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In der Kirche bürgt göttliche Inspiration für die Wahrheit

Der abrahamitische Gott ist kein Gott des Bildes, sondern des Wortes – er ist selber das Wort.

Im Neuen Testament gibt es zwei voneinander abweichende Weihnachtserzählungen. Jene des Evangelisten Lukas wird am Heiligen Abend im Gottesdienst vorgetragen. Sie berichtet von Maria und Josef, die sich auf Befehl des Kaisers Augustus von Nazareth in Galiläa nach Bethlehem in Judäa begeben, um sich dort in die Steuerlisten eintragen zu lassen. „Maria gebar ihren Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“ Vom Evangelisten Matthäus erfahren wir, dass sich drei Magier aus dem Morgenland bei Herodes d. Gr. nach dem neugeborenen König der Juden erkundigen, worauf dieser in Bethlehem und Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren umbringen lässt. Die Hl. Familie aber entzieht sich dem Blutbad durch ihre Flucht nach Ägypten.

Matthäus, Markus und Lukas werden Synoptiker genannt, weil man ihre Versionen des Evangeliums über weite Strecken in der Zusammenschau (synòpsis) lesen kann. Die meisten der 661 Verse des markinischen Textes finden sich auch in den wesentlich umfangreicheren Berichten des Lukas und des Matthäus, die ihrerseits wiederum etliche Übereinstimmungen aufweisen, für die das Evangelium nach Markus keine Grundlage bietet. Daraus hat man geschlossen, dass sie neben diesem noch über weitere gemeinsame Informationen verfügten, die zur Hauptsache Reden Jesu verzeichneten und die man aus eben diesen Gemeinsamkeiten zu rekonstruieren versucht hat. Über diese zwei Quellen, das Markusevangelium und die „Spruchquelle Q“, hinaus gibt es noch jeweils nur von einem Autor eingearbeitetes „Sondergut“.

Die Kindheitserzählungen bei Matthäus und Lukas sind solches Sondergut. Sie stimmen darin überein, dass Maria mit Josef verlobt war und vom Heiligen Geist einen Sohn empfing, den sie in Bethlehem zur Welt brachte. Damit, dass die beiden Autoren voneinander verschiedene Absichten verfolgten, Matthäus den Juden Jesus als den von den alttestamentarischen Propheten angekündigten Messias bestätigen und Lukas ihn in einen weltgeschichtlichen Zusammenhang einordnen wollte (für den er sogar einen von der historisch-kritischen Exegese bis heute nicht überzeugend gelösten Zeitsprung von mindestens zehn Jahren zwischen dem Tod des Herodes und der Volkszählung des Quirinus riskierte), sind weder die unterschiedlichen Einzelheiten noch die von der katholischen Kirche zum Dogma erhobene Jungfrauschaft der Gottesmutter erklärt. Das Postulat einer unmittelbaren Zeugenbefragung Marias müsste die Evangelien um Jahrzehnte früher als heute mehrheitlich angenommen datieren. Woher also hatten die beiden Autoren ihr Wissen?

„Mich hat niemand gelehrt, ein Gott hat mancherlei Lieder mir in die Seele gepflanzt.“ So rechtfertigt sich bei Homer der Sänger Phemios, der sich den Rivalen des Odysseus angedient hat: ein Autodidakt als Werkzeug und Lautsprecher Gottes! Dionysos käme infrage, der ständig betrunkene Lärmer, der Gott des Wahns und der göttlichen Inspiration. Oder Apollon, der Gott des Gesangs und der Dichtung, der den Übermut wie den Wahnsinn auf eigene Weise zu heilen versteht: Er zieht Marsyas, dem Freund des Dionysos, dessen Flöte die Musen mehr beeindruckt als seine eigene Leier, eiskalt das Fell über die Ohren. Die Götter Homers ließen keine menschlichen Schandtaten aus, und sie brauchten dabei, außer Ihresgleichen, keinerlei Gegner zu fürchten.

Im Monotheismus wird Gottesfurcht zur rein menschlichen Angelegenheit. Gott hat den Menschen nach seinem Bilde geschaffen, die umgekehrte Variante aber verboten. Der abrahamitische Gott ist kein Gott des Bildes, sondern des Wortes, ja er ist selber das Wort. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Die heute, am 1. Weihnachtstag verlesene Frohbotschaft nach Johannes zitiert keine historischen Daten und Fakten, sie formuliert aber die Grundlage dessen, was Dichtern, Künstlern und Historiographen vom Geheimnis der Menschwerdung Gottes her aufgegeben ist: Glaubenstatsachen sicht- und erlebbar zu machen. „Das von Gott Geoffenbarte, das in der Heiligen Schrift enthalten ist und vorliegt, ist unter dem Anhauch des Heiligen Geistes aufgezeichnet worden.“ Auch in der katholischen Kirche bürgt göttliche Inspiration für die Wahrheit.

Matthäus schreibt, barfuß und etwas ungelenk, das Evangelium nieder, ein Engel führt ihm dabei die Hand. So sieht der Maler Caravaggio die Szene. Repro: Wikicommons/CC0

Um das Jahr 1600 erhielt Caravaggio, einer der einflussreichsten Avantgardisten der Kunstgeschichte, den Auftrag, das Altarblatt für die Contarelli-Kapelle der römischen Kirche S. Luigi dei Francesi zu malen. Es zeigt den hl. Matthäus bei seiner Niederschrift des Evangeliums, einen agraphischen Klotz, dem von einem Engel die Hand geführt werden muss, während er, mit überschlagenen Beinen auf einem Faltstuhl sitzend, dem Betrachter die nackten Füße hinhält. Das Gemälde, so wird berichtet, fand keinen Gefallen.

In einem von Raffael entworfenen Deckenbild der Villa Farnesina ist aber Jupiter in einer ganz ähnlichen Haltung wiedergegeben, und Caravaggios Engel erinnert stark an den nackten, geflügelten Amorknaben, der dort vom Göttervater, der ihm so manches Liebesabenteuer mit menschlichen Jungfrauen verdankte, geküsst wird. Jedoch: Quod licet Iovi non licet bovi. Nach katholischer Überzeugung sieht Inspiration anders aus. Caravaggios zweite Version stellt den Evangelisten daher in die Bildtradition des antiken Gelehrten.

Die Komposition dieses Gemäldes von Raffael der Villa Farnesina erinnert an den Bildaufbau Caravaggios. Kein Engel sondern ein Amorknabe wird hier von Jupiter geküsst. Foto: Wikicommons/CC0

In den Weihnachtserzählungen von Matthäus und Lukas sind die beiden Hauptlinien, welche die kirchliche Debatte seit der Aufklärung bestimmen, schon vorgezeichnet: die Frage nach dem historischen Jesus und jene nach dem Christus der Offenbarung. Das 2. Vatikanische Konzil kam zum Schluss, dass weder die Überlieferung noch die Heilige Schrift mit der Offenbarung gleichlautend, vielmehr von dieser abhängig und weit überboten sind.

Die Aussagen des Konzils von Trient, die auch für die Kunst Caravaggios verbindlich waren, zielen in eine ähnliche Richtung. Joseph Ratzinger bringt in diesem Zusammenhang einen rezeptionsästhetischen Ansatz zur Geltung, der die historisch-kritische Exegese zwar nicht ersetzt, aber einen von dieser vernachlässigten Gegenstand wiedergewinnt: Das Sprechen Gottes kann auf mannigfaltige Weise und an unterschiedlichste Adressen, an Gelehrte und Analphabeten, an die Hirten von damals und die Wissenschaftler von heute erfolgen. Kommt es aber beim Empfänger nicht an oder bleibt dieser die Antwort schuldig, findet die Offenbarung eben nicht statt.


Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker, Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt und Autor. Während des Lockdowns im Frühjahr hielt uns sein Corona-Tagebuch bei Laune, doch mittlerweile kritzelt Rudi seine Notizen einfach an den Rand der Ereignisse, also dorthin, wo die offizielle Berichterstattung ein Ende hat. Wir präsentieren in unregelmäßigen Abständen „Rudis Randnotiz“.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

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