Ihr Dolo Plus Vorteil:
Diesen Artikel jetzt anhören

Die Lavanter Fresken und Paul Trogers langer Schatten

Die Freskenkünstler der Wallfahrtskirche St. Ulrich in Lavant hatten große Vorbilder.

Die spätgotische Wallfahrtskirche St. Ulrich in Lavant wurde um 1770 vom Lienzer Baumeister Thomas Mair renoviert und von Thomas Valtiner und Johann Georg Waginger mit Fresken ausgestattet. Drei zentralisierende Joche sind nach oben durch Scheinkuppeln mit figurativen Szenen geöffnet.

Die mittlere zeigt die Aufnahme Marias in den Himmel, in den vier Zwickeln begleitet von Emblemen mit den entsprechenden, auf die Gottesmutter und ihren Sohn bezogenen Zitaten aus der Apokalypse und dem Canticum Canticorum. Im Chor kniet vor der Erscheinung des Gnadenbildes der Kirchenpatron St. Ulrich als Fürsprecher der Menschheit in allerlei Nöten. Das Engelskonzert über der Orgelempore schließlich wird mit Blick gegen Westen, vor dem Verlassen der Kirche adäquat rezipiert.

St. Ulrich als Fürsprecher bei der Muttergottes, St. Ulrich in Lavant, 1771. Foto: Helmut Niederwieser
Mariae Himmelfahrt, Kirche St. Ulrich in Lavant, 1771. Foto: Helmut Niederwieser
Engelskonzert, Pfarrkirche St. Ulrich in Lavant, 1771. Foto: Helmut Niederwieser

Als Sohn des Bartlmä Valtiner, Rotgerber und Bürger zu Lienz, 1718 geboren, sucht Thomas Valtiner 1742 erstmals bei der Stadtgemeinde um Aufnahme an – und wird abgewiesen. Erst der dritte Anlauf bringt den gewünschten Erfolg. 1744 erhält er die Bürgeraufnahme, begünstigt wahrscheinlich durch das Ableben Matthias Hofers, eines der beiden damals in Lienz ansässigen Malers. Der 1735 geborene Johann Georg Waginger, der am 6. Februar 1769 die Tochter Valtiners ehelichte, entstammte einer Kufsteiner Malerdynastie. 1771 setzen Valtiner und Waginger in zweifacher Ausfertigung ihre Namen unter das gemeinsame Werk. Nach einem Rechtsstreit im darauffolgenden Jahr erhält Waginger 70 Gulden für die geleistete Arbeit und verlässt mit seiner Gattin den Haushalt der Schwiegereltern und wohl auch die Werkstattgemeinschaft.

Schon 1963 lenkte eine Publikation Wilhelm Reuschels die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang der Lavanter Himmelfahrt mit einer in der Sammlung des Autors befindlichen, damals dem Umkreis Paul Trogers zugeschriebenen Skizze. Zwei Jahre später war diese als Vorarbeit des aus Innsbruck stammenden Trogerschülers Josef Ignaz Mildorfer zu dessen Deckengemälde in der Schlosskapelle von Milotice in Mähren identifiziert. Das von der Bildgattung gestellte Problem, alle Kompositionselemente auf ein strahlendes Zentrum zu orientieren, war hinsichtlich der perspektivischen Konstruktion schon gelöst und ist weder Valtiner noch Waginger gutzuschreiben. Im Einsatz des Kolorits jedoch sind, bei aller Übereinstimmung der Farbwahl, grundlegende Auffassungsunterschiede bemerkbar.

Josef Ignaz Mildorfer, Mariae Himmelfahrt, Fresko der Kapelle in Schloss Milotice. Foto: Wilhelm Reuschel

Mildorfer stuft das Helldunkel von den stark beschatteten Rändern hin zu dem nahezu alle Farbe verzehrenden Glorienschein nuancenreich ab, und doch sind die Gegenstandsgrenzen aufgrund virtuos mit der Fernsicht kalkulierender Informationen überall klar. Die Maler des Lavanter Freskos, die dem assoziativen Empfinden seiner Betrachter weniger zutrauen, beschreiten den gegenteiligen Weg: Umrisse werden geschärft, durch Licht und Schatten Volumina modelliert, um jedes Motiv, auch um den Preis einer durchgängigen Farb- und Beleuchtungsregie, aus seiner Umgebung herauszuheben und deutlich zu machen.

