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Zwei von „Priestermaler“ Oberkofler bemalte Nischen in der Umfassungsmauer des alten Lienzer Friedhofs der Pfarre St. Andrä, dazwischen ein Hubertusmotiv von Franz Walchegger, gemalt 1955. Foto: