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Die in den Jahren 1924-25 von Clemens Holzmeister erbaute Kriegergedächtniskapelle in Lienz ist Osttirols Gefallenen des Ersten Weltkrieges gewidmet. Foto: Niederwieser

Die in den Jahren 1924-25 von Clemens Holzmeister erbaute Kriegergedächtniskapelle in Lienz ist Osttirols Gefallenen des Ersten Weltkrieges gewidmet. Foto: Niederwieser

Albin Egger-Lienz: Die Kriegergedächtniskapelle

Das Vermächtnis des bedeutendsten Osttiroler Künstlers und seine Interpretation.

Die in den Jahren 1924-25 von Clemens Holzmeister erbaute Kriegergedächtniskapelle in Lienz ist Osttirols Gefallenen des Ersten Weltkrieges gewidmet. Sie ist aber auch das Vermächtnis des wohl bedeutendsten heimischen Künstlers, Albin Egger-Lienz, der hier nicht nur begraben liegt, sondern in der malerischen Ausstattung des von ihm als „Mausoleum“ titulierten Gebäudes die Bilanz seines Lebenswerks zog.

Ein Blick in die Kriegergedächtniskapelle, erbaut von Clemens Holzmeister und ausgestaltet von Albin Egger-Lienz. Foto: Niederwieser

Keine der vier Bildkompositionen war grundsätzlich neu und daher wohl jedem auch nur oberflächlich an Kunst Interessierten vertraut: „Sämann und Teufel“, „Der Sturm“, „Totenopfer“ und schließlich der „Auferstandene“ konzentrieren entscheidende Stationen in Eggers künstlerischer Entwicklung der letzten 15 Jahre aus dem eschatologischen Blickwinkel in einem Raum. Am 6. Mai 1926, ein halbes Jahr vor Eggers Tod, wurde von der katholischen Kirche das Interdikt über die Kapelle verhängt.

Vorausgegangen war ein am 12. August des Vorjahres publizierter und schon am nächsten Tag relativierter Protest des heimischen Klerus, der sich zunächst gegen das Fresko des Auferstandenen wandte. Zwei Monate später erfasste er auch die übrigen Teile des Bildprogramms. Die aufgetürmten Särge an der Altarwand wurden mit einem heimischen Bestattungsunternehmen verglichen, die stürmenden Soldaten als „Orang Utane“ beschimpft.

Obwohl der anonyme Verfasser des Pamphlets vorgab, den Spott dem Volk abgelauscht zu haben, weiß man heute, dass sich auch hinter ihm ein Mann der Kirche verbarg. Als Priester musste er, wie damals obligatorisch, den Antimodernisteneid abgelegt haben, der ihm implizit untersagte, auch nur einen Gedanken an die Möglichkeit zu verschwenden, er selber könnte vom Affen abstammen. Charles Darwins 1871 veröffentlichte Lehre hatte die Schöpfungstheologie der katholischen Kirche in den Schmollwinkel gedrängt, aus dem sie erst ein Jahrhundert später allmählich wieder herausfinden sollte.

Der Auferstandene – das heftig skandalisierte Fresko von Albin Egger-Lienz führte 1926 sogar zu einem Interdikt, dem „Verbot von gottesdienstlichen Handlungen.“ Foto: Niederwieser

Den Stein ins Rollen gebracht aber hatte der Lienzer Dekan Gottfried Stemberger. Durch seine Verbindungen zur Römischen Kurie wurde das Begehren, die Anbringung des von ihm selbst so heftig skandalisierten Portraits des Auferstandenen um jeden Preis zu verhindern, zur Angelegenheit des Sekretärs des „Sanctum Officium“, der Nachfolgeeinrichtung der Inquisition.

Rafael Kardinal Merry del Val, bis heute eine Ikone der Traditionalisten, wurde vom Papst u. a. mit Kunstangelegenheiten betraut, doch war für ihn nicht der subjektive Geschmack, sondern das Kirchenrecht bindend. Dieses untersagte den Ortsbischöfen, „in Kirchen oder anderen geheiligten Stätten Bilder aufzustellen, die einer falschen Doktrin Ausdruck verleihen, oder solche, die nicht der geschuldeten Schicklichkeit und Ehrwürdigkeit entsprechen, oder den Ungebildeten Gelegenheit zu gefährlichen Irrtümern bieten“. Welches dieser Verbote nun Eggers Auferstandener übertrat, ist dem schriftlichen Urteil nicht zu entnehmen. Einen gefährlichen Irrtum aber hatten die Bilder schon provoziert.

