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Anton Zollers Ostergrab in der Pfarrkirche St. Andrä

In diesem „Theatrum sacrum“ gilt unsere Aufmerksamkeit dem Letzten Abendmahl.

Seit Palmsonntag ist in der Lienzer Stadtpfarrkirche St. Andrä wieder das Heilige Grab aufgestellt. Der 1695 in Telfs geborene Anton Zoller hat es 1752 gemalt. Nach seinem Studium an der Kaiserlichen Akademie der bildenden Künste in Wien übersiedelte Zoller nach Kärnten, wo er im Auftrag der Jesuiten Theaterdekorationen für deren Dramen anfertigte. Ein „Theatrum sacrum“, ein heiliges Theater, ist auch sein „Ostergrab“: Bis an den Scheitel des Gewölbes im linken Seitenschiff aufragende, über zwei Joche gestaffelte Kulissen lenken den Blick durch einen mächtigen, von Doppelsäulen getragenen Bogen auf einen Palasthof mit halbrundem Schlussprospekt. Stirnseitig führen fingierte Treppen, die das Grab Christi flankieren, zur Bühne, auf der bis zum Ostermontag in mehreren Szenen und mit hohem Aufwand an gemalten Bretterfiguren Leiden, Tod und Auferstehung des Herrn dargestellt sind.

Abendmahlszene am Heiligen Grab, Lienz, Stadtpfarrkirche St. Andrä. Diese Szene ist Teil des monumentalen Ostergrabs, das Anton Zoller 1752 entwarf. Foto: Helmut Niederwieser

Am Gründonnerstag ist das Letzte Abendmahl zu sehen, jedoch nur bis zu jenem nächtlichen Szenenwechsel, in dem sich Jesus mit den Aposteln Petrus, Jakobus und Johannes am Ölberg in den Garten Gethsemane zurückzieht, um dort, im Stich gelassen von seinen engsten Freunden, vor seiner Verhaftung zu beten. Ein gemütliches Beisammensein ist auch das Abschiedsmahl nicht, denn der letzte Akt im Drama des Lebens Jesu beginnt mit zwei folgenschweren Momenten: mit der Stiftung der Eucharistie und der Ankündigung des Verrats durch Judas Ischariot. Leonardo da Vinci hat den Tumult, den Jesu Worte: „Einer von euch wird mich verraten“ in der Tischgesellschaft bewirkt, unübertroffen in Szene gesetzt und den Betrachtern ebenso wie den nachfolgenden Künstlern perspektivisch und dramaturgisch seinen Standpunkt diktiert. Es wird berichtet, dass ihm dabei die Suche nach einem Modell für den Judas, „dessen trotziger Geist nach so vielfach empfangenen Wohltaten fähig war, seinen Meister, den Erretter der Welt, zu verraten“ die größte Mühe bereitet habe.

Nachdem er sein Brot mit Jesus zugleich in die Schüssel getaucht hat, verlässt Judas seine Gefährten. So steht es im Johannesevangelium, das im Gegensatz zu den Synoptikern und zum 1. Korintherbrief des Apostels Paulus aber keinen Einsetzungsbericht abgibt. Die Worte, die Jesus bei der Stiftung des höchsten aller Sakramente an die Apostel gerichtet hat, sind im Wesentlichen dieselben, die der katholische Priester noch heute bei der Wandlung von Brot und Wein spricht: „Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird, dies ist mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ Seit dem Konzil von Trient und dem römischen Messbuch Pius V. aus dem Jahr 1570 verschob sich allmählich in den künstlerischen Darstellungen des Letzten Abendmahls der thematische Schwerpunkt von der Verratsankündigung zur Einsetzung der Eucharistie.

In die andere Richtung verkam die Gestalt des Judas zum Genremotiv, bisweilen sogar zum burlesken Kontrapunkt des sublimen Geschehens. Während in Anton Zollers Darstellung die Apostel die heilige Handlung mit unterschiedlichen Gemütsäußerungen, mit Andacht, Ehrfurcht, Erstaunen begleiten, ist nur einer nicht bei der Sache. An der Vorderseite des Tisches sitzend beugt er sich weit nach hinten, um heimlich etwas unter seinem Stuhl zu verbergen. Es ist der Beutel mit den dreißig Silberstücken, der „Judaslohn“, der den Verräter unmittelbar vor den Augen des Betrachters enttarnt.

Nur einer ist nicht bei der Sache. An der Vorderseite des Tisches sitzend beugt er sich weit nach hinten, um heimlich etwas unter seinem Stuhl zu verbergen.

Das Motiv wurde in etlichen Abendmahlsdarstellungen des Spätbarocks variiert, dürfte in diesem Fall aber durch ein Bild angeregt worden sein, das Nicola Grassi um 1725 für die Kirche der Barfüßer in Augsburg gemalt hat. Im 13. Jahrhundert von den Franziskanern gegründet und im frühen 15. Jahrhundert zur dreischiffigen Basilika ausgebaut, ist die Kirche seit 1535 das erste evangelische Gotteshaus Augsburgs. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie weitestgehend zerstört, Grassis Gemälde aber blieb unversehrt. Es wurde erst 2013 von einem Vandalen zerschnitten.

