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Ärztemangel: „Landarzt ist nicht gleich Landarzt“

Wie Kassenstellen attraktiver gemacht werden und wo es in der Ausbildung stockt: Arno Melitopulos (ÖGK) im Interview.

Zwei unbesetzte Augenarztkassenstellen, eine lückenhafte Übergabe der allgemeinmedizinischen Kassenstelle in Huben, wechselnde praktizierende Ärzte in St. Jakob im Defereggental, während gleichzeitig österreichweit das Wort „Ärztemangel“ durch die Medien schwirrt - sollten wir uns also um die gesundheitliche Versorgungslage in Tirol sorgen?

Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, hat sich Dolomitenstadt.at mit Arno Melitopulos-Daum, Bereichsleiter der Österreichischen Gesundheitskasse, getroffen. Sorgen mache er sich schon, aber eher im Sinne von „sich verantwortlich fühlen“, meint er, schließlich sei es seine Aufgabe, sich um die Gesundheitsversorgung in Tirol und auch in den anderen Bundesländern zu kümmern.

Gerade was Osttirol betreffe, sei die Versorgungslage gut, sämtliche Planstellen der ÖGK sind besetzt, offen sind eine Kassenstelle für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde sowie – wie bekannt – zwei der drei Augenarztstellen: „Osttirol ist eigentlich ein Paradebeispiel, andere Regionen würden sich freuen, wenn sie so eine Situation hätten“, meint Melitopulos.

Arno Melitopulos über die ärztliche Versorgung in Osttirol: „Andere Regionen würden sich freuen, wenn sie so eine Situation hätten.“ Foto: Dolomitenstadt/Wagner

Nichtsdestotrotz müssen sich Politik und Gesundheitswesen auf herausfordernde Zeiten einstellen: Eine Studie des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO) besagt, dass bis zum Jahr 2050 selbst unter optimistischen Annahmen eine markante Lücke in der ärztlichen Versorgung entstehen wird, in erster Linie bedingt durch den demografischen Wandel und einem damit zu erwartenden Anstieg der Nachfrage an ärztlichen Leistungen.

Wir haben in den letzten Jahren mit den Ärzt:innen Abschlüsse deutlich über den Kollektivverträgenl vereinbart.

Arno Melitopulos, ÖGK - Fachbereichsleiter Versorgungsmanagement 3

Hinzu kommen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, wie Melitopulos erklärt: „Eine Work-Life-Balance wird immer wichtiger“, das könne man in allen Branchen beobachten. Es mangle nicht unbedingt an der Anzahl der Menschen, sondern eher an der Anzahl der Stunden, die diese zu leisten bereit sind. Damit sei es nicht immer die Bezahlung, die die Zufriedenheit der Ärzt:innen ausmache: „Wir haben in den letzten Jahren mit den Ärzt:innen Abschlüsse deutlich über den Kollektivverträgen vereinbart." Auch das Problem, dass ein/e Ärzt/in, je mehr er/sie Patient:innen behandelt, weniger Geld für die Leistungen bekommt, sei einfach erklärt: „In den Honoraren steckt ja nicht nur die ärztliche Leistung drin, sondern auch die Kosten für die Ordination, die Angestellten usw. Und die erhöhen sich ja bei mehr Patient:innen nicht unbedingt.“

Der Work-Life-Balance und auch der „Verweiblichung“ der Gesundheitsberufe, die sich ebenfalls auf die Arbeitszeiten auswirken, versuche man mit mehreren Modellen entgegenzukommen, um Kassenstellen gegenüber Wahlarztstellen attraktiver zu machen: Gemeinschaftspraxen, eine Vereinfachung der Übernahme von Ordinationen oder Primärversorgungszentren, die demnächst in Tirol eingeführt werden sollen – auch in Sillian gibt es bereits Interessenten – sollen das Vertragsarzt-Leben vereinfachen. Zusätzlich bietet die ÖGK ein „Sorglos-Paket“ an: Wer eine Kassenstelle annehmen möchte, wird in sämtlichen organisatorischen Belangen unterstützt.

„Im Zeitraum von 2017 bis 2021 hat sich die Inanspruchnahme von Kassenärzten in Tirol um 17 Prozent gesteigert“, rechnet Arno Melitopulos vor. Foto: Dolomitenstadt/Wagner

Böse Zungen behaupten mitunter, dass eine Nicht-Besetzung einer Kassenstelle der ÖGK ganz gelegen komme, weil dann mehr Menschen zu einem Wahlarzt wechseln müssen und sich die Krankenkasse so Geld spart. „Das ist eine Stammtischweisheit“, meint Melitopulos dazu. „Im Zeitraum von 2017 bis 2021 hat sich die Inanspruchnahme von Kassenärzten in Tirol um 17 Prozent gesteigert, wenn Kassenstellen ausfallen, verteilen sich die Menschen eher auf andere Vertragsärzt:innen, als einen Wahlarzt aufzusuchen.“ Und „Geld sparen“ könne die Kasse ohnehin nicht: „Alle Beträge, die wir einnehmen, werden auf die einzelnen Berufsgruppen verteilt. Verbraucht eine Gruppe weniger, als wir budgetiert haben, wird das Geld sofort woanders eingesetzt.“

