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„Sonst geht der Hexensabbat von vorne los“

Vor 90 Jahren wurde der letzte Wunsch von Albin Egger-Lienz erfüllt.

Am 4. November 1927, vor 90 Jahren, wurde einem großen Künstler der Stadt Lienz klammheimlich ein letzter Wunsch erfüllt. Die Rede ist von Albin Egger-Lienz, der genau ein Jahr zuvor, am 4. November 1926 verstorben war. Sein Leichnam wurde damals in der St. Antonius-Kapelle am Hauptplatz aufgebahrt und dann – von einem großen Trauerzug begleitet – in einer Ehrenarkade auf dem städtischen Friedhof von Lienz beigesetzt. Albin Egger-Lienz war schon zu Lebzeiten eine Berühmtheit. Seinem Wunsch entsprach diese Ruhestätte allerdings nicht. Der Künstler wollte ausdrücklich in der Kriegergedächtniskapelle – die er gemeinsam mit Clemens Holzmeister gestaltet hat – begraben werden, was ihm Stadt und Kirche vorerst verwehrten. Der Vatikan hatte nämlich ein „Interdikt“ über die Kapelle verhängt, einen kirchlichen Bann, der jede gottesdienstliche Handlung verbot. Grund war Eggers Bild „Der Auferstandene“ über der Eingangstüre. Auch die anderen Bilder der Kapelle stießen vielen Konservativen sauer auf: Sie zeigten nicht die erwartete Verherrlichung und Idealisierung der Soldaten. Die Darstellung Christi aber, die entfesselte einen handfesten Skandal. Nicht glorreich und triumphierend wird der Erlöser gezeigt, sondern abgemagert und kraftlos. Allein die Beinstellung war für viele skandalös! Egger weigerte sich, das Bild abzunehmen.
Dieses Bild von Albin Egger-Lienz provozierte einen kirchlichen Bann über die Krieger-Gedächtniskapelle, in der der Künstler begraben liegt. Erst ein Jahr nach seinem Tod wurde ihm dieser Wunsch erfüllt. Foto: Wolfgang C. Retter
Der Osttiroler Klerus startete eine Unterschriftenaktion, an der sich viele beteiligten, es kam aber auch zu einem Gegenprotest innerhalb des Klerus. Das lieferte Schlagzeilen über Österreichs Grenzen hinaus. Manche Medien machten sich lustig über die Rückständigkeit der Kirchenherren, andere über das Bild selbst. Im Tiroler Volksboten glaubte ein anonymer Schreiber zu wissen: „... Die Leute sagen z.B.: Wir würden uns bedanken, wenn wir so auferstehen würden; wir würden uns schämen, wenn wir einen solchen Menschen in unserer Verwandtschaft hätten;... Jetzt malen sie Christus gar mit einem Bubikopf!...“ In Tirol war der „Auferstandene“ plötzlich zu einem Politikum geworden. Am 8. September 1925 wurde das Bezirks-Kriegerdenkmal mit Gedächtniskapelle feierlich eingeweiht: Es herrschte Festtagsstimmung in der ganzen Stadt Lienz mit etwa 10.000 Besuchern. Ohne Beisein Eggers. Einige Monate später wurde das Interdikt von Rom über die Kapelle verhängt. Die Bevölkerung ahnte davon vorerst nichts. Doch als am Allerseelentag bei der Prozession durch die Arkaden die Kapelle gemieden wurde, habe es laut Dekan Stemberger „großes Aufsehen“ gegeben. Erst 62 Jahre nach diesen Ereignissen wurde die Kapelle vom Kirchenbann befreit. Dass der Wunsch Eggers, in seinem großen Werk begraben zu werden, schon ein Jahr nach seinem Tod in Erfüllung ging, war vor allem dem Bestreben der Witwe des Künstlers und dem damaligen Lienzer Bürgermeister Oberhueber zu verdanken. Er drohte sogar damit, den Leichnam des Ehrenbürgers der Stadt Lienz nach Innsbruck zu bringen, um ihn dort in einem von der Stadt Innsbruck bereitgestellten Ehrengrab zu bestatten. Das wäre peinlich gewesen! Also stimmte die Kirche zu: „Sonst geht der Hexensabbat von vorne los.“ Inzwischen nimmt niemand mehr Anstoß an den Bildern. Das Bezirkskriegerdenkmal mit der Gedächtniskapelle gehört zu den beeindruckendsten Gedenkstätten in ganz Österreich und Albin Egger-Lienz zu den wichtigsten Expressionisten des Landes. Die Botschaft des Zyklus mit dem Auferstandenen am Ende wird heute von den Besuchern meistens verstanden, manchmal erst nach Erläuterungen. An der schweren Eingangstür zur Kapelle ist zu lesen: „Dieses Denkmal ehrt Osttirols Helden der 2 Weltkriege. Schön sollte Eggers „Auferstandener“ niemals sein. In den Weltkriegen wurden 3.234 Osttiroler als Soldaten niedergemetzelt, erschossen, sind erfroren oder irgendwie anders verreckt. Das hat absolut nichts Heldenhaftes. Krieg ist nicht schön - weder damals noch heute.
Evelin Gander ist nicht nur Stadtführerin und Biobäuerin, sondern auch Ideenlieferantin und Geschichtenerzählerin mit viel Einfühlungsvermögen. Thema ihrer Reportagen und Podcasts ist das Leben in all seinen Facetten.

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