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An der ukrainischen Grenze: Arbeiten, um zu verarbeiten

Der Lienzer Andreas Gläser organisiert Hilfslieferungen nach Krakowez in der Ukraine.

­­­­­­­­­Schon als Andreas Gläser als Jugendlicher im Rahmen eines Jugendcamps zum ersten Mal in die Ukraine reiste, hat ihn das Land in seiner Vielfältigkeit und der Gastfreundschaft fasziniert. „Damals war es aber irgendwie noch so, als würde ein Schatten über dem Land liegen“, erzählt er von seiner ersten Berührung mit dem größten Staat Europas. Das habe sich im Laufe der Zeit geändert, insbesondere seit der Europameisterschaft im Jahr 2012. Seit seiner ersten Ukraine-Reise zog es den gebürtigen Deutschen, der mit seiner jungen Familie in Patriasdorf lebt, immer wieder in die Ukraine. Nicht zuletzt auch deshalb, weil seine Frau Nataliia, die er in München kennenlernte, ukrainische Wurzeln hat: „Unsere Freunde und Verwandten leben in der ganzen Ukraine verteilt.“ „Nataliia weckte mich am Donnerstag um vier Uhr morgens: ‚Sie bombardieren die Städte‘.“ An Schlaf war dann für die beiden nicht mehr zu denken. Oder an irgendeine andere Art von Stillstand. Andreas startete gemeinsam mit Freunden eine spontane Hilfsaktion. Knapp eine Woche nach der Invasion der Russen wurde ein Kastenwagen mit dem Notwendigsten befüllt: „Wir stehen in engem Kontakt mit einer Freundin von uns, Julia, die sich vor Ort engagiert.“ Mitgenommen wird, was am notwendigsten gebraucht wird: Warme Decken, Babynahrung, Medikamente. „Meine Freunde haben gedacht, den Wagen bekommen wir nie voll“, schildert Andreas. Doch das Gegenteil war der Fall: Voll beladen mit Sachspenden aus dem privaten Umfeld machten sich die drei auf zur polnisch-ukrainischen Grenze: 1.150 Kilometer, 13 Stunden Fahrt ohne Zwischenstopp mit wechselnden Fahrern. Das Ziel: Krakowez, eine Stadt knapp hinter der ukrainischen Grenze: „Da ist es im Moment noch ungefährlich.“ Dort erfolgt die Übergabe an Julia und ihre Kollegen, die die Hilfe organisieren - ebenfalls privat: „Julia arbeitet eigentlich 40 Stunden pro Woche in einem anderen Beruf.“ In Krakowez werden die Hilfsgüter aus dem Kastenwagen in kleinere PKWs verladen - sortiert nach Ware. Von dort werden sie von ukrainischen Staatsbürger:innen weiter dorthin transportiert, wo sie am notwendigsten gebraucht werden. Oft unter Zeitdruck: Wer sich nach 22 Uhr noch auf der Straße befindet, wird wie ein Feind behandelt. Eine Hilfsorganisation, an welche Julia die Sachspenden übermittelt, kümmert sich um die gefährlichsten Gebiete in der Ukraine.
Koordination der Lieferungen an der ukrainischen Grenze: Der Lienzer Andreas Gläser mit Julia und ihrem Ehemann Vadim. Foto: Privat
„Die Idee war ursprünglich, Freunde oder Verwandte mit nach Österreich zu nehmen, wenn wir mit dem leeren Kastenwagen zurückfahren,“ erzählt Andreas. „Das wollten sie schon von Vornherein nicht, aber ich habe gedacht, es ist was anderes, wenn ich dann dort bin.“ Fehlanzeige: „Sie wollen bleiben.“ Ein befreundetes Pärchen lebt in Kiew: „Wir haben sie angefleht zu fliehen, aber beide wollen bleiben: Er kämpft, sie will ihn unterstützen.“ Was die Ukrainer:innen durch diese Zeit trägt und weitermachen lässt ist auch für Andreas ein Rätsel, aber: „Sie haben einen wahnsinnigen Nationalstolz, wie wir ihn in Deutschland und auch in Österreich gar nicht kennen. Sie wollen sich ihr Land nicht von den Russen wegnehmen lassen.