Einnahmeorientierte Ausgabenpolitik sei der Schlüsselbegriff der ÖGK: „Wir arbeiten immer mit dem gleichen Budget – natürlich inflationsangepasst. Die Anforderungen sind durch neue Technologien und innovative Medikamente allerdings gestiegen.“

Der Bedarf an Ausbildungsplätzen ist eine Managementfrage, die zwischen den Universitäten, Krankenhäusern und Ländern sicherzustellen ist.

Arno Melitopulos, ÖGK

Um dem Mangel an (Kassen-)Ärzten nachhaltig entgegenzuwirken, muss an mehreren Stellschrauben gedreht werden: An der Attraktivität des Berufes, was mehr Flexibilität und eine Vereinfachung der Rahmenbedingungen voraussetzt, aber auch bei der Ausbildung muss angesetzt werden: Es gebe ausreichend Medizinstudenten, aber zu wenig Ausbildungsplätze an den Krankenhäusern. Wie das sein kann? „Das frage ich mich auch“, meint Melitopulos. In Österreich gebe es derzeit keine Ressourcenplanung, die die Anzahl der Studienplätze mit den Ausbildungsplätzen sowie dem Bedarf an Ärzten abgleicht: „Das ist eine Managementfrage, die zwischen den Universitäten, Krankenhäusern und Ländern sicherzustellen ist.“ Man müsse ein „Durchmarschieren“ durch das Studium garantieren können, auf Ausbildungsplätze warten zu müssen, sei „zynisch“ und fördere die Abwanderung junger Mediziner ins Ausland.

Die Nachbesetzungen von Kassenstellen werden sich – insbesondere in Osttirol – dennoch ausgehen, so Melitopulos: Die im ORF-Interview angekündigten Interessenten für die beiden Augenarzt-Kassenstellen bestätigt er auch im Gespräch mit Dolomitenstadt.at, weiters würden auch die Gespräche mit der Kufsteiner Augenklinik laufen und er setzt Hoffnung in die Telemedizin, die auch im Bereich der Augengesundheit Vorteile bringen könnte. Außerdem sei geplant, gemeinsam mit der SVS und der BVAEB eine weitere Augenarztkassenstelle im Bezirk Lienz auszuschreiben.

Auch wenn oft über den „Landärzte-Mangel“ diskutiert wird, Landarzt sei nicht gleich Landarzt: „In Niederösterreich gibt es Gemeinden, da ist halt sonst auch überhaupt nichts, was eine Kassenstelle attraktiv machen würde, da will dann auch keiner hin. Im Bezirk Lienz ist es ja auch zum Leben schön“, erklärt Melitopulos, warum es gerade in touristischen Regionen einfacher sei, Kassenstellen zu besetzen.

Anna Maria Huber unterrichtet an der International School in Innsbruck und schreibt nicht nur für dolomitenstadt.at sondern auch für die Straßenzeitung 20er. Annas Stärken sind penible Recherchen und die Fähigkeit, komplexe Inhalte in klare und verständliche Artikel zu verwandeln.