Nicola Grassi, aus Formeaso nahe Tolmezzo, ging 1697 im Alter von 15 Jahren nach Venedig, um dort von den zu dieser Zeit besten ihres Faches zu lernen. Das Niveau eines Piazzetta oder Sebastiano Ricci blieb ihm zwar versagt, doch ist sein Einfluss auf etliche Barockmaler in Süddeutschland und Tirol nicht hoch genug einzuschätzen: Michelangelo Unterberger und sogar Paul Troger haben sich an seinen Werken orientiert. In seinem Augsburger Abendmahlsbild lehnt sich der Apostel im Vordergrund nicht zurück, um etwas zu verbergen, sondern lediglich, um eine Serviette vom Boden aufzuheben. Genau diese Bewegung aber lenkt den Blick des Betrachters auf die neben ihm stehende Rückenfigur, die den Geldbeutel in den Falten ihres leuchtend gelben Gewandes versteckt. Gelb ist die Farbe des Neids und der Missgunst und wurde seit dem Spätmittelalter auch mit Judas, manchmal sogar mit dem gesamten jüdischen Volk in Verbindung gebracht.

Nicola Grassi, Letztes Abendmahl, um 1725, Augsburg, Barfüßerkirche. Man beachte auch hier die Figur des Judas. Es ist der Mann im gelben Gewand. Foto: Jörgens Mi., CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Vielleicht weil ihm die Möglichkeit der farblichen Kennzeichnung nicht zur Verfügung stand, vielleicht aber aus einem bloßen Missverständnis heraus, hat Philipp Andreas Kilian, der um 1730 einen Kupferstich nach Grassis Gemälde gefertigt hat, das Motiv in genau jenem Sinn umgedeutet, wie es Zoller in seinem Heiligem Grab sich zum Vorbild genommen hat. Seitenrichtig in die Platte gravierte Kupferstiche erzeugen beim Druck ein spiegelverkehrtes Abbild. Ohne schwerwiegende Qualitätsverluste wurden Kupferstiche in der Regel mindestens tausendmal abgezogen und sorgten auf diese Weise für die weite Verbreitung ansonsten schwer zugänglicher Kompositionen. So dürfte die Vorlage auch in die Hände des Kötschacher Malers Christoph Brandstetter gekommen sein, der sie 1804 in der Pfarrkirche von Tristach auf ein Fresko im Altarraum verhältnismäßig genau übertrug.

Brandstetter, der geradezu spezialisiert auf die Transformation barocker Vorbilder im Sinne klassizistischer Klarheit und Eindeutigkeit war, hat aus Grassis ursprünglichem Judas einen der andächtigsten und ergriffensten Teilhaber an der Szene gemacht, der stehend die Hände zum Gebet erhebt. Natürlich bedurfte auch Christus selbst, der sonst seinen Segensgestus mit der linken Hand ausgeführt hätte, einer entsprechenden Korrektur. Durch die Ausrichtung der Szene auf einen Betrachterstandpunkt im Kirchenschiff wird sie wiederum zum Spiegelbild der Handlung des Priesters, der im römischen Ritus bekanntlich mit dem Rücken zum Kirchenvolk zelebrierte. Die Farbe Gelb aber beschränkt sich nicht weiter auf die Kleidung des Judas. Vielleicht war Brandstetter bewusst, dass sie unter den Teilnehmern am Abendmahl kein Unterscheidungsmerkmal sein konnte.

Christoph Brandstetter, Letztes Abendmahl, 1804, Pfarrkirche Tristach. Auch hier hat jemand etwas zu verbergen. Foto: Helmut Niederwieser

Der Kunsthistoriker Rudolf Ingruber – Dolomitenstadt-Leser und -Leserinnen kennen ihn auch als launigen Randnotizen-Schreiber – wird in unserer neuen Serie künstlerische Meisterwerke aus dem Bezirk nicht nur vorstellen, sondern auch erläutern und so den Blick auf eine ganze Reihe bedeutender Werke schärfen. Denn schließlich gilt: Man sieht nur, was man weiß. Als Fotograf begleitet Helmut Niederwieser diese Kunstdokumentation von dolomitenstat.at.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

2 Postings

soomanides
vor 3 Jahren

Nach Herrn Ingrubers historisch - und wohl auch christlich - fundierten Ausführungen zum Ostergrab von St. Andrä und anderen, thematisch ähnlichen Kunstwerken, wird mir das Geschehen vom Gründonnerstag noch intensiver bewusst. Ich sage auf diesem Wege herzlichen Dank. Auch all jenen, die Jahr für Jahr für das Aufstellen des Kunstwerks - in nicht ungefährlicher Höhe - verantwortlich sind.

 
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Kiew
vor 3 Jahren

Danke, lieber Rudi, für diewunderbare Bildbeschreibung. Das Ostergrab in St. Andrä ist wirklich etwas Einmaliges!

 
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