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Gewunschen, gewünscht – oder gar „gewünschelt“?

Geburtstage sind für mich ein Anlass, über die Zeit nachzudenken. Weniger über Geschenke.

Der Satz: „Ich hätte mir zum Geburtstag (k)einen Freitest gewunschen“, thematisiert aber beides, denn seit ihn, vom Kanzler bis zum Clubchef der Opposition, Politiker in dieser Art formulieren, ist nicht nur mit dem Geschenk, sondern auch mit der Zeit so einiges durcheinandergeraten. Korrekt müsste es nämlich heißen „gewünscht“. Im Falle der Regierung vielleicht auch „gewünschelt". Das Participium perfectum versetzt die Satzaussage in die Vergangenheit, und ihre Verbindung mit einem konjunktivischen Hilfszeitwort deutet an, dass das Begehren wohl nicht erfüllt worden ist. Mit der Zeit nehmen Politiker es nicht mehr so genau – mit ihren Versprechungen und mit Geschenken.

Die deutsche Grammatik kennt sechs verschiedene Zeiten: drei für Vergangenes, zwei für die Zukunft, für die Gegenwart, die das Kommende in das hinter uns Liegende durchwinkt, lediglich eine. Was ich jetzt sage, wird einmal so sein und gewesen sein, wenn ich es das nächste Mal gesagt haben werde. Oder auch nicht. Vorhersagen sind unglaublich schwierig. Wie viele Sonnenaufgänge muss ich in ununterbrochener Reihenfolge beobachtet haben, um behaupten zu können, dass das Ereignis auch am kommenden Tag wieder stattfinden wird? Und wenn, wie die moderne Physik uns gelehrt hat, ein Ereignis vom Beobachter abhängt, bleibt es dann, wenn ich morgen nicht aufstehe, auch für den Rest der Welt finster? Für Lavant vielleicht.

Allein das „War" und „Wirdsein" sind für Platon Formen der Zeit, und das Werden ein bewegtes Abbild der Ewigkeit, des ausdehnungslos in sich ruhenden Seins. Vor Gottes Schöpfung gab es die Zeit nicht. Nichts war vergangen, und die Zukunft stand in den Sternen, die es auch noch nicht gab. „Gott schied das Licht von der Finsternis und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag.“ Die Tagesstruktur der Benediktiner schließlich entstammt dem Versuch, Zeit und Ewigkeit wieder in Einklang zu bringen. Für den Laien, der zu keiner Zeit Zeit hat, ist sie heute attraktiver denn je: Ora et labora – für die Stadt und den Erdball.

Außerhalb von Klostermauern gliedern Kirchenglocken, wenn sie die Gläubigen nicht gerade zum Gottesdienst rufen, den Tag: mit dem Angelusläuten um sieben Uhr morgens, zu Mittag und um sieben Uhr abends. Der „Engel des Herrn“ ist, wenn man nicht, so wie ich, ständig nachblättern muss, in kaum zwei Minuten gebetet. Das Geläute beim Tod des Heiligen Vaters dauert wesentlich länger, gefühlt rund ein Tausendstel seiner Amtszeit, das machte bei Johannes Paul I., der ja nur 33 Tage im Amt war, eine gute Dreiviertelstunde (Beim Ableben seines Vorgängers fehlte mir noch der Vergleichswert.). Das hatte ich mir damals, da ich glaubte, aus der Beobachtung eines Einzelfalles ein allgemeines Gesetz ableiten zu können, in jugendlicher Naivität so zusammengereimt.

Gut ein Vierteljahrhundert später war meine Hypothese durch Johannes Paul II., nach dessen Tod am 2. April 2005 die Glocken bis zum nächsten Konklave am 18. durchgehend geläutet hätten, auf mehrfache Art widerlegt: Der Papst stirbt nicht alle paar Wochen, und nicht jedes längere Glockengeläut bedeutet den Tod eines Papstes. Es könnte genauso der Messner, der den Schalter betätigt, zwischenzeitlich verstorben sein. Oder er hätte das Zwölfuhrläuten für das Signal zur eigenen Mittagspause genommen. Das wäre dann eher ein längeres Pontifikat. Induktives Schließen, das wusste schon David Hume, ist nichts als die Folge eines rational nicht begründbaren Glaubens. Dasselbe gilt auch für den Glauben ans Christkind.

Als ich noch ein Kind war, rief uns immer ein Klingeln aus dem Wohnzimmer zur Bescherung unter dem Christbaum. Schon nach ein paar Weihnachtsabenden lief meinen Geschwistern und mir beim Ertönen des Glöckchens das Wasser im Munde zusammen, einmal sogar schon beim Mittagessen. Unser Nachbar klingelte an der Tür. Er wusste nicht, dass ein Besuch am Heiligen Abend zu Mittag im nächsten Jahr einen Todesfall in der Verwandtschaft nach sich ziehen würde. Ich glaube nicht, dass man so etwas heute noch glaubt. Für uns Kinder jedoch brach ein Weltbild zusammen, als wir anstelle des Christkindes unsere Mutter beim Einpacken der Geschenke vorfanden. Und obwohl es im nächsten Jahr in unserer Verwandtschaft keine Übersterblichkeit gab, wurde der einzige Todesfall, den wir kannten, auf das Konto unseres Nachbarn gebucht.

Der bedingte Reflex ist eine anerzogene Hypothese, gegen die man chancenlos ist. Wie das Huhn, das seinen Ernährer so lange für einen Wohltäter hält, bis dieser den Fressnapf gegen den Suppentopf tauscht. Ein Mensch sollte allerdings in der Lage sein, eine ungerechtfertigte Hypothese an seiner Stelle zu opfern. Also werde ich mir zum Geburtstag keinen Freitest mehr wünschen. Ich werde warten, bis man uns die Rute wiederum aus dem Fenster nimmt, um damit weiter zu wünscheln. Und ich werde ganz genau aufpassen, ob dann das Licht am Ende des Tunnels tatsächlich von der Sonne herkommt.


Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker, Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt und Autor. Während des Lockdowns im Frühjahr hielt uns sein Corona-Tagebuch bei Laune, doch mittlerweile kritzelt Rudi seine Notizen einfach an den Rand der Ereignisse, also dorthin, wo die offizielle Berichterstattung ein Ende hat. Wir präsentieren in unregelmäßigen Abständen „Rudis Randnotiz“.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

5 Postings

Chronos
vor 3 Jahren

Hr. Ingruber, danke! Einfach Text genießen und schmunzeln...

@Ann_, Sie haben auch Talent

 
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Bergtirol1
vor 3 Jahren

Recht herzlichen Dank für diesen Artikel.. Zwischen den Zeilen lesend und ab und an schmunzelnd an seine eigene Kindheit denkend ist mein persönlicher Favorit Ihre Passage "für den Laien, der zu keiner Zeit, Zeit hat"... Wie war, wie war 😊

 
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    Ann_
    vor 3 Jahren

    Mein deutsch verbessern und die kleine Gebräuchen und Glauben der Österreicher kennen lernen, ich wünsche es mir und genieße deswegen diesen Art von Artikeln, die immer wieder ein bisschen eine Herausforderung darstellen.

    Nun bringen Sie mich jetzt ein wenig durcheinander. “Wie war, wie war.” oder “Wie wahr, wie wahr.”? 🤔 Man könnte ja meinen, dass es war, aber ich glaube eher, dass es noch immer ist und deswegen eher wahr ist. 🙈

     
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      Bergtirol1
      vor 3 Jahren

      Natürlich wahr mit (h) 😊

       
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      Ann_
      vor 3 Jahren

      Danke dir. 😊

       
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