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Big Business statt bewährte medizinische Nahversorgung?

Ärzte im Iseltal warnen vor Zerstörung von Strukturen und stellen sich vor Gernot Walder.

Anton Huber ist seit Jahrzehnten niedergelassener Arzt in Virgen, Cornelia Trojer ist Ärztin in Matrei. Beide könnte man als Landärzte bezeichnen und doch sind ihre Rollen vielschichtiger als das klassische Bild vom ländlichen Hausarzt. „Mein Piepser ist eingeschaltet“, erklärt Cornelia Trojer am Dienstagvormittag bei einem Pressegespräch im Matreier Ärztezentrum, das ihre Familie aufgebaut hat. Trojer ist auch Notärztin. Diese Doppelfunktion ist auf dem Land durchaus üblich. Die dort angesiedelten Ärztinnen und Ärzte führen ihre Ordinationen und sind zugleich auch als Notärzte im Einsatz. Doch damit nicht genug. Außerhalb der Ordinationszeiten, also nachts und an den Wochenenden, muss in den Tälern auch eine allgemeinmedizinische Versorgung gewährleistet werden. Da geht es nicht um Leben und Tod, sondern um tausenderlei Beschwerden und Krankheiten, die eben auch einmal außerhalb der Öffnungszeiten akut werden können. Da ruft man nicht die Rettung, sondern einfach den Doktor. Deshalb gibt es einen ärztlichen Nacht- und Wochenenddienst, der organisatorisch nichts mit dem Notarztsystem zu tun hat, sehr wohl aber koordiniert mit diesem zusammenarbeitet. Die Betonung liegt auf „koordiniert“, denn an der Frage der Koordination und letztlich auch der Gesamtorganisation der medizinischen Versorgung in den Osttiroler Tälern scheiden sich aktuell die Geister – vorsichtig ausgedrückt.
Cornelia Trojer und Anton Huber sind seit Jahrzehnten im Iseltal als niedergelassene Ärzte und im Notdienst tätig. Jetzt platzt ihnen der Kragen, weil ein bewährtes System torpediert wird. Foto: Dolomitenstadt/Pirkner
Anton Huber und Cornelia Trojer entschlossen sich zum Gang in die Öffentlichkeit, weil sie ein gutes und funktionierendes System bedroht sehen. Aufgebaut hat dieses System in seiner heutigen Form Gernot Walder, niedergelassener Arzt im Villgratental, auch Notarzt und weit über die Grenzen hinaus bekannter Virologe. Der unermüdliche Mediziner ist die Drehscheibe und das Mastermind des Osttiroler Notarztverbandes, der in Selbstorganisation schafft, was anderswo mit großem Aufwand nicht gelingt: 24 Stunden rund um die Uhr auch in entlegenen Tälern und Ecken des Bezirkes eine kompetente ärztliche Versorgung anzubieten. Ein Klick auf diesen Link genügt, um die Struktur dieses Verbandes zu begreifen. Auch die dahinterstehenden Medizinerinnen und Medizinier sind dort aufgelistet, unter ihnen Huber und Trojer. Den Verband gibt es seit 2010, die Koordination erledigt ein Sekretariat, das sich die Mitglieder selbst finanzieren. Die Patienten sind zufrieden. Mehr noch. Im Pustertal und auch im Defereggental sammeln die Bürger mittlerweile Unterschriften für Gernot Walder und eine Beibehaltung dieses Systems. Der zuständige Landesrat Bernhard Tilg hat sich bereits mit den Zielen der Aktion solidarisiert.
Gernot Walder hat mit Kolleginnen und Kollegen eine flächendeckende ärztliche Versorgung für Osttirols Täler aufgebaut. Jetzt drängen andere auf den Markt. Foto: Brunner Images
Wer nun die Frage stellt, was die bewährte ärztliche Nahversorgung im Iseltal, Defereggental und Pustertal gefährdet, wird schnell fündig. Der Zoff begann im September 2018 und nahm seinen Ausgang – Überraschung! – im Matreier Gemeindeamt. Bürgermeister Andreas Köll verschickte ein vollmundig und langatmig formuliertes „Amtsblatt“, in dem er das bisherige System diskreditiert und für obsolet erklärt. Zugleich präsentiert Köll eine – seine – neue Variante, die dem Hubschrauberunternehmer Roy Knaus plötzlich eine zentrale Rolle bei der medizinischen Nahversorgung im Iseltal einräumt. Hier sind die Hintergründe in Kurzform und hier das gesamte Amtsblatt zum Download. Seither tobt eine Schlammschlacht, die vor allem Gernot Walder zu spüren bekommt. Er hat nicht nur mit den Attacken des Matreier Bürgermeisters zu kämpfen, sondern auch mit der Ärztekammer, deren Verhalten für Anton Huber und Cornelia Trojer schwer zu erklären ist: „Unsere Standesvertretung hat unserem Obmann Gernot Walder Anfang des Jahres die Einteilung der allgemeinmedizinischen Wochenend- und Nachtdienste entzogen, ohne mit uns betroffenen Ärzten vorher Kontakt aufzunehmen.“ Was jahrelang problemlos funktionierte, auf freiwilliger Basis in Osttirol organisiert im Rahmen eines Projektes, das auch Land Tirol und Gebietskrankenkasse mittragen, wurde über Nacht ausgehebelt. Cornelia Trojer: „Die Kammer schickt jetzt die Diensteinteilung einfach in alphabetischer Reihenfolge für drei Monate, ohne Rücksprache mit uns.“ Dazu komme ein überbordender bürokratischer Aufwand, der verhindere, dass in einem flexiblen System junge Ärzte oder Mediziner aus anderen Regionen in die Nahversorgung eingebunden werden können. Selbst die Schwester von Cornelia Trojer, Ärztin in Innsbruck, wurde in ihrer Qualifikation plötzlich angezweifelt.
Fazit der beiden Ärzte: „Wir wünschen uns Rahmenbedingungen, in denen wir effizient arbeiten können.“
Was wünschen sich nun die beiden Protagonisten des Osttiroler Notarztverbandes? „Da muss man drei Ebenen unterscheiden“, erklärt Anton Huber. Die Organisation der medizinischen Nahversorgung obliege prinzipiell der Politik, der Ärztekammer und den Kassen. „Wir bringen unsere Energie und Erfahrung ein, wünschen uns aber dafür auch Rahmenbedingungen, in denen wir effizient arbeiten können. Wenn die Kammer ohne Absprache Ärzte einteilt und bei Widerspruch mit dem Disziplinarrecht droht, ist das kontraproduktiv und sinnlos.“ Die niedergelassenen Ärzte fordern deshalb einen runden Tisch mit allen Beteiligten. Bisher ohne Erfolg. Zweiter Knackpunkt sei die wirtschaftliche Ebene. Rund um ein Hubschrauberunternehmen ein neues, wuchtiges Primärversorgungszentrum aus dem Matreier Boden zu stampfen, klinge eher nach großem Geschäft als nach engagierter ärztlicher Nahversorgung. Trojer: „Es ist klar anzusprechen, dass Firmen an medizinischen Transporten gut verdienen. Darüber muss man offen diskutieren. Man muss hinterfragen, wann der Hubschrauber fliegt und wann das bodengebundene System zum Einsatz kommt. Wie sinnvoll sind teure Lufteinsätze, deren Notwendigkeit medizinisch nicht gegeben ist?“ Bleibt als letzte und wichtigste Ebene die Qualität der medizinischen Versorgung. Hier verweisen Trojer und Huber auf die aktuell auch öffentlich artikulierte Meinung der Bevölkerung in den Tälern: „Die Patienten werden durch das bestehende System sehr gut versorgt und sind damit auch zufrieden.“
Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

5 Postings

Kilian1990
vor 5 Jahren

Wichtig ist doch nur, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Ärzten und einem funktionierenden allgemeinmedizinischen und notärztlichen System gegeben ist. Ist doch gut, dass es im hinteren Iseltal und im Defereggental zusätzliches ärztliches Personal gibt. Wer sollte da etwas dagegen haben oder sogar dagegen arbeiten? Vor allem Politiker nicht, die vor den Wahlen wieder Erfolge vorweisen müssen. Ich glaube, hier geht es eher um wirtschaftliche Interessen und um Eitelkeiten, hmmmm??????

 
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lugger
vor 5 Jahren

Das System funktioniert einwandfrei! Man muss froh sein, dass es solche Idealisten noch gibt!

 
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lokal
vor 5 Jahren

könnte man diesen unseligen andreas köll nicht endlich einmal aushebeln?

 
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    steuerzahler
    vor 5 Jahren

    Was hat er durch seine Tätigkeiten bisher verbessert? Wer setzt ihn immer wieder in diverse Ämter?

    Und schon wieder geht es los, die Nicht-zu-Stimmer sind unterwegs... Ist schon auffällig, oder?

     
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hoerzuOT
vor 5 Jahren

„Die Patienten werden durch das bestehende System sehr gut versorgt und sind damit auch zufrieden.“ ----das sagt alles und darum geht es schlussendlich auch.

Die Zuständigen sollen die Ärzte in OT endlich in Ruhe arbeiten lassen und nicht in Systeme eingreifen, die sich bewährt haben und funktionieren.

 
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