„Von den anderen Richtungen, die am Beginn des 20. Jahrhunderts modern gewesen sind – Spätimpressionismus, Nabis und Fauves, Expressionismus, Futurismus, Kubismus – leben heute nur noch nachzüglerische Reste …“ Mit dieser Feststellung wirft der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr bereits 1955 die Väter der Moderne, Cezanne, Matisse und Picasso in einen Topf, in welchem sie allenfalls noch als Würze eines Gerichtes, das aus ganz anderen Zutaten bereitet ist, köcheln. Als nachhaltiger erweisen sich nach Sedlmayr Konstruktivismus und Surrealismus, denen die Praxis der Architektur, der Malerei und der Bildhauerei auch in den folgenden Jahrzehnten den Fortbestand sichert.
Vielleicht aus eben dem Grund beeilte sich der damalige Kustos auf Schloss Bruck, Franz Kollreider, in seiner Besprechung der 1957 von mehreren Künstlern gestalteten Außenwände der drei neuen Wohnbauten in der Lienzer Friedensiedlung, Franz Walchegger als „Surrealisten“ zu apostrophieren, um ihn von seinen Osttiroler Zeitgenossen zu unterscheiden. Denn obwohl der Begriff gerade auf diese erneute Variation des bekannten Themas „Familie“ kaum zutrifft, wird damit auch ausgesagt, dass eine Kennzeichnung von Walcheggers Kunst als verspäteter Expressionismus seinem bis zum Schluss durchgehaltenen Streben nach Aneignung und Weiterentwicklung zeitgenössischer Positionen in keiner Weise gerecht wird.
Die Häuser wurden zur Hauptsache mittels in Holland zugunsten der Flüchtlingshilfe gesammelter Spenden finanziert, und zumindest in künstlerischer Hinsicht war man bemüht, die Folgen des Krieges zu beseitigen und an die Zeit vor dem Dritten Reich anzuknüpfen. Die aus dem Nationalsozialismus stammende Praxis der „Kunst am Bau“ jedoch wurde beibehalten.
Hans Sedlmayr erkennt in der „Ausstoßung des Plastischen und des Tektonischen“ aus der Malerei ein Kardinalsymptom der Moderne. Die Theorie vom „Streben der Künste nach Reinheit“, die er – ganz im Gegensatz zu den zeitgenössischen amerikanischen Kunstkritikern – nicht als Forderung, sondern als nüchterne und aus seiner Sicht wohl auch ernüchternde Diagnose vorbringt, eröffnet erst die Möglichkeit, Architektur, Bildhauerei und Malerei in jeweils autonomer Existenz voneinander zu lösen. Ihre Reintegration durch die „Kunst am Bau“ aber ist vorerst nichts weiter als ein semantischer Trick: Aus der Baukunst wird der Grundbegriff ausgesondert, was übrigbleibt ist ein reiner Bau ohne Kunst, die erst im Nachhinein durch die Bildhauerei oder die Malerei appliziert wird. Niemandem aber würde es einfallen, ein barockes Deckengemälde als „Kunst am Bau“ zu bezeichnen!
Albin Egger-Lienz, dem wohl bedeutendsten Repräsentanten der Tiroler Moderne, scheint der Gedanke einer strengen Abgrenzung der Disziplinen bis mindestens zum Ende seiner Zeit als Professor in Weimar, 1912/13, völlig fremd gewesen zu sein. „Sie müssen zeichnen, als ob sie Bildhauer wären“, riet er seinen Studenten. Auch wenn er die Palette zunehmend auf Erdtöne reduziert, bleibt die Farbe stets der plastischen Modellierung von Körpern verpflichtet, und in den räumlichen, der Schwerkraft gehorchenden Bildbühnen wird geradezu das Wesensmerkmal dieses Schaffensabschnittes greifbar. Zieht man jedoch sein monumentales Gemälde „Die Lebensalter“ als Kronzeugnis für diese Haltung heran, entdeckt man eine eigenartige Ambivalenz: In seiner ursprünglichen Fassung nämlich koinzidierte der gestaltlose, farbig neutrale Luftraum, der den hölzernen Skelettbau umfängt und von diesem geometrisch gegliedert wird, optisch mit der gebauten Wand, an der das Bild angebracht war.
Damit aber war seine Interpretation als Raumabschluss und als Ausblick in unbestimmte Weiten zu gleichen Teilen legitimiert und eine Analogie zu jener Ästhetik vorweggenommen, die seit den ersten Nachkriegsjahren die Architektur der Moderne bestimmte: einer Bauweise, die das Tragwerk in das Innere des Gebäudes verlegt und dieses durch gläserne „Vorhangwände“ von seiner Umgebung abgrenzt. Erst die späteren Übermalungen, eine Gebirgskette und ein rötlich bewölkter Himmel, entscheiden diese Doppeldeutigkeit in Eggers Gemälde zugunsten des unbegrenzten, fingierten Blicks in die Ferne.
Walchegger, der sich 1957 zum wiederholten Mal mit dieser Komposition auseinandersetzt, entscheidet sich anders: Mit kräftig gezogenen Umrissen fasst er das Raumgerüst in ein und derselben Ebene zusammen und verwandelt es in ein geometrisches Strukturelement der Bildfläche.
Glaswände sind die denkbar ungeeignetsten Orte, an denen man Tafelbilder anbringt, zumal solche, die den Raum, der sich hinter dieser ästhetischen Grenze auftut, mit perspektivischen Mitteln illusionieren. Trotzdem hatten in dem als „internationaler Stil“ global ausgerollten modernen Bauen Glasmalereien erneut Konjunktur. Ihre Abhängigkeit von der entsprechenden Hinterleuchtung allerdings lässt sie als Schmuck einer Außenfassade nur sehr bedingt zu jener Wirkung gelangen, die sie bei Tageslicht im Inneren eines Gebäudes entfalten. Das kann man an gotischen Kathedralen ebenso nachvollziehen wie beispielsweise an der Anfang der 1960er Jahre errichteten Pfarrkirche zur Hl. Familie in Lienz. Umgekehrt aber hat man im Barock Fenster, von denen man weder Ein- oder Ausblick noch eine Beleuchtung wünschte, einfach auf die blickdichten Mauern gemalt.
Glasmalereien, die diese Bezeichnung im genuinen Sinne verdienen, sind, rein technisch gesprochen, Mosaike aus bunten Scheiben, und die Analogien zu Walcheggers Wandgestaltung am Haus Sterzingerweg 9 offensichtlich: Die Motive sind dort auf klar konturierte Silhouetten reduziert, deren Binnenform kaum noch in den Dienst ihrer plastischen Modellierung gestellt ist. Bei den Gesichtern greift der Künstler auf eine dem Kubismus entlehnte Praxis zurück, welche die beiden am wenigsten Raum beanspruchenden Blickwinkel, Frontal- und Profilansicht, kombiniert und mit der Bildebene verzahnt. So können sie mit farbigen Flächen abwechseln, die keinerlei Gegenstandsbedeutung codieren, sondern einzig der fein abgestuften Leuchtkraft der „Farbe an sich" verpflichtet sind.
Trotzdem sind Thema und Bildpersonal der mehrere Generationen umfassenden Familie aus früheren Schöpfungen Walcheggers, dem Wandgemälde in der Alleestraße zum Beispiel, bestens vertraut. Seine Reverenz an Albin Egger-Lienz aber wird im rechten Bildabschnitt sogar noch mit einem Zitat untermauert: durch den 90-jährigen „Greiß (sic!), der in die Grube steigt“ (Egger-Lienz) und dazu nicht wie sein Vorbild das Treppengeländer, sondern den Krückstock zu Hilfe nimmt.
3 Postings
Der "Schelm " hätte ruhig bleiben können ,vor allem seit dem Bedeutungswandel in letzten Jahrhunderten . Trotzdem, danke .
Ein mehr als beachtenswertes Feuilleton .Ein weiter Bogen, gespannt von der Fragmentierung der Kunst und des Kunstbegriffes seit dem 18. Jahrhundert , der Etablierung von l´art pour l´art im 19. ,bis hin zur "Kunst am Bau",quasi als Alibi und Dekor. Einbezogen eine profunde Analyse von Aspekten der "klassischen Moderne" heimischer Künstler.Mit Belehrung und Genuß gelesen ( wie bereits einmal von Torberg in der Tante Jolesch zitiert ) . Als junger Gymnasiast,in der 1950ern konnte ich auch nicht an Sedlmayers "Verlust der Mitte" vorbei, ein damals viel beachtetes Buch . Dabei wird ja ua. die Entfremdung von einem gleichsam sebstverständlichen ,künstlerisch zur Sprachebringen eines großen, geistigen Urgrundes und von einer nicht zu reflektierenden Stilverständnises angesprochen. Trotzalledem keine ganz unproblematische Lektüre .
In Ihrer Antwort gesellt sich der Feingeist zum würdigen Manne.
Eh' man die Plattform uns sperrt, nehm auch den "Schelm" ich zurück.
Sehr geehrter Herr Doktor, ich kenne nicht viele, die, wie Sie, Sedlmayrs "Verlust der Mitte" gelesen und auch richtig verstanden haben. Kompliment! Meine Zitate stammen allerdings aus der "Revolution der modernen Kunst", die weniger polemisch und kulturpessimistisch, daher auch ums Kennen leichter verdaulich ist und richtige Beobachtungen weniger leichtfertig als apodiktische Einsichten anpreist.
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