Sämann und Teufel, für Albin Egger-Lienz das „ewig Werdende und ewig Sterbende“. Foto: Niederwieser

Ende August 1925 unternahm der damalige Tiroler Landeskonservator Josef Garber, wohl um dem schwelenden Konflikt prophylaktisch die Spitze zu brechen, den Versuch einer Deutung, dem die offizielle Kritik bis heute nicht widersprochen hat: „Im ganzen bildlichen Schmuck liegt ein einheitlich konsequent durchgeführter, tiefreligiöser Gedanke: Sämann und Teufel, Gut und Bös, streuen ihre Saat über die Erde aus, beides wächst, das Böse wird stärker als das Gute, überwuchert den Weizen und entfesselt einen furchtbaren Krieg unter den Völkern der Erde. In wildem Sturme brausen die Kämpfer daher, um ihren Besitz, ihr Recht, mit den Waffen zu verteidigen, todgeweihte Helden, die in treuer Pflichterfüllung einer Übermacht erliegen. Und Sieger blieb der Tod, er hat sie zusammengetragen zu einem Haufen dunkler Särge. Furchtbar wäre dieses Ende …“

Furchtbar war allerdings schon der Anfang, der den Schlüssel zur Deutung des Bildprogrammes im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen, Mt 13, 24-30, glaubte gefunden zu haben: „In einem Bilde voll Rhythmus bereitet sich das ewige Ringen zwischen Gut und Bös vor.“ Gut gemeint kann eben auch zum Feind des Guten entarten. „Das ewig Werdende und ewig Sterbende soll durch die zwei feindlichen Gestalten versinnbildlicht sein“, hatte Egger-Lienz dieser Engführung schon in Bezug auf eine seiner früheren Versionen des Themas entschieden widersprochen. Die Perspektive des ewigen Kreislaufs, des „Stirb und Werde“, die ihn auch in zahlreichen anderen Bildschöpfungen, im Zyklus „Der Mensch“ oder in den „Lebensaltern“ beschäftigt, verhindert, dass ein Rundgang durch die Kapelle schon beim zweiten Bild in die Sackgasse führt.

Wer nämlich die Soldaten des Ersten Weltkrieges als die Frucht des Bösen auslegt, wird um die Frucht des Guten betrogen. Sterben muss Gutes wie Böses und auferstehen auch. Die Alternativen sind im Ersten Koritherbrief nachzulesen: „Was gesät wird, ist armselig, was auferweckt wird, herrlich“, und: »Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod«. Bei allem Bestreben, von erzählerischen Details und den Zufälligkeiten des Augenblicks gereinigte Bildsymbole zu etablieren, hat auch Eggers Spätwerk die Bezugnahme auf die sichtbare Wirklichkeit nie ganz aufgegeben, was etwa den Mailänder „magischen Realisten“ Carlo Carrà, der die Bedeutung des Lienzer Malers bemerkenswert früh richtig erkannte, zu der Frage veranlasste, ob nicht „die Bewohner seiner Berge tatsächlich so aussehen?“. Es lohnt sich, der Genese dieses Gedankens in Eggers künstlerischer Entwicklung selbst nachzuspüren.

Die erste Fassung des künftig so oft variierten „Totentanzes“ von Albin Egger-Lienz findet man im Belvedere in Wien. Foto: Sammlung Belvedere

Bereits in den Jahren 1906/07 entstand die erste Fassung des künftig so oft variierten „Totentanzes“, in dem vier bäuerlich gekleidete Männer, Gewehr und Keule geschultert, in bildparalleler Marschrichtung von einem Skelett in die Schlacht geführt werden. 1908 wiederholte Egger-Lienz die Komposition in Kaseintechnik, in Erinnerung an die Tiroler Freiheitskämpfe und zum 60. Thronjubiläum Kaiser Franz Josephs.

Während das Gemälde am Wiener Hof auf Ablehnung stieß, die sogar Eggers Berufung an die Akademie der bildenden Künste verhindert haben soll, hatte der Innsbrucker Dichter Karl Anton Domanig dessen zentrale Aussage präzise erfasst: „Hier bei Egger-Lienz erscheint der Tod nur als Dränger, nicht eigentlich als Überwältiger. Denn freiwillig haben sich die Männer, die so kräftig ausschreiten, dem Tode geweiht …“ Ähnliches gilt für das im selben Jahr vollendete Monumentalbild, in dem die Todessymbolik, wenn schon kein Gesicht, so doch einen Namen und ein Datum bekam: Haspinger Anno Neun.

„Haspinger Anno Neun“ von Albin Egger-Lienz, zu sehen im Museum Schloss Bruck. Foto: Schloss Bruck, Wikicommons

Die von rechts oben diagonal nach links unten stürmende Menge ist durch die Bildränder beschnitten und in der Vorstellung des Betrachters daher beliebig zu erweitern. Lediglich die Figur ihres Anführers beansprucht einen definierten Aktionsraum. Im Fresko „Der Sturm“ an der Südwand der Kriegergedächtniskapelle hingegen sind der Tod und sein Geleit anonym. Folgerichtig ist die im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien aufbewahrte Erstfassung des Bildes „Den Namenlosen“ gewidmet.

„Der Sturm“ von Albin Egger-Lienz an der Südwand der Kriegergedächtniskapelle. Foto: Niederwieser

Wie vollständig und überwältigend muss ein Tod sein, der sogar die Namen seiner Opfer auslöscht? Auch wenn die Neubearbeitung im linken unteren Bildeck die verschiedenen Kriegsschauplätze auflistet: Der ist Feind weder Russe noch Italiener, er ist der gemeinsame Feind aller. Doch wird auch er am Ende besiegt: „Dein Tod werde ich sein, o Tod“, lautet die Bildunterschrift zum „Totenopfer“ an der Altarwand.

„Dein Tod werde ich sein, o Tod“. Auf diesem aktuellen Foto (Dezember 2021) ist gut zu erkennen, dass die Feuchtigkeit in den Mauern der Kapelle bald auch der Tod der Bilder sein könnte! Foto: Niederwieser

Egger-Lienz musste kein Theologe sein, um sein Credo in dieser Weise zu formulieren. Er brauchte es nur im „Catechismus Romanus gemäß Beschluß des Konzils von Trient“ nachzulesen. Dort ist es im 12. Kapitel über das Glaubensbekenntnis in einem einzigen Absatz zusammengefasst. Damit aber lässt sich, wo immer man seine Betrachtung beginnt, jedes Bild auf jedes andere beziehen. Jedem Gläubigen, jedem Kritiker und jedem Priester wäre das damals auch möglich gewesen! Und wer immer noch um Verständnis für die damalige Ablehnung des Auferstandenen wirbt, sei an das Lied vom Gottesknecht bei Jesaja erinnert, in dem „die Schrift“ das subjektive Geschmacksurteil bereits überbietet: „Er hatte keine schöne und edle Gestalt, sodass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm. Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut.“


In unserer Serie künstlerischer Meisterwerke schärft der Kunsthistoriker Rudolf Ingruber – Dolomitenstadt-Leser und -Leserinnen kennen ihn auch als launigen Randnotizen-Schreiber – den Blick auf insgesamt 20 bedeutende Kunstwerke im öffentlichen Raum Osttirols. Denn schließlich gilt: Man sieht nur, was man weiß. Als Fotograf begleitet Helmut Niederwieser diese Kunstdokumentation von dolomitenstadt.at.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

5 Postings

PaulM
vor 2 Jahren

ein sehr schöner beitrag !!.holzmeister + egger lienz....eine herausragende kombination....frage an den kunsthistoriker : wer und wan n schuf das große kruzifix in der Kapelle... wurde es nachträglich hinzugefügt oder war es teil der ürsprünglichen gestalterischen idee?.. ...für mich seit jahren ein rätsel :-) .vielen dank im voraus...arch. paul mandler...sg!

 
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    r.ingruber
    vor 2 Jahren

    Das Kruzifix stammt vom Haller Bildhauer Peter Sellemond (1884-1942). Es wird schon im Aufsatz von Josef Garber 1925 beschrieben. Egger hätte sich ein kleineres gewünscht, um dem Fresko die ursprüngliche Wirkung zu erhalten. Es gibt in der Burg Hasegg in Hall ein Kruzifix von Johann Breitegger aus Berg (1895-1945), das eventuell jenes von Sellemond ersetzen sollte, allerdings nicht in der Kriegergedächtniskapelle angebracht wurde. (Glaube ich halt.)

     
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      PaulM
      vor 2 Jahren

      s.g. herr ingruber....vielen dank für ihre detailierte antwort!..sehr interessant!....hoffe sie beschreiben noch mehr "vergessene" lokale kultur -hier in diesen medium...! ;-) würd mich freuen....sg. paul

       
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Philanthrop
vor 2 Jahren

s.g.Hr. Ingruber Sie haben die Bilder bzw. die Werke Albin Eggers und deren Wirkung auf Kirchenmänner, Ablehnung und Zustimmung, so treffend beschrieben, dass es ein Genuss war diesen Artikel zu lesen. Ich muss auch für mich anmerken, obwohl Egger einer meine liebsten Künstler ist, dass der Artikel bezugnehmend auf inhaltliche Fakten für mich auch sehr lehrreich war. Danke und LG

 
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Kiew
vor 2 Jahren

Wieder ein Danke für diese mehr als interessante Kunstbetrachtung. Konservative und aufgeschlossene Haltung hat und wird es immer geben, unabhängig von Person und Bildung!

 
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