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Der Wirt hat geschlossen und ich bin ein Koffer

Kein Wunder, wenn man in Zeiten wie diesen ins Grübeln kommt.

Seit man erst um 8 Uhr nach Hause darf, kann die Zeit nach Büroschluss ganz schön unangenehm werden. Da ist es nämlich stockdunkel und auf der Straße ist ganz schön was los. Leute mit Einkaufstaschen, voll von alkoholischen Getränken und Haltbarmilch, die Verkehrswege verstopft, weil jeder noch schnell seine Garage für die After-Work-Party freiräumen muss, und hier und da ein Betrunkener, der partout nicht einsehen will, dass sein Stammlokal zu hat. Wenn das überhandnimmt, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich meiner staatsbürgerlichen Pflicht zu entsinnen und eine gewisse Nummer anzurufen. Die kann ich dank meiner humanistischen Bildung aus dem Gedächtnis: eins, drei, drei… Schlacht bei Issos, du weißt schon.

Im Büro pflegen wir einen respektvolleren Umgang und achten penibel auf den Sicherheitsabstand. Wenn meine Kolleginnen und Kollegen merken, dass ich im Raum bin, weichen sie großräumig aus. Passieren kann da nichts. Obwohl, einmal bin ich einer Kollegin, die arbeitet in der Buchhaltung, du weißt schon, so eine mit Brille und streng nach hinten gebundenen Haaren, aber sonst sehr adrett, der bin ich – aus Versehen, ich schwöre! – zu nahe gekommen und musste sie selbstverständlich nach ihren Kontaktdaten fragen. „Idiot!" hat sie zu mir gesagt, und ein Kollege, der das mitbekam, nannte mich einen Koffer.

Koffer kommt vom lateinischen „cophius" und heißt eigentlich Weidenkorb. Das könnte man auch als Kosenamen verstehen. Idiot kommt von Idiot. Die alten Griechen gebrauchten den Ausdruck für einen, der sich für Politik nicht interessiert. Aus beiden Begriffen kann man auch ein Kofferwort bilden: „Koffidiot“. Ein Weidenkorb also, der sich nicht für die Politik interessiert. Das trifft auf mich aber nicht zu. Ich interessiere mich sehr für die Politik. Seit März habe ich keine einzige Pressekonferenz der Bundesregierung versäumt. Und wer behauptet, das sei keine Politik, sondern immer das Gleiche, hat Unrecht.

Zum Beispiel nannte man die Apokalyptischen Reiter im März noch die Vier Musketiere. Dafür trugen sie keine Masken. Die waren damals an der tschechischen Grenze und in Südtirol hängengeblieben. Heute geben sie sich mit ihrem Mundnasenschutz sehr patriotisch. Der Bauchredner ganz links hat sich sogar die österreichische Fahne auf die Nase gebunden. Den Bindenschild. Blutgetränkt oben und unten, und dort, wo er normalerweise den Waffengurt trägt, blütenweiß. Der Vizekanzler hat auch eine Fahne. Die ist zwar anders, aber nicht minder typisch für einen Patrioten. Dem Kanzler steht die Maske am besten. Oder wenigstens sitzt sie am besten, weil der Kanzler gegenüber den anderen anatomisch im Vorteil ist.

Wie ich einmal auf dem Nachhauseweg so durch die Gassen flaniere, fällt mir im Schaufenster eines Geschäftslokals ein Plakat ins Auge: „Der Nikolaus kommt ins Haus!“ ist darauf zu lesen. Vom 2. bis zum 5. Dezember. Also, was jetzt? Ist dann Corona vorbei? Oder kennt der Nikolaus keine Verordnung? Auf dem Foto sind nämlich mehr als die erlaubten sechs Personen zu sehen und ganz ohne Abstand. Andererseits tragen sie aber auch Masken, du kennst sie bestimmt noch von Dolomitenstadt. Dolomitenstadt ohne Krampusse ist wie Weihnachten ohne Christbaum. Oder wie oe24 ohne Heinz Christian Strache. 2018 gab es auf Dolomitenstadt mindestens zehn Berichte zum Thema. Dann kam der Wolf, und dann kam Corona.