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4 Postings

Eye de Net
vor einem Jahr

"Zwei unbesetzte Augenarztkassenstellen, eine lückenhafte Übergabe der allgemeinmedizinischen Kassenstelle in Huben, wechselnde praktizierende Ärzte in St. Jakob im Defereggental"... also die Gruppenpraxis in St. Jakob als Problem zu bezeichnen ist von der Reporterin doch ein starkes Stück. Das sind genau die subtilen Spitzen gegen Dr. Walder und sein Team, mit der sich Osttirol seine Versorgung selber ruiniert. Die Zeit wird kommen, wo man um diese "ständig wechselnden Ärzte" noch froh sein wird im Bezirk - außer man hat sie bis dahin eliminiert. Einerseits bemängelt man die verzögerte Übergabe in der Hube, dann ist aber die lückenlose Übernahme und NACHHALTIGE (das kann man jetzt nach 8 Jahren schon sagen) Fortführung eines 24h-Dienstes im Defreggen auch nicht recht. Ja was denn jetzt, Frau Huber? Was ich Melitoupulos gefragt hätte: -Stimmt es, dass sich Dr. Dapra jun. vor Jahren um einen Kassenvertrag bemüht hat, die ÖGK aber keinen Bedarf gesehen hat? -Stimmt es, dass die ÖGK dem einzigen niedergelassenen Infektiologen in Österreich seit Jahren mangels Bedarf einen Vertrag verweigert, obwohl inzwischen eine Pandemie das ganze Land verwüstet hat? -Wieso hat Dr. Weger nicht in der Praxis vom Obl anfangen dürfen sondern muss jetzt Container aufstellen? Wie unterstützt das die ÖGK? Oder ist das eh wurscht, solange man eine Dumme findet? -Warum hat das exponierte Villgratental mit 1700 Einwohnern trotz Interessenten keine Kassenstelle für Allgemeinmedizin, Sillian mit 2100 Einwohnern drei? -Warum müssen Mehrfachbesetzungen im Katastrophenfall von Dr. Walder bezahlt werden und nicht von der ÖGK oder dem Land? -Warum darf ein Allgemeinmediziner, der gleichzeitig Internist ist (Dr. Kögler, z.B.) den Herzultraschall fürs Entresto nicht selber auf Kassenkosten durchführen, sondern muss mich dazu zum Vertragsinternisten schicken, wo ich wochenlang auf einen Termin warte oder ich zahls privat? -Könnte es sein dass die Bedarfsprüfung durch die ÖGK so nicht funktioniert (schon Gorbatschow erklärte die Planwirtschaft für gescheitert?) -Ist es nicht zynisch zu sagen, jeder Arzt soll einen Kassenvertrag bekommen (Huss) bzw. zur Annahme gezwungen wedren (Hacker) und gleichzeitig immer den mangelnden Bedarf vorzuschieben bzw. Fachärzten auf Allgemeinmedizinerstellen (DANKE an dieser Stelle, dass ihr euch das antut) die Abrechnung der fachärztlichen Leistungen verweigert? -Wieso bekomme ich bei Dr. Walder als Wahlarzt von der ÖGK gar nichts refundiert obwohl mich mein Hausarzt wegen Borreliose raufgeschickt hat? Das Problem war dann übrigens gelöst... -Stellt es eine Attraktivierung dar, wenn man die Kassentarife um (lt. Zeitung) 3% erhöht, die Inflationsrate aber 10% beträgt? -Glauben Sie ernsthaft, Dr. Trojer und Dr. Huber machen ein PVZ wenn der eine die Hausapotheke verliert und die Tarife gekürzt werden? Warum sollten sie das tun? -Warum werden Basisleistungen (Röntgen, Ultraschall, Labor, etc.) beim Allgemeinmediziner nicht mehr angeboten, sondern nur mehr in der KH-Ambulanz oder beim Facharzt? Geht von mir aus in Innsbruck, aber in Osttirol? Echt jetzt? -Ist Ihnen klar, dass man mit einem oder zwei Ärzten (141 im Iseltal und Pustertal) keinen durchgehenden Nachtdienst aufrechterhalten kann, der funktioniert? -Wie stellt sich die ÖGK in Zukunft die Versorgung in der Nacht vor? 144 und die Rettung karrt Dich 50 km ins Krankenhaus? Und dann regt man sich auf, dass das Krankenhaus mit Bagatellen geschwemmt wird? -Hat die ÖGK einen Plan, was passiert wenn eine exponierte Praxis (Defreggen, Virgen, Obertilliach,...) ausfällt? Arzt verunfallt, Gebäude brennt? Was dann? Das, sehr geehrte Redaktion, hätte ich gerne gewusst. Den hier abgesonderten Blabla kennen wir schon :-)

 
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    wolfgangwien
    vor einem Jahr

    Ja, im Gesundheitsbereich gibt es von Ländern, Kammern und Krankenkasse nur Bla Bla. Keiner sagt die Wahrheit und will etwas ändern.

     
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wolfgangwien
vor einem Jahr

Leider ist das Gesundheitswesen laut Verfassung Sache der Länder. Ein Systemfehler der sich nicht beheben lässt!!!

Die Zukunftsaussichten in dieser Sache sind nicht rosig.

 
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isnitwahr
vor einem Jahr

Mich interessiert brennend, was Dr. Gernot Walder zu diesem Interview sagt. Er hat sich jahrelang um eine Kassenstelle bemüht und sie nie bekommen. Das riecht verdammt nach ..... Wer hatte da wohl seine Finger im Spiel? "Es gäbe ausreichend Medizinstudenten, aber zu wenig Ausbildungsstellen in den Krankenhäusern!" -ich habe mir jetzt gerade die Hompages der öffentlichen Krankenhäuser Tirols angeschaut, da gibts überall offene Ausbildungsstellen, komisch oder? Also diese angesprochene Ressourcenplanung die Angebot und Bedarf gegenüber stellt wäre doch mit ein bisschen gutem Willen locker und schnell zu bewerkstelligen. Aber so wie es ausschaut wird da ähnlich unprofessionell gewerkelt und die Verantwortung hin und her geschoben, so wie bei der Pflege. Mit ein paar "Guttilen" füttern, dann werden's schon wieder ein Weilchen still sein. Mir graut vor der Zukunft.

 
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