Die Aufgabe, Mildorfers querovales Konzept in das Lavanter Kuppelrund einzuschreiben, blieb für das irdische Publikum nahezu ohne Folgen. In der Vertikalachse ergab sich dadurch jedoch automatisch mehr Raum und damit die Notwendigkeit, die Verbindung zur himmlischen Sphäre neu zu gestalten. Mildorfer hielt den hoch dramatischen Augenblick fest, in welchem Maria sich auf einer Wolke in die Lüfte erhebt und ein steil von unten gesehener Engel, von ihrer Bewegung erfasst, gerade dabei ist, dem Sarg zu entsteigen.

Das Lavanter Fresko zeigt das Ensemble bereits in weite Ferne entrückt und die Gebärde Marias entschieden auf das in Gestalt ihres Sohnes präzisierte Ziel orientiert. Nicht die Ascensio, der Aufstieg, sondern die Assumptio, die Aufnahme der Gottesmutter durch Christus, ist nunmehr das Thema. Die neue Anordnung der Motive im geänderten Bildfeld geschieht aus dem Blickwinkel einer geänderten Ikonologie. Dazu tauschen die Maler besagten Engel gegen ein Vorbild, das dieses Anliegen besser bedient. Es entstammt Paul Trogers Apsisfresko im Dom zu Brixen, das ebenfalls den Empfang Marias im Himmel vorstellt.

Paul Troger, Aufnahme Mariens in den Himmel, Replik des Bozzettos für Paul Trogers Fresko im Brixner Dom, Bayerisches Nationalmuseum, Slg. Reuschel. Foto: L. Andergassen (Hrsg.), Paul Troger & Brixen, AK Brixen 1998

Größeren Einfluss als auf die Himmelfahrt übte die Vorlage auf das Lavanter Chorfresko aus, welches außer dem scheinarchitektonischen Rahmenmotiv auch Gottvater samt Assistenzfiguren sowie den Engel, der bei Troger Marias Mantel auffängt, nahezu wörtlich zitiert.

Denselben Dienst erweist dieser dem Lavanter Gnadenbild, das einer Vorlage von fremder Hand nicht bedurfte, da es am Hauptaltar in Gestalt der barock eingekleideten gotischen Holzskulptur zu direkter Anschauung bereitstand. Auf Paul Troger können sich auch der Rauchfass schwingende Engel und sein Gefährte mit dem Schiffchen berufen, die wie die Brixner Himmelfahrt durch Ölbilder im Tiroler Landesmuseum und im Bayrischen Nationalmuseum überliefert sind.

Ein großräumig um die Marienerscheinung geschlungener Wolkenbogen bindet die disparaten Motive zusammen, unter denen der Engel aus Mildorfers Himmelfahrt als Vermittler eine doppelte Rolle spielt. Sein genau die Vertikalachse markierendes Bein verringert den Abstand zur irdischen Statisterie, deren Blickrichtung es ebenso aufnimmt wie jene des realen Betrachters. Infolge der auf den Kirchenbesucher berechneten Untersicht lässt das Motiv Wirklichkeit und Illusion miteinander verschwimmen.

Das Engelskonzert über dem Chor entspricht schließlich bis in Details einer Komposition, die Paul Troger im Brixner Dom variiert, aber bereits für das gleichnamige Fresko der Jesuitenkirche in Györ/Ungarn entworfen hat. Auch in diesem Fall erstreckt sich das Vorbild bis hin zum Rahmendekor, sodass man Valtiner und Waginger ein Urheberrecht nur sehr eingeschränkt zusprechen kann.

Paul Troger, Engelskonzert, Bozzetto für die Ignatiuskirche in Györ. Foto: L. Andergassen (Hrsg.), Paul Troger & Brixen, AK Brixen 1998

Die Frage, inwieweit mehr oder minder exakt übernommene Bild- und Figurenerfindungen noch Rückschlüsse auf den individuellen Stil des „Plagiators“ (den wir als rezenten Begriff nur in Gänsefüßchen anführen) erlauben, wird wenigstens teilweise mit dessen Vorlieben, zum anderen Teil aber mit der Verfügbarkeit des Vorbildes zu beantworten sein. Sicherlich zählte zur Zeit der Entstehung der Lavanter Deckengemälde der Kreis um Paul Troger noch immer zum Aktuellsten, das einem Maler in der Provinz zu Gebote stand, und man wird die Verzögerung, mit der er hier seine Wirkung entfaltet, kaum einer retardierenden Haltung anlasten.

Paul Troger, Auferstehung Christi, Bozzetto, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Foto: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum.

Neben der Druckgrafik war die Ölskizze das wichtigste Medium zur Verbreitung neuer Gedanken. Sie wurde zunächst dem Auftraggeber zur Anschauung überlassen und verblieb in einem weiteren Exemplar im Besitz des Künstlers. Von Paul Troger wissen wir, dass er mit ihrer Veröffentlichung äußerst vorsichtig umging und sie meist erst nach der Auftragserteilung freigab. Dass trotzdem in etlichen Fällen mehr als die beiden vertraglich festgelegten, genau übereinstimmenden Stücke vorhanden sind, hat damit zu tun, dass Troger über zahlreiche Schüler verfügte, die seine Bozzetti auch zu Studienzwecken kopierten.

Im Vergleich mit dem Fresko wird der Bozzetto nicht selten als die unmittelbarere und konzentriertere Fassung eines Gedankens bewertet. Die Maler der Lavanter Fresken mussten allein deshalb in Rückstand geraten, weil sie die ursprüngliche Erregung der Inspiration nur aus zweiter Hand kannten, und doch scheint die spontane Geste auch ihnen nicht fremd.

Grundsätzlich wenden sie zwei verschiedene Weisen der Durcharbeitung in den Bozzetti vielfach nur angedeuteter Formen an. Körper werden in ein vereinfachtes anatomisches Schema gegliedert und jedes Segment mittels Eigenschatten, denen eine sehr helle Kontur an der dem Licht zugewandten Seite entspricht, plastisch gerundet. Ähnliches gilt auch noch für das kompositorisch bedeutsame Wolkenmotiv, das aufgrund dieser Vorgehensweise gegenüber dem Vorbild sogar seinen Aggregatzustand ändert: Atmosphärisch gemeinten Gebilden kommt nun eine Festigkeit zu, die – namentlich im Engelskonzert – die Bezeichnung „Wolkenbank“ im doppelten Sinne verdient.

Zu einem weiteren Merkmal persönlicher Handschrift gestaltet sich das dynamische Potenzial der Gewänder. Eckig umbrechende Faltenwürfe konnte man ausgiebig anhand der benutzten Skizzen studieren, aber die streng abgegrenzte Lokalfarbigkeit der Lavanter Deckengemälde duldet offenbar nicht den daraus entstehenden Wechsel zwischen hellen und beschatteten Flächen, welcher gerade Trogers und Mildorfers Kompositionen ihr dekoratives Kontinuum sichert.

Im Zickzack geführte Gewandfalten folgen im Fresko nicht nur den Binnenverläufen, sie durchmessen diese in zweierlei Richtung. Am Tuch des Rauchfass schwingenden Engels im Chor skandieren sie eine Art Pendelbewegung, überspielen zugleich jedoch anatomische Ungereimtheiten. Ihr skizzierender Duktus vermittelt den Eindruck der flüchtigen Niederschrift eines erst auszuführenden Formgedankens. Dieser wird aber nicht weiterverfolgt, es sei denn, dass er sich in einer dem Muster der Modellierung von Körpern vergleichbaren Art überall dort, wo das Vorbild die nähere Auskunft verweigert, zum eigenständigen Stil- und Ausdrucksmittel verdichtet.


In unserer Serie künstlerischer Meisterwerke schärft der Kunsthistoriker Rudolf Ingruber – Dolomitenstadt-Leser und -Leserinnen kennen ihn auch als launigen Randnotizen-Schreiber – den Blick auf insgesamt 20 bedeutende Kunstwerke im öffentlichen Raum Osttirols. Denn schließlich gilt: Man sieht nur, was man weiß. Als Fotograf begleitet Helmut Niederwieser diese Kunstdokumentation von dolomitenstadt.at.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

3 Postings

Bahner Bernd
vor 2 Jahren

Einfluß Tiepolos bei Mildorfer ? Wie immer äußerst interessante Informationen,die einem sonst verborgen bleiben.

 
1
4
Sie müssen angemeldet sein, um ihre Stimme für dieses Posting abzugeben.
    r.ingruber
    vor 2 Jahren

    Danke für die interessante Frage. Indirekt ist die Nähe zu Tiepolo sicher gegeben, auch zu anderen Venezianern, wie Sebastiano Ricci oder Benkovich, manchmal sogar mehr als zu Mildorfers Lehrer Paul Troger.

     
    0
    6
    Sie müssen angemeldet sein, um ihre Stimme für dieses Posting abzugeben.
Kiew
vor 2 Jahren

Ein herzliches Dankeschön für dieses äusserst interessanten und lehrreichen Artikel.

 
0
8
Sie müssen angemeldet sein, um ihre Stimme für dieses Posting abzugeben.
Ein Posting verfassen

Sie müssen angemeldet sein, um ein Posting zu verfassen.
Anmelden oder Registrieren