“ So mussten sich Andreas und seine Kollegen allein auf den Heimweg machen. Allerdings nicht ganz: Auf dem Rückweg über die ukrainische Grenze nahmen sie eine schwangere Frau und ihre Kinder mit nach Polen. „Viele Frauen machen sich mit ihren Kindern und Babys zu Fuß von Lviv aus auf den Weg zur Grenze. Das sind 60 bis 80 Kilometer bei eisigsten Temperaturen.“ Die Väter müssen in der Ukraine bleiben. „Ich sehe in jedem Baby meine eigene Tochter, die gerade vier Monate alt ist“, erzählt Andreas. „Ich habe dort an der Grenze erwachsene, gestandene Männer weinen gesehen, das Ganze ist unfassbar.“ Wie er seine Eindrücke verarbeitet? „Indem ich was tue, Pläne für den nächsten Tag schmiede und darüber spreche. Unter anderem macht er das auf einem Instagram-Kanal: „Es ist eine Sache, Hilfsgüter mit in die Ukraine zu nehmen, genauso ist es ein Beitrag, Berichterstattung von dort mit nach Hause zu bringen.“ Berichtet wird auf dem Instagram-Account nur, was Andreas und seine Freunde auch selbst überprüfen können.
"Ich sehe in jedem Baby meine eigene Tochter", schildert Andreas. Foto: Privat/Gläser
Was ihm noch hilft, ist die unendlich große Dankbarkeit, welche die Ukrainer:innen den Helfer:innen entgegenbringen und die Kraft, die von den vielen Hilfstrupps, die teils privat, teils organisiert aus allen Teilen Europas an die ukrainischen Grenzen fahren, ausgeht. „Man weiß gar nicht wo anfangen. Aber die Reaktion eines einzelnen Kindes, wenn es Handschuhe bekommt oder Süßigkeiten, ist unbezahlbar.“ Andreas macht sich am Freitag ein weiteres Mal in Richtung Ukraine auf - wieder mit einem Kastenwagen voll Hilfsgütern und der Bereitschaft Flüchtende mit über die Grenze nach Polen zu nehmen. Wer die Fahrt und Andreas’ Eindrücke mitverfolgen will, kann das beinahe live auf seinem Instagram-Account tun. Bis einschließlich 20. März können noch Sachspenden am Tschapeller Parkplatz (Wolkensteiner Straße beim Atelier Marianne) von 10 bis 17 Uhr abgegeben werden. Am notwendigsten benötigt werden derzeit Nahrungsmittel und Babynahrung.
Anna Maria Huber unterrichtet an der International School in Innsbruck und schreibt nicht nur für dolomitenstadt.at sondern auch für die Straßenzeitung 20er. Annas Stärken sind penible Recherchen und die Fähigkeit, komplexe Inhalte in klare und verständliche Artikel zu verwandeln.

2 Postings

Enrico Andreas Menozzi
vor 2 Jahren

Die Ukrainer sind wahre Europäer , der Wille zur Freiheit und eine positive Veränderung mit EU Hilfe ( weniger Korruption, bessere Zukunft ) wird teiweise bis zum Tod verteidigt . Die Frauen sind sehr stark , viele bleiben um bei der Verteidigung zu helfen , oder bringen ihre Kinder in Sicherheit. Wahnsinn die Bilder von die vielen Haustiere die sie nicht zurück lassen , und mit zu uns bringen . Viele werden bestimmt wegen der Zerstörung in Tirol bleiben , eine absolute Bereicherung und alle werden Jobs bekommen da willige Menschen dringend benötigt werden . Die Kinder bereichern die Schulen , Sportvereine und Musik , da Ukrainer und Russen meistens überdurchschnittlich in Musik , Sport und Mathematik .

 
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isnitwahr
vor 2 Jahren

weiß irgendwer, was mit dem aufgelassenen Jugendhaus vom SOS Kinderdorf in der Debant ist? könnte man hier nicht vorübergehend auch Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine unterbringen? Vielleicht kann mir das jemand beantworten.

 
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