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„Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten“

Ministerin Tanner suspendiert Brigadier Gaiswinkler nach einem YouTube-Interview.

Kleine Ursache, große Wirkung. Ein Interview für einen völlig unbekannten YouTube-Kanal mit dem Titel „Quo Vadis“ wurde dem in Lienz lebenden und aus der Steiermark stammenden Brigadier Johann Gaiswinkler zum Verhängnis. Gaiswinkler, Jahrgang 1961, hat eine bislang makellose militärische Karriere hinter sich, inklusive mehrerer Auslandseinsätze in Bosnien, in Montenegro und im Kosovo. Der Bergfex, der auch beim Alpenverein aktiv ist, nahm sich beim Gespräch mit einem nicht näher genannten jungen Mann kein Blatt vor den Mund. Schlimmer noch, er trat in einem T-Shirt vor die Kamera, auf dem folgender Spruch zu lesen stand: „Noch sitzt ihr da oben ihr feigen Gestalten, vom Feinde bezahlt dem Volke zum Spott, doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten, dann richtet das Volk, dann Gnade euch Gott.“ Dass er nicht in die falsche Kleiderschublade gegriffen hat, sondern diesen Spruch bewusst zur Schau stellte, erklärte Gaiswinkler gleich im Eingangsstatement: Der Satz gebe „glasklar die Stimmung eines Teils der österreichischen Bevölkerung in der jetzigen Covidkrise wider.“ Der Offizier erläutert, dieser „deftig dramatische“ Spruch stamme von Karl Theodor von Körner aus der Zeit der napoleonischen Kriege, und sei in letzter Zeit „immer wieder in diversen Netzwerken aufgetaucht.“ Diese Aussage legt nahe, die deftigen Zeilen und diversen Netze einfach zu googeln. Und da klärt sich der Irrtum binnen Minuten auf. Zwar dichtete laut falschzitate.blogspot.com auch ein Theodor Körner, der schon mit 21 Jahren im Kampf gegen napoleonische Truppen fiel, allerhand kriegsverherrlichende Verse ("das höchste Heil, das letzte liegt im Schwerte!") und ist bei Militaristen deshalb beliebt, doch den zitierten Vers hat er offenbar nicht geschrieben. Das Zitat fiel in dieser Form wohl erst 1990 im Münchner Löwenbräu bei einer Neonazi-Großveranstaltung. 2012 tauchte es zum Beispiel auch auf der Facebook-Seite von HC Strache auf, der es ebenfalls Körner unterschob, wie viele andere zum Teil klar rechtsradikale Sprücheklopfer im Internet. Gaiswinklers Chefin, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner fackelte nicht lange und ließ am 1. Februar über APA-OTS folgenden Kurztext veröffentlichen: "Ich bin schockiert über die Äußerungen des Brigadekommandanten Gaiswinkler. Seine private Meinung sei ihm unbenommen und steht ihm auch zu. Ein Anstreifen mit nationalsozialistischem Gedankengut werde ich jedoch keinesfalls dulden. Ich habe daher unverzüglich nach Befassung der diesbezüglich relevanten Stellen, die vorläufige Dienstenthebung von seiner Tätigkeit als Brigadekommandant angeordnet." Die Disziplinarabteilung prüfe nun im Detail. Weitere Schritte würden nach dieser Prüfung gesetzt.
Auf einem völlig unbekannten YouTube-Kanal redet sich Brigadier Johann Gaiswinkler um Kopf und Kragen. Foto: Screenshot YouTube
Wir haben uns die Mühe gemacht, das gesamte Interview, das Gaiswinkler laut Tiroler Tageszeitung nun als „Versehen und Fehler“ bezeichnet, inhaltlich zu überprüfen. Es enthält eine Fülle weiterer brisanter Bonmonts. Der Moderator fragt Gaiswinkler, ob „die Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte, wie sie momentan stattfindet“ verhältnismäßig sei? Gaiswinkler holt aus: „Wenn die Verfassung gebrochen wird, wenn Kritiker verfolgt werden, deren Bücher aus dem Angebot genommen werden, Gegner reflexartig ins rechte Eck geschoben werden, die parlamentarische Kontrolle versagt, zum Teil Denunziation gefördert wird, dann erinnert das an dunkle Zeiten.“ Interviewer: „Eine gewisse Lenkung findet durchaus statt in unserem Medienkomplex?“ Gaiswinkler: „Es findet eine Lenkung statt und gewisse Medien machen mit, weil sie Geld dafür bekommen.“ „Also durchaus ein korruptes System?“ „Ja, das ist nicht nachweisbar, das ist gefühlte Temperatur … aber man hat manchmal den Eindruck, dass es mehr um Absichten denn um Ansichten geht.“ Dann zeichnen der Moderator und Gaiswinkler, die sich beide duzen, das Bild einer Gesellschaft in Angst. „Du weißt es ja selbst, wir haben im Umfeld durchaus gebildete Leute, Ärzte und so weiter, die in der jetzigen Situation sagen, das stimmt nicht, die Zahlen sind verfälscht, das stellt sich ganz anders dar, aber sofort mit dem Nachsatz: Das hab ich nicht gesagt, ich hab sonst Restriktionen zu befürchten.“ Brisant ist ein Detail aus dem Bezirkskrankenhaus Lienz, das der Offizier anspricht: „Gerade jetzt war wieder ein Vorfall im Krankenhaus Lienz, wo ein Patient nicht behandelt wurde, weil er sowieso gestorben wäre und ich hab einen guten Bekannten, der mir die Geschichte erzählt und auch eine Tonbandaufnahme gezeigt hat, aber er getraut sich nicht aus der Deckung, weil er Angst um seine Existenz hat. Und das ist für mich eine bedenkliche Entwicklung in einer freien Gesellschaft, wie sie bei uns sein sollte, wenn Menschen Angst haben müssen.“ In dieser Tonart geht es weiter. Beispiele: „Die Tage des Donners werden kommen, und ich sehe die Gewitterwolken.“ „Im Prinzip brennt um uns ein Halbmond“. „Migration, Pandemie, ein Terroranschlag kombiniert mit einem Blackout – ja dann gute Nacht Österreich.“ Moderator, in Anspielung auf Gaiswinklers Ansichten: „Hast du Angst um deinen Beruf?“ Gaiswinkler: „Ein gewisses Restrisiko bleibt. Das ist mir absolut bewusst. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt.” Nun ist Gaiswinkler suspendiert. Die Führung der 6. Gebirgsbrigade wird bis zur Prüfung aller Aussagen von seinem Stellvertreter, Oberst Kurt Pflügl, wahrgenommen.
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Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.