Der Nikolaus und der Krampus gehören zum unverzichtbaren Brauchtum in unserer Heimat. Es ist hoch an der Zeit, dass wieder einmal wer ins Haus kommt und den jungen Leuten, die an gar nichts mehr glauben, die Spielregeln erklärt. So ein langhaariger Birkenstockheini hat mir einmal weiszumachen versucht, der hl. Nikolaus komme aus der Türkei. Dort hätte er auf dem Konzil von Nicäa seinen Widersacher verdroschen. So ein Blödsinn! Humor, gut und recht, aber ich kann es nicht leiden, wenn einer unseren christlichen Glauben so durch den Dreck zieht. Als unser Sohn noch klein war, haben wir immer den Sulzenbacher bestellt. Der war gewiss nicht aus der Türkei. Und vermöbelt wurde von ihm auch niemand. Dafür hatten wir ja den Krampus!

Zuhause kann ich mich endlich entspannen. Das Abstandhalten zu meiner Frau funktioniert bestens. Ich wohne in Patriasdorf und sie in der Peggetz. Die hat sich auch nicht verbessert, seit unserer Trennung, aber zwei Haushalte dürfen sich im Notfall ja auch Besuche abstatten. Allerdings ist mein Haushalt für solche Gelegenheiten auch nicht übermäßig geeignet. E plus eins, eine Garage für maximal sechs Personen, vier Zimmer. Ein Haus halt. Bad und Küche getrennt. Als wir uns kennengelernt haben, damals in der WG, haben wir auf engstem Raum noch im Badezimmer gemeinsam gekocht. Oder in der Küche gebadet und uns gegenseitig den Rücken gewaschen. Manchmal vermisse ich das.


Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker, Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt und Autor. Während des Lockdowns hielt uns sein Corona-Tagebuch bei Laune, doch mittlerweile kritzelt Rudi seine Notizen einfach an den Rand der Ereignisse, also dorthin, wo die offizielle Berichterstattung ein Ende hat. Wir präsentieren in unregelmäßigen Abständen „Rudis Randnotiz“.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

10 Postings

isnitwahr
vor 3 Jahren

Herr Ingruber, vielen Dank dass Sie uns so erheitern, ich würde so gern einmal in ihren Kopf schaun!

 
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    r.ingruber
    vor 3 Jahren

    Gerne, aber zur Zeit ist dort Lockdown 🤯

     
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vielleserin
vor 3 Jahren

Sehr geehrter Herr Rudi! Ich kann Entwarnung geben: nachdem Humor ein Zeichen von Intelligenz ist, können Sie kein Covidiot sein! Geben Sie Acht auf sich...

 
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hoerzuOT
vor 3 Jahren

Ich kann mich leider nur wiederholen. Die Randnotizen des Herrn I. gehören zum Besten, was DoloStadt zu bieten hat. Dank und Anerkennung!!!

 
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stella
vor 3 Jahren

Ich feiere schon allein den ersten Satz. "Seit man erst um 8 Uhr nach Hause darf, ...". Ich habe beim ersten Durchlesen mehrmals laut lachen müssen ... herrlich! Danke dafür!

 
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defregger
vor 3 Jahren

Zuhause kann ich mich endlich entspannen. Das Abstandhalten zu meiner Frau funktioniert bestens. Ich wohne in Patriasdorf und sie in der Peggetz. Die hat sich auch nicht verbessert, seit unserer Trennung, aber zwei Haushalte dürfen sich im Notfall ja auch Besuche abstatten.

Dieser Satz hat mich nicht nur zum lachen gebracht, ich konnte gar nicht mehr aufhören.

MfG

 
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Majo
vor 3 Jahren

Herrlich geschrieben, weiter so Herr Ingruber, freu mich schon auf die nächste "Randnotiz" gsund bleiben !!!

 
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aenda
vor 3 Jahren

Lieber Herr Rudi! Ich kann Sie beruhigen, vom Hl. Nikolaus geht in diesen Zeiten keine Gefahr aus, er hat nämlich keinen Führerschein. Wie wir im Sommer lernen durften fährt das Virus Auto und muss um nach Österreich zu gelangen durch den Karawankentunnel. Und am Ende desselben ist ja dank unserer hellen Truppe Licht zu erkennen. Also Kopf hoch!

 
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bergfex
vor 3 Jahren

Also Herr Ingruber, ihre Randnotiz diesmal ist wieder köstlich erfrischend.

Wenn ich ihren Artikel dreimal lese mus ich dreimal schmunzeln, bzw. dreimal laut lachen.

Sollte mir wider Ertwarten wieder zum Lachen sein, werde ich den Artikel wieder lesen.

Schönnen Sonntagabend wünsche ich ihnen.

Danke dafür .

 
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    r.ingruber
    vor 3 Jahren

    Danke, und passen Sie auf sich auf!

     
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