Das Interview findet dieses Mal über Zoom statt – geht auch gar nicht anders, da meine heutige Interviewpartnerin Sofie bereits seit sechs Jahren im norwegischen Oslo wohnt. Das berühmte „Hygge“-Gefühl erhalte ich aber dennoch, nachdem sie ins Schwärmen über das nordische Land gerät.
Die Wurzeln der 26-jährigen Wahl-Norwegerin liegen in Dölsach, wo sie mit ihren Eltern und ihren beiden Schwestern aufgewachsen ist. Nach dem Besuch der NMS Nußdorf-Debant und der Matura im Musik BORG Lienz entschied Sofie sich für das Studium der Orthoptik an der FH Salzburg. Damals, vor mittlerweile acht Jahren, haben wir die sympathische Dölsacherin zum ersten Heimweh-Interview getroffen.
Im Verlauf ihrer Studienzeit hat sie zwei freiwillige Auslandspraktika absolviert. Eines davon in Zürich, das andere in Oslo. Zweiteres hat es ihr besonders angetan: „Damals in Norwegen hat alles so gut gepasst und als dann sogar in absehbarer Zeit eine Karenz-Stelle in meinem Praktikumsbetrieb, der Universitätsklinik, frei geworden ist, musste ich nicht lange überlegen“, erinnert sie sich. So fasste sie den Entschluss nach Oslo auszuwandern, und zog nur zwei Wochen nach ihrer letzten Uni-Prüfung im August 2018 in die norwegische Hauptstadt.
Ihr Arbeitsvertrag als Orthoptistin in der Universitätsklinik war vorerst auf ein Jahr ausgelegt. „Zu Beginn war eher mein Plan, nach Ablauf dieses Jahres wieder nach Österreich zurückzukehren. So habe ich mir vorgenommen, viele Erfahrungen zu sammeln und zu schauen, wie mir die Arbeit und das Land gefallen.“ Gesagt, getan. Nachdem Sofie nach ihrem ersten Jahr in Norwegen einen unbefristeten Vertrag erhalten und diesen auch angenommen hat, wurde der Plan kurzerhand geändert.
Zu der Arbeit in der Universitätsklinik kam Anfang 2020 ein erster Geschmack von Selbstständigkeit hinzu. „Mit vier Augenärzten teile ich mir eine Gemeinschaftspraxis, in der ich seit vier Jahren als selbstständige Orthoptistin tätig bin.“ Die Praxis sei die einzige in ganz Oslo, die diese Zusammenarbeit von Augenärzten und Orthoptistin anbiete, dementsprechend gut werde das Angebot angenommen, erklärt Sofie.
2020 kehrte Sofie zudem an ihre ehemalige Ausbildungsstätte, die FH Salzburg, zurück. Dieses Mal aber in lehrender Funktion. „Ich darf dort pro Lehrgang jeweils das Unterrichtsfach ‚Englisch im Berufsfeld‘ unterrichten, das ist auch von Norwegen aus problemlos virtuell möglich.“ Eine neue Herausforderung für Sofie, von der sie einiges mitnimmt: „Wenn man sich reinhängt, kann man vieles schaffen. Ich lerne beim Unterrichten auch für mich selbst viel dazu, das taugt mir sehr!“
„Wir sind dem Sommer nachgereist und immer dort geblieben, wo es uns gefallen hat.“
Anfang 2022 fasste sie den Entschluss, gemeinsam mit ihrem Partner ein „Gap Year“ zu machen. Das Paar kündigte Jobs und Wohnung und verbrachte sowohl einige Zeit in Sofies Heimat Osttirol als auch in der thailändischen Heimat ihres Partners. „Wir haben probiert, in verschiedenen Ländern zu leben. Neben unseren Heimatbesuchen haben wir sechs Monate in Japan verbracht und waren auch einige Zeit in den USA unterwegs.“
Mitte 2023 kehrten die Reisenden nach Oslo zurück, wo sie sich vorerst niedergelassen haben. „Nach so vielen Reisen ist es jetzt wieder ruhiger geworden“, erklärt Sofie. Die Familien in Thailand und Osttirol werden natürlich trotzdem mindestens einmal pro Jahr besucht.
Während ihres Gap Years 2022 entschloss sich Sofie dazu, eine Ausbildung zum „Integrative Nutrition and Health Coach“ zu machen, die sie mittlerweile abgeschlossen hat. Derzeit absolviert sie eine darauf aufbauende Zusatzausbildung in„Female Hormonal Health“. Beide Ausbildungen absolviert(e) sie jeweils als Fernstudium am New Yorker „Institute for Menstrual Health“.
Derzeit baut sie neben ihrer Arbeit als Orthoptistin ein Health Coaching Business in ihrer Wahl-Heimat Oslo auf, wobei sie einen besonderen Schwerpunkt auf Kopfschmerz und Stress am Arbeitsplatz setzen möchte. Ein angenehmer Nebeneffekt einer zukünftigen Selbstständigkeit wäre die Möglichkeit, von überall aus arbeiten zu können: „Manchmal will man einfach heim, wenn es einen überkommt, das wäre mit dem Health Coaching möglich!“ Dennoch möchte Sofie ihrer Arbeit als Orthoptistin aber auch weiterhin treu bleiben und die beiden Berufsfelder im Idealfall kombinieren.
„Wenn man nicht in der (Fremd-)Sprache des Landes arbeitet, kommt man nie auf ein stabiles Level.“
Neues Land, neue Sprache. „In meiner Arbeit spreche ich eigentlich nur Norwegisch.“ Wie die Osttirolerin die Fremdsprache so schnell fließend lernen konnte, sei ihr selbst manchmal ein Rätsel, erklärt sie. „Zu Beginn meiner Arbeit in der Universitätsklinik habe ich viel mit einer österreichischen und einer deutschen Kollegin zusammengearbeitet, das hat mir sehr geholfen.“ Abgesehen davon habe sie sich die Sprache selbst beigebracht und von Anfang an auf konsequentes Üben geachtet.
„Ich wollte in der Arbeit nicht Englisch sprechen und nebenbei Norwegisch lernen.“ Wenn sie Sachen am Anfang nicht geschafft habe, wurden die Patient:innen um Hilfe gebeten. „Da waren wirklich alle sehr nett und hilfsbereit. Sie haben mich immer ermutigt und mir bei Ausdrucksweisen usw. auf die Sprünge geholfen.“ Zur damaligen Zeit hat Sofie vorwiegend mit Kindern gearbeitet – besonders strengen Lehrmeister:innen, wie sie schmunzelnd erzählt: „Die sagen dir dann gleich, wenn du was nicht ganz richtig sagst, aber dadurch habe ich schnell gelernt!“
Wie ist das, wenn man so weit weg von zu Hause wohnt? „Ich komme im Schnitt alle paar Monate heim nach Österreich. Die genauen Zeitpunkte kommen dann auf Flugpreise, Zeiträume und Events an.“ Oft fliegt Sofie direkt nach Wien. Dadurch, dass ihre beiden Schwestern in der Bundeshauptstadt wohnen, ergibt sich das gut. „Meine Mama kommt dann einfach mit dem Zug zu uns – ich bin nämlich sogar schneller von Oslo in Wien, als sie es von Osttirol aus schafft“, fügt sie mit einem Augenzwinkern an.
Der Bezug zur Heimat ändere sich für jeden, der mindestens einmal länger von zu Hause weggeht.„Das finde ich gut, da man so viele Dinge einfach anders sieht.“ Der sanfte Drücker hinaus aus der Komfortzone bringt laut Sofie nur Vorteile. „Die Frage ist halt, ob man wieder heimkommt, oder nicht (lacht).“ Ihre Gefühle gegenüber der Heimat seien aber auf jeden Fall unverändert geblieben. Momentan kommt eine langfristige Rückkehr nach Osttirol für sie nicht infrage, denn: „Ich komme sehr gern heim, aber derzeit fühle ich mich in Oslo zu wohl.“
„Aktiv draußen in der Natur unterwegs sein – den norwegischen Lifestyle nimmt man automatisch an.“
In ihrer Freizeit trifft man sie bei Outdoor-Aktivitäten. „Mir gefällt an Oslo, dass man die Natur immer in Griffweite hat. Wir leben direkt am Fjord, gehen oft Schwimmen, Kajaken und in die Sauna. Im Winter gehe ich gerne Eisbaden und Langlaufen.“ Einzig das Wandern geht aufgrund der flachen Umgebung nicht.
„Die Norweger leben das Sprichwort ‚Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung‘.“ Ohne Bedenken werde auch bei Temperaturen jenseits der 0-Grad-Grenze fleißig Sport betrieben. Der Begriff „Hygge“ (= gemütliche, herzliche Atmosphäre, in der man das Gute des Lebens zusammen mit lieben Leuten genießt) ist ebenfalls aktiver Teil der norwegischen Kultur. „Dabei setzt man sich mit Freunden in ein Cafe und trifft sich auf eine Zimtschnecke, ganz dem Klischee entsprechend.“
Wichtiger Bestandteil des Lebensstils der Norweger ist auch eine gute Work-Life Balance. Es sei üblich, nachmittags bis halb vier Uhr zu arbeiten und sich danach der Familie, dem Sport oder anderen Freizeitaktivitäten zu widmen. „Als ich in der Universitätsklinik gearbeitet habe, haben mich die Leute oft sogar nach 16 Uhr gefragt, was ich denn noch hier machen würde, ich solle doch nach Hause gehen“, erzählt sie lächelnd.
Rückblickend auf die vergangenen Jahre ist Sofie vor allem ihre Studienwahl in positiver Erinnerung geblieben. „Ich habe mit meinem Job ein großes Privileg, da die Nachfrage konstant sehr groß ist und ich mir später keinen Stress um Jobmöglichkeiten machen muss.“ Auch für ihre Entscheidung, länger ins Ausland zu gehen, ist sie dankbar. Über den Entschluss, ihre aktuelle Ausbildung zum Health Coach begonnen zu haben, hält sie fest: „Zu merken, dass einem im Arbeitsalltag etwas fehlt und sich dann zu erlauben, den eigenen Blick zu erweitern und zu schauen, was man noch machen kann – das finde ich ein wichtiges Learning!“
Auf die Frage hin, welchen Ratschlag sie ihrem 19-jährigen Ich auf den Weg geben könnte, grübelt sie ein wenig. „Wenn man sich selbst einen Ratschlag geben würde, heißt das vielleicht, dass man nicht zufrieden ist mit dem, wie die Sachen gelaufen sind. Ich kann mir keinen Rat geben, Sachen anders zu machen. Vielleicht eher etwas Bestärkendes wie ‚Bleib offen, bleib neugierig und nimm Chancen an, wenn sie kommen.‘“ Abschließend fügt sie hinzu: „Ich finde nicht, dass man super viel erreichen muss, denn Zufriedenheit kann man mit ein bisschen Übung immer finden.“
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