richtig wohl wird sich die Braut – die aus einem der ersten Renaissancehöfen Italiens stammte – bei uns in Lienz und in der mittelalterlichen kalten Burg nie gefühlt haben. Paolas Familie machte sich auch Sorgen um ihr Wohlergehen, denn sie forderten Leonhard mehrmals auf, ihre Tochter gut zu behandeln. Die Ehe blieb kinderlos. Eine Tochter, die zusammen mit dem Grafenpaar in der Kapelle von Schloss Bruck abgebildet ist, starb bald nach ihrer Geburt. Paola starb trotz mehrerer Kuraufenthalte in Abano vor ihrem etwa 20 Jahre älteren Mann. Noch zu Lebzeiten ließ Leonhard selbst einen Epitaph aus Isonzo-Kalkstein für den Dom zu Görz fertigen, zu sehen dort im linken Seitenschiff, als Garantie für sein Andenken über den Tod hinaus und das damit erhoffte Seelenheil. Leonhard starb schließlich am 12. April 1500 auf seinem Schloss Bruck. Vielleicht an seiner „alten Krankheit“, von der er schon 1495 in einem Brief aus Gastein an Erzherzog Sigmund berichtet, die ihn „vast blöde“ mache. Sofort wurde König Maximilian I., der sich gerade in Augsburg beim Reichstag befand, verständigt, und mitsamt den anderen Reichsfürsten eine sehr feierliche, ja pathetische Totenfeier zu Ehren Leonhards als letzten Spross eines alten Reichsfürstengeschlechts inszeniert. Als Universalerbe ließ Maximilian vom Innsbrucker Bildhauer Christoph Geiger ein prächtiges Grabmonument errichten und für das Seelenheil des Grafenpaares stiftete er Jahrtagsmessen im Lienzer Spital verbunden mit Almosen für die Armen.
Das prächtige Hochgrab Leonhards steht im linken Seitenschiff der Lienzer Pfarrkirche St. Andrä.
Wie es damals üblich war, wurde Leonhard bereits einen Tag nach seinem Tod begraben. Bei Renovierungsarbeiten 1968 wurde sein Grab im Boden des linken Seitenschiffs vor dem Marienaltar entdeckt, aber ohne Inhalt! Der wurde wahrscheinlich beim Abbau des Hochgrabes 1781 ausgeräumt. Die Grabplatte kam an die Wand, Teile der zerstörten Tumba verstreuten sich auf verschiedene Örtlichkeiten und mussten erst wieder mühsam zusammengesucht werden. Ein Eckstein des Hochgrabes diente am Friedhof in Oberlienz als Weihwasserbecken, ein anderes Bruchstück befand sich im Depot des Tiroler Landesmuseums als vemeintlicher Rest der verschwundenen Kirche auf dem Johannesplatz. Was von der Johanneskirche wirklich verblieb, das ist eine andere Geschichte… Erst 2012 wurde die Wiederherstellung eines der bedeutendsten mittelalterlichen Denkmäler Tirols abgeschlossen. Beim genaueren Hinsehen entdeckt man neben der gebrochenen Lanzenspitze, dass auch die marmorne Fahne mit dem Tiroler Adler  beschädigt ist. Ist die Lanze vielleicht doch beim Abbau der Grabplatte abgebrochen? Wahrscheinlich. Das Gesamtkunstwerk aber mit seiner reichen Bildersprache vermittelt den Eindruck einer Apotheose des mächtigen Geschlechts der Görzer Grafen, vertreten durch die Person Leonhards als letzten der Dynastie. Mit oder ohne Lanzenspitze.
Evelin Gander ist nicht nur Stadtführerin und Biobäuerin, sondern auch Ideenlieferantin und Geschichtenerzählerin mit viel Einfühlungsvermögen. Thema ihrer Reportagen und Podcasts ist das Leben in all seinen Facetten.

3 Postings

Kiew
vor 3 Jahren

Nach meinem Wissen war OStR. Ludwig Jilka, Professor für Mathematik und Darst. Geometrie am BG/BRG Lienz, massgeblich an der Rekonstruktion des Hochgrabes beteiligt.

 
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    r.ingruber
    vor 3 Jahren

    https://bda.gv.at/fileadmin/Dokumente/bda.gv.at/Publikationen/Wiederhergestellt/BDA_wiederhergestellt_15_WEB_130618.pdf

    Schön, dass Sie sich daran erinnern!

     
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      Kiew
      vor 3 Jahren

      OStr. Ludwig Jilka war mein verehrter Lehrer und späterer Kollege, der mit seinem trockenen Humor immer wieder Lachsalven erregte!

       
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