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Wie ich den Weihnachtsabend verbracht habe?

Natürlich mit meinen Stammtischbrüdern und einer wirklich schönen Bescherung.

Damit es nicht wieder heißt, ich hätte schlecht recherchiert: Der Advent dauert heuer acht Wochen, vielleicht sogar länger. Parusieverzögerung praktisch. Dann kommt der Erlöser, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Weihnachten kam gleich nach dem vierten Adventsonntag. Da musste man aufpassen, dass man es nicht verpasst. Und dann die Weihnachtseinkäufe bei geschlossenem Handel, und die Einladungen erst: Zehn Haushalte hatte die Bundesregierung verordnet und selber nicht einmal einen zustande gebracht.

Bei mir waren es wenigstens drei. Die Brüder von meinem Stammtisch, die hatte ich seit dem Frühjahr nicht mehr gesehen: Der Gerald, der Kellner Leif und der Basti. Alle solo, auf ihre Frauen mussten sie aus Verordnungsgründen verzichten. Außer der Gerald, bei dem war der Mann zuhause geblieben. Meine Frau war schon am Vormittag da, um die Weihnachtsremuneration abzuholen. 80 Prozent vom Vergleichszeitraum aus dem Vorjahr. Ein faires Angebot. Das werde ich bis zum Sommer 2021 verlängern. In der Kurzarbeit ist auch nicht mehr drin.

Um die Zeit bis zur Bescherung sinnvoll zu überbrücken, spielten wir Corona-Quartett. Da darf der mit den schlechtesten Karten das sagen, was die anderen denken. Vorausgesetzt, es hat nichts mit Corona zu tun. Corona gibt es bei diesem Spiel nicht. Dem Kellner Leif schien das auf Dauer nicht zu behagen, weil erstens falsches Format und zweitens er nie am Wort. Während die anderen diskutierten, hat er immer wieder die Augen und die Lippen fest zugekniffen und sich auf seinem Barhocker demonstrativ zur Seite geneigt. Und wir haben unsere FFP2-Masken wieder zu schätzen gelernt.

Damit das Ganze nicht zu einem Ärgernis ausartete, spielten wir dann Mensch-ärgere-dich-nicht. Dabei bekommt jeder vier Spielfiguren, mit denen er von seinem Häuschen ein Zielfeld erreichen muss. Das klingt vielleicht harmlos, aber kurz vor dem Ziel kann dich dein Gegner immer noch zurück in dein Häuschen befördern. Dann musst du erst einen Sechser würfeln, bevor du wieder hinausdarfst, und das kann dauern. Freitesten geht schneller und wurde auch dementsprechend in Anspruch genommen. Mit den gebrauchten Stäbchen spielten wir im Anschluss noch eine Runde Mikado.

Um Punkt 18.00 Uhr drangen von draußen die bezauberndsten Weihnachtsweisen an unser Ohr. Auf die Patriasdorfer ist eben Verlass. Turmblasen zu Weihnachten und Ratschen am Karfreitag und -samstag, das ziehen die Patriasdorfer seit zweitausend Jahren bedingungslos durch. Heuer durften die Glocken ja nicht nach Rom, weil dort die Coronapandemie wütet. Die Patriasdorfer sind trotzdem Ratschen gegangen. Wir stellten uns alle vier hintereinander auf, und ein jeder musste die Hände auf die Schultern seines Vordermanns legen. Außer der Gerald, denn der ging als Erster. „Susanne, geh du voran!“, rief der Kellner ihm zu, und die Tränen rannen ihm übers Gesicht, weil keiner hinter ihm gehen wollte.

„Blaublaublau blüht der Enzian“, „Karamba, Karacho, ein Whisky“, „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ usw. So stampften wir zu verschiedenen Rhythmen um den Wohnzimmertisch und nahmen nach jeder Runde einen kräftigen Schluck. Zum Schluss waren alle besinnungslos. Dafür wurden die Lieder besinnlich: „O du Fröhliche“, „Es wird schon glei dumpa“ und mein Lieblingslied „Oh Stunde, die das Heil gebracht“, von Josef Gasser aus Lienz, das kennst du bestimmt: „Der Heiland ist gekommen, zu trösten all die Frohoho…“ „Hohoho!“ tönte es vor der Tür. Wer mochte das sein?

Ich machte auf, und was glaubst du wohl, wer da stand? Der Weihnachtsmann! Genau, der mit dem Ostererlass. Ich hätte ihn auch nicht gleich erkannt. Er hatte zwar eine rote Zipfelmütze aufgesetzt, aber auf dem Kopf trug er nichts. „Aua!“ schrie er laut auf, als wie aus dem Nichts, begleitet von einem langgezogenen Pfeifen, eine Kugel sein Hinterteil streifte. „Ingruber, angenehm“, gab ich zurück und bat ihn ins Haus. Er wartete höflich, bis wir alle unsere FFP2-Masken aufgesetzt hatten, dann zog er die Stiefel aus und hängte seine Socken in den Kamin.

Danach brach unter den Gästen ein heftiger Streit um die Liveübertragung der Christmette aus. „Kann jemand den Fernseher anstecken?“ hatte der Gerald gefragt und vom Basti, der ihm mit seinem negativen Testergebnis zuwinkte, zur Antwort bekommen, dass das frühestens am Stefanitag möglich sei. Wegen der Inkubationszeit. Der Kellner Leif gab ihm recht. Beide sind bekennende Atheisten, der Basti aus Überzeugung, der Kellner Leif, weil er vom Christentum noch nie was gehört hat. Der Gerald bestand auf der Heiligen Messe, und zwar auf Latein und der Pfarrer mit dem Rücken zu ihm.

Der Weihnachtsmann war auch für die Heilige Messe. Aus Opportunismus. Er glaube zwar nicht an das Christkind, aber dafür an den Kanzler. Der Kanzler sei schließlich auch ein Christ und ein Kind. „Ein Christ vielleicht weniger, und für Kinder hat er auch nicht viel übrig!“ warf der Basti ein und wurde dafür von den anderen mit verächtlichen Blicken bestraft. Trotzdem: Es stand zwei zu zwei und als Gastgeber hatte ich eine Entscheidung zu treffen. Ich drehte den Fernseher auf und den Bildschirm samt Pfarrer zum Fenster hinaus.

Damit war allen gedient. Die Agnostiker wurden nicht mehr gestört, die mussten allenfalls darauf achten, dass der Gerald einen gewissen Mindestabstand zum Fernseher nicht unterschritt, und wer dem Herrn Pfarrer ins Angesicht blicken wollte, konnte sich immer noch ins Freie begeben. Feldmesse quasi. Im Moment aber war das nicht ratsam, weil dort schon mehr als ein Dutzend Gläubige knieten. Vermummt und in blauen Uniformen, die Sturmgewehre im Anschlag. Da blieben wir doch lieber im Wohnzimmer, denn da durften sie laut Verordnung ja nicht hinein.

Nach dem Segen sangen sie noch „Stille Nacht“ in ihre Polizeifunkgeräte, also praktisch Entwarnung, und trabten geordnet von dannen. Wir trabten zur Bescherung. Ich hatte bereits im Oktober für jeden einen Sportpass gekauft, den gab’s da verbilligt, weil die Stadtgemeinde uns zu den Senioren, sprich Risikogruppe, gezählt und geglaubt hat, dass wir den eh nicht mehr ausnutzen könnten. Dass der Hochstein nicht aufsperrt, hatte ich schon befürchtet und uns daher noch einen Strohhalm für den Winter besorgt. (Ein Geheimtipp vom Blassnig Oswald, das nur am Rande.)

Um Mitternacht ging es dann doch auf die Piste. Die hatten wir mit unseren Sportpässen säuberlich auf dem Küchentisch präpariert. Pulver vom Feinsten, um das zu genießen brauchst du nicht aus dem Haus und nicht einmal Schi. Ein Strohhalm tut’s auch! Und natürlich, den Mundnasenschutz musst du abnehmen, aber das war uns egal. Am Stefanitag hat sich eh jeder wieder freiwillig in seine Quarantäne begeben. Zu Silvester posten wir uns dann mit unseren Sektgläsern auf dolomitenstadt.at zu. Schöne Zeit bis dahin!


Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker, Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt und Autor. Während des Lockdowns im Frühjahr hielt uns sein Corona-Tagebuch bei Laune, doch mittlerweile kritzelt Rudi seine Notizen einfach an den Rand der Ereignisse, also dorthin, wo die offizielle Berichterstattung ein Ende hat. Wir präsentieren in unregelmäßigen Abständen „Rudis Randnotiz“.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

2 Postings

Klettermaxi
vor 3 Jahren

Köstlich, wir haben auch ,"Mensch - ärgere - dich" gespielt...🤣. Es gibt Parallelen ✌

 
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bergfex
vor 3 Jahren

Jaja, der Ingruber. Immer für ein Späßchen zu haben.

Danke für den unterhaltsamen "Artikel". 😂😂😂😂😂😂

 
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