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VfGH kippte Einschränkungen für Asylwerber-Jobzugang

Für SOS Mitmensch öffnet der Entscheid "den Weg aus integrationspolitischer Steinzeit".

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat Einschränkungen beim Jobzugang für Asylwerbende aufgehoben. Zwei Erlässe aus 2018 bzw. 2004 sind gesetzwidrig. Sobald die Aufhebung kundgemacht wurde, können Asylwerber bei Vorliegen aller sonstigen Voraussetzungen nicht nur als Saisonkräfte, sondern unter bestimmten Voraussetzungen in allen Bereichen beschäftigt werden. Das Arbeitsministerium will den Arbeitsmarktzugang aber mit einer neuen Regelung wieder einschränken. "Die betreffenden Bestimmungen der Erlässe sind nämlich als Verordnungen einzustufen", teilte der VfGH in einer Aussendung am Mittwoch mit. Als solche hätten sie aber im Bundesgesetzblatt kundgemacht werden müssen. Das Arbeitsministerium hat am Mittwochvormittag den VfGH-Entscheid erhalten und prüft nun die daraus resultierenden Konsequenzen. "Ziel des Arbeitsministeriums ist es, dass die bestehende Praxis im Vollzug weiterhin sichergestellt werden kann", hieß es aus dem Ministerium auf APA-Anfrage. Mit der aktuellen VfGH-Entscheidung würden für Asylwerbende jene Regeln gelten, die es für Arbeitskräfte von außerhalb der EU gibt. Der Arbeitsmarktzugang ist nur dann zu gewähren, wenn keine geeignete inländische oder EU-Arbeitskraft gefunden werden kann. Der AMS-Regionalbeirat muss jeden einzelnen Fall prüfen. Allerdings wackelt auch diese Bestimmung, weil die Höchstrichter auch hier ein Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet haben. "Der Ball liegt beim Arbeitsministerium. Wir warten auf den neuen Erlass oder die gesetzliche Regelung des Arbeitsministeriums", hieß es vom Arbeitsmarktservice (AMS) zur APA. Ende Juni waren in Österreich rund 33.200 anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte arbeitslos vorgemerkt oder in einer AMS-Schulung. Derzeit laufen rund 19.000 Asylverfahren in Österreich. Der Erlass aus 2018 sah - in Verbindung mit jenem aus 2004 - vor, dass Asylwerberinnen und Asylwerber nur als befristete Saisonarbeiter oder Erntehelfer arbeiten dürfen. Der erste Erlass stammte vom damaligen Arbeitsminister Martin Bartenstein (ÖVP) und besagte, dass Asylwerber nur als Erntehelfer oder Saisonarbeiter eingesetzt werden dürfen. Jener aus 2018 war von der damaligen Arbeitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) und hat den Zugang von Asylwerbern zur Lehre beseitigt. Aufgrund der Beschwerde einer Tiroler Spenglerei hatte der Verfassungsgerichtshof in der März-Session von Amts wegen ein Verordnungsprüfungsverfahren eingeleitet. Das Verfahren habe bestätigt, dass "sich diese Erlässe nicht in einer bloßen Information über die geltende Rechtslage erschöpfen, sondern darüber hinaus verbindliche (einschränkende) Regelungen über die Erteilung von Beschäftigungsbewilligungen für Asylwerbende enthalten", erklärte der VfGH. Für die Anwältin der Spenglerei, Michaela Krömer, kann Arbeitsminister Kocher in diesem Bereich nun keine Verordnung erlassen, weil er dazu keine rechtliche Kompetenz habe. Krömer verwies im ORF-Radio auf eine EU-Richtlinie, laut der Asylwerbende nach spätestens neun Monaten einen effektiven Zugang zum Arbeitsmarkt haben sollten. Die FPÖ fordert eine "sofortige Reaktion" des Arbeitsministers. "Kocher muss den bisherigen Zustand, der vom VfGH nicht inhaltlich, sondern nur aus Formalgründen beanstandet wurde, sofort mit einer entsprechenden Verordnung wiederherstellen", so FPÖ-Parteichef Herbert Kickl in einer Aussendung. Kochers Reaktion auf den VfGH werde "zu einer neuerlichen Nagelprobe" für die Asylpolitik der ÖVP. Positiv bewerten die VfGH-Entscheidung die Grünen, SPÖ, NEOS, Caritas, SOS Mitmensch und die Asylkoordination. "Österreich war hier lange säumig, umso mehr begrüßen wir die nunmehr erfolgte Klarstellung von höchster Stelle", so der Grüne Asylsprecher Georg Bürstmayr. Der Zugang zum Arbeitsmarkt sei "ein wichtiger Hebel zu finanzieller Eigenständigkeit und sozialer Integration". Die SPÖ-Integrationssprecherin Nurten Yilmaz plädierte für eine strikte Trennung zwischen Flucht- und Arbeitsmigration. Es mache aber Sinn, wenn eine Person, die länger als neun Monate auf ihren Asylbescheid warte, eine Ausbildung mache, einen Sprachkurs besuche und nach einiger Zeit auch arbeiten könne. Für NEOS Vize-Klubobmann Gerald Loacker ist die Entscheidung des VfGH angesichts der Rekordzahl an offenen Stellen "überaus wichtig". "So dürfen jene Menschen einen Job annehmen, sollte kein Österreicher und kein EU-Bürger für eine Stelle gefunden werden", sagte Loacker. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs sei positiv zu bewerten, so auch der Caritas-Österreich-Präsident Michael Landau. Landau plädiert dafür, den Zugang für Asylwerberinnen und Asylwerber "jetzt generell neu zu regeln". Vor allem in Bereichen mit "eklatantem Fachkräftemangel" - etwa in der Pflege - könne man "jetzt neue Möglichkeiten schaffen". Für SOS Mitmensch öffnet der VfGH-Entscheid "den Weg aus integrationspolitischer Steinzeit". "Wer hier lebt, soll hier arbeiten und eine Lehre machen können, auch und gerade während langer Asylverfahren", sagte der SOS-Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak. "Wir freuen uns, wenn jetzt endlich Schutzsuchende auch schon während des Asylverfahrens einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen dürfen", so der Sprecher der Asylkoordination Österreich, Lukas Gahleitner-Gertz. Im fortgesetzten Verfahren über die Beschwerde der Spenglerei gab es im Verfassungsgerichtshof auch Bedenken über eine Verfassungsmäßigkeit einer Bestimmung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG). Der VfGH hat daher ein Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet. Gegenstand dieses Verfahrens ist die Regelung des § 4 Abs. 3 Z 1 AuslBG. Danach dürfen Beschäftigungsbewilligungen bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen nur erteilt werden, "wenn der Regionalbeirat die Erteilung einhellig befürwortet". Der Verfassungsgerichtshof ist vorläufig der Auffassung, dass diese Konstruktion rechtsstaatlichen Grundsätzen der Bundesverfassung widersprechen dürfte.

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