Biedermeierliche Gemütlichkeit statt Widerstand
Historisch gesehen ist dies ein gefährlicher Moment, denn die Bevölkerung kann viel hinnehmen, doch wenn politisches Handeln nach Willkür aussieht, regt sich Widerstand, und der kann längerfristige politische Folgen haben. Schon mancher Politiker ist dadurch gestolpert. Und doch: Im Gegensatz zu anderen Ländern muss sich die österreichische Regierung nicht besonders davor fürchten, dass viele Menschen auf die Straße gehen oder tatsächlich rebelliert wird. Es gibt keine Tradition des politischen Widerstands. Dafür hat vor 200 Jahren Clemens Wenzel von Metternich gesorgt. Während er mit dem Wiener Kongress durchaus zur Einigung Europas und damit außenpolitisch zum Frieden beitrug, schuf er innenpolitisch mit seinen Beamten ein System der Bürokratie, Zensur und des Spitzelwesens, das jede demokratische Bewegung im Keim erstickte. Politische Betätigung an sich wurde ab 1819 stark eingeschränkt, während gleichzeitig all jenes gefördert wurde, das eine Abwendung von der Politik hin zum eigenen Heim bedeutete. Der Plan ging auf. Das Bürgertum richtete es sich im Privatbereich häuslich ein und konnte sich erstmals Zeit für die Familie nehmen. Nicht zufällig boomte damals die Hausmusik ebenso wie die Erzeugung des Spielzeugs. Kunst und Literatur gingen romantische Wege und mit der Gemütlichkeit kam die politische Harmlosigkeit.Metternichs System wirkt nach
Nicht nur die damals entstandenen Weihnachtstraditionen, vom Christbaum bis hin zur Weihnachtsliteratur, den Liedern, Keksen und Geschenken haben bis heute überlebt, sondern die Hinwendung ins Private (während damals in anderen Ländern die Revolution vorbereitet wurde) prägt das politische Leben Österreichs bis heute. Selbst das Jahr 1848, in dem quer durch Europa gegen das bestehende Herrschaftssystem gekämpft wurde, ging in Österreich vergleichsweise still vorüber. Zwar musste Ferdinand I. zurücktreten und Fürst Metternich fliehen, doch kam Letzterer bald zurück und wurde Berater von Kaiser Franz Joseph. Die versprochene neue Verfassung von 1849 stattete den entstehenden Parlamentarismus so zahnlos aus, dass man die Revolution nur als gescheitert bezeichnen kann. Und wieder wandte sich die Bevölkerung für viele Jahre dem Privatbereich zu. Im Jänner 1918 kam es zwar zu Streiks, die die Regierung zum Handeln nötigte, doch brach man den Widerstand aus (berechtigter) Angst vor Gewalt ab. Der nächste Aufstand folgte erst im Februar 1934, wurde binnen weniger Tage blutig niedergeschlagen und kommt wie die Jännerstreiks oder der Kampf von 1848 bis heute kaum im Schulunterricht und im Bewusstsein der Bevölkerung vor. Genau dieser Umstand wird auch jetzt dafür sorgen, dass es keinen großen Widerstand gegen die Regierungsmaßnahmen geben wird, auch wenn die Unzufriedenheit steigt.Keine politische Kultur des Widerstands
Politischer Widerstand muss nämlich gelernt werden. Wachsen in Frankreich oder England die Kinder schon mit dem Bewusstsein auf, dass man sich im Zweifelsfalle gegen die Regierungspolitik wehrt, anstatt auf die nächsten Wahlen zu warten, belächelt man in Österreich den Umstand, dass kaum jemals gestreikt wird. Das wird als sozialer Friede gelobt. Widerstand wird als Störfaktor gesehen. Demonstrierenden wird seit jeher zugerufen, sie mögen doch bitte etwas „G‘scheiteres“ machen und arbeiten gehen. Dabei wird übersehen, dass der Gang auf die Straße nicht unbedingt das System umstürzen will, sondern vor allem ein Loslassen von politischem Frust bedeutet und in dieser Hinsicht etwas Heilsames haben kann, selbst dann, wenn das politische Ziel nicht erreicht wird. Widerstand muss auch geübt werden. Das mit den Covid-Maßnahmen verordnete neue Biedermeier trägt nicht zur politischen Bildung bei. Man diskutiert im kleinen Kreis, dass man „jetzt aber wirklich etwas machen müsse“, fühlt sich dadurch rebellisch und kann es dann getrost dabei belassen. So funktioniert die politische Kultur in Österreich, und während diese durchaus dafür zuständig ist, dass es keine Gewalt auf der Straße gibt, steht zu befürchten, dass sich der Frust als Gewalt in den häuslichen Bereich zurückzieht.Daniela Ingruber, Demokratieforscherin am Austrian Democracy Lab der Donau-Universität Krems, analysiert wöchentlich in der Rubrik „Politik im Blick“ aktuelle politische Themen und erklärt deren Hintergründe.
3 Postings
Dass die Zeit des Biedermeier und das System Metternich auf Österreichs Protestkultur Auswirkungen zeigt, ist eine interessante, plausible Sichtweise! Warum das so ist, erklärt Frau Ingruber im Artikel anschaulich!
In Österreich haben wir tatsächlich keine Tradition von Streiks oder Rebellion gegen die Regierenden. Die Grübchen von Links und selbst Auftritte von Rechtsradikalen, halten sich in Ö in überschaubaren Rahmen. Und die „Mitte“ ist in Ö kaum auf die Straße zu bringen. Vielleicht haben wir Österreicher deshalb eine stärker ausgeprägte Kultur des „Schimpfens“! Der Wiener „Raunzer“ ist über alle Landesgrenzen bekannt!
Es ist wohl eher so, dass viele protestwillige (meist junge) Österreicher*innen in andere europäische Städte ausweichen, vor allen nach Deutschland.
wenn ich von Pandemiemüdigkeit jammere, denke ich gleich an Russland - keinen Lockdown (zb Konzerte sind verboten, jedoch ohne Kontrolle quasi erlaubt, interessiert niemanden, Partys in Lokalen "illegal", Strafen sind günstiger als geschlossen halten, Privatpartys ohne Ende usw), gar keine finanzielle Hilfen an Unternehmer, unterirdische bis gar keinen Hilfen an Bevölkerung, auf die Rettung kannst Stundenlang warten, Platz bekommst eventuell im Gang eines Krankenhauses, wenn überhaupt aufgenommen wirst.. gezählt wird nicht mehr (war eh nie so richtig :)), Übersterblichkeit 140 Tausend Menschen! Das sind 3 Osttirole. Wir sind gut beim jammern, jedoch bezweifle ich stark, dass es uns Österreichern und Mitlebenden wirklich so schlecht geht wie gejammert wird.. und ja, wir schaffen das, das bin ich mir sicher, sozial sind wir top, Platz 1. p.s. manche Maßnahmen finde ich trotzdem dämlich
Sehr geehrte Frau Ingruber, herzlichen Dank für ihren so treffenden Artikel!
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