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Denunziation war das bevorzugte Werkzeug der Hexenverfolgung. Einer der vielen Verurteilungsgründe: die Verbreitung von Seuchen! Foto: Wikicommons/CC0

Denunziation war das bevorzugte Werkzeug der Hexenverfolgung. Einer der vielen Verurteilungsgründe: die Verbreitung von Seuchen! Foto: Wikicommons/CC0

Wie ist man Kammerlander auf die Schliche gekommen?

Über Hexen und Heilige, lustbetonte Osttiroler Lebemenschen und maskierte Denunzianten.

Letzen Sonntag habe ich mir die Beine in Richtung Helenenkirchl vertreten. Nicht, um den Gottesdienst zu besuchen, sondern um zu verhindern, dass einem aufgeklärten Agnostiker die Decke aufs Hirn fällt. Ich hatte mich, nach der Hälfte des Weges, soeben auf einer Bank niedergelassen, als aus dem Gebüsch ein seltsamer Mann, barfuß und mit zerzaustem Haarkranz, hervortrat und sich neben mich setzte. Der Abstand war groß genug, knapp 800 Jahre nach seinem Habit zu schließen, doch ich bin grundsätzlich auch im Freien darauf bedacht, Sozialkontakte zu meiden. Da ich wusste, dass bei diesen Naturmenschen Raucher nicht sehr beliebt sind, schob ich mir eine Zigarette zwischen die Lippen und bat ihn um Feuer.

„Wie meinen Sie das?“ schrie er entsetzt. Er schien mich überhaupt erst jetzt zu bemerken, und als mich seine tiefschwarzen Augen aus ihren dunkel umrandeten Höhlen anstarrten, als hätte ich gerade den Deckel von einem unermesslichen Abgrund gehoben, erkannte ich ihn. „Der heilige Dominikus, nicht wahr? Der fröhliche Künder des Wortes Gottes, der Ordensgründer und Stifter des Rosenkranzgebets?“ „Ja, und heute schiebt man mir die Hexenverbrennungen in die Schuhe!“ gab er verzweifelt zurück. „Nicht möglich!“ tat ich entrüstet, mit einem vielsagenden Blick auf seine nackten Füße hinweisend. „Doch, und man hat mich deswegen zu drei Jahren Unterricht in Ethik verurteilt!“ „Guter Mann“, versuchte ich ihn zu beruhigen, „was Sie zu allererst brauchen, ist Geschichtsunterricht!“

Hexen, im Übrigen nicht nur Frauen, sondern zum annähernd gleichen Teil Männer, hat man für alles Mögliche zur Verantwortung gezogen: für die Schäden an Mensch und Tier, für Unwetter und die Verbreitung von Seuchen, heute würde man das „vorsätzliche Gefährdung durch übertragbare Krankheiten“ nennen, sowie für den Pakt mit dem Teufel, dem der hl. Augustinus schon in der Antike die theoretischen Argumente geliefert hat. Zuständig dafür waren – damals wie heute – ausschließlich weltliche Gerichte und die Tiroler Landesregierung.

Der einzige Auftritt eines Dominikaners als Inquisitor endete 1485 mit einem Debakel. Der „Innsbrucker Hexenprozess“, in dem man sieben Frauen Mord sowie Liebes- und Schadenzauber zur Last gelegt hatte, wurde aufgrund erheblicher Verfahrensmängel für nichtig erklärt. Heinrich Kramer, ein Mönch aus dem Elsass, der sich selbst „Institoris“ nannte, wurde vom Brixner Bischof Georg Golser zum Verlassen des Landes und vom eigenen Orden zu einer Auszeit genötigt.

Während dieser verfasste er einen umfangreichen Traktat zur praxisbezogenen Auslegung der Hexenbulle „Summis desiderantes affectibus“ Papst Innozenz VIII., approbiert durch eine Verteidigungsschrift des Dominikanertheologen Jakob Sprenger und ein gefälschtes Gutachten der „Fakultät des heiligen Wortes“ zu Köln. Der „Malleus maleficarum“, zu Deutsch „Hexenhammer“, wurde zwischen 1486 und 1669 dreißigmal aufgelegt und sogar bei den Hexenprozessen von Salem in Massachusetts verwendet. Er sei „propter senium ganz kindisch worden“, auf gut deutsch: dem Altersblödsinn zum Opfer gefallen, hatte der Brixner Bischof über den damaligen Mittfünfziger Kramer befunden.

Meinen Gesprächspartner schien das nicht recht zu überzeugen. „Mit dem Kammerlander“, sagte er und wies auf die Bauernhäuser, die zu unseren Füßen den Hang hinaufkletterten, „waren sie weniger gnädig! Der wurde 1588 vermutlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt.“ Andre Kammerlander aus Thurn, einem 80-jährigen Trunkenbold, der keine Sperrstunde kannte und sich unerlaubt mit seinen Gespielinnen traf, wurden Hexenfahrt, Zauberei, Vampirismus und der Verkehr mit dem Satan zum Vorwurf gemacht. Das spricht nicht gerade für die Wissenschaftlichkeit der Untersuchungsmethoden. Sie glichen vielmehr dem, was Karl Popper über die Astrologie oder die Psychoanalyse gesagt hat: Sie seien unwiderlegbar und gründeten daher weder auf einer gesicherten noch einer widerspruchsfreien, sondern schlicht auf gar keiner wissenschaftstauglichen Theorie.

„Und wie ist man dem Kammerlander auf die Schliche gekommen?“ wollte ich wissen. „Er wurde verpfiffen. Denunziation war das bevorzugte Werkzeug der Hexenverfolgung. Dabei heißt es doch: „Du sollst wider deinen Nächsten kein falsches Zeugnis ablegen!“ „Das kann man so nicht sagen“, wandte ich ein, „denn diese Dinge waren damals State of the Art und die Leute von ihnen felsenfest überzeugt. Im Übrigen: Wer, wann, wo und wie oft seine Maske falsch aufhat oder die Abstandsregeln verletzt – auch heute fliegen Hexen und Zauberer überall auf. Am Stadtmarkt, bei der Viehversteigerung und am Tristacher See. Auch heute berufen sich Denunzianten auf wissenschaftlich erwiesene Fakten! Dafür aber habt ihr euch, auf eure Art selbstverständlich, wenigstens noch um die Seelen der Menschen gekümmert!“

„Wir dachten eben, dass verletzte Seelen nicht einfach durch Wissenschaft und Medikamente zu heilen sind“, sagte er nachdenklich. „Das glaube ich auch nicht, dazu braucht es Verständnis, gute Gespräche, Freundschaft, Empathie und vor allem viel Liebe “, gab ich zurück, und mir schien, als sei zum ersten Mal der Anflug eines beruhigten Lächelns im Gesicht meines Gegenübers erkennbar. Dann erhob er sich, freundlich winkend, und ging barfuß durch den Dornbusch, unversehrt, hatte er doch einen Heiden voller Fröhlichkeit bekehrt! Dominique, Dominique …


Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker, Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt und Autor. Während des Lockdowns im Frühjahr hielt uns sein Corona-Tagebuch bei Laune, doch mittlerweile kritzelt Rudi seine Notizen einfach an den Rand der Ereignisse, also dorthin, wo die offizielle Berichterstattung ein Ende hat. Wir präsentieren in unregelmäßigen Abständen „Rudis Randnotiz“.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

6 Postings

Kiew
vor 3 Jahren

Danke, lieber Rudi, für Deinen wie immer spannenden und humorvollen Bericht

 
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aenda
vor 3 Jahren

Echt? Der hl. Dominikus? Der Frisur nach eher der andere Popper im Büßergewand, auf der Suche nach Absolution von dem Schlamassel, das er geholfen hat anzurichten. Oder Michael Niavarani auf der Suche nach Gleichgesinnten...

 
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    r.ingruber
    vor 3 Jahren

    Dem anderen Popper hätte ich nicht Geschichts-, sondern Mathematikunterricht erteilt. Oder meinen Sie den anderen Niki? Im Antizipieren von Kurven war der eindeutig besser. Sogar nach der Verbrennung.

     
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      aenda
      vor 3 Jahren

      Na ja, man darf dem Herrn Professor auch nicht unrecht tun, Zahlen lügen bekanntlich nicht. Vor allem nicht, wenn sie so nackt daherkommen wie die Füße des Patrons der falsch Beschuldigten. Bedeutung erhalten sie erst mit der salbungsvollen Auslegung durch den Patron der Konzerne und Reichen.

       
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      Raphael Pichler
      vor 3 Jahren

      Zahlen-lügen-nicht.. Vor allem nicht bei Dolomitenstadt Postings.

       
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Bobby
vor 3 Jahren

Der Ingruber, Der Ingruber, der triffts wiedermal auf den Punkt. Chapeau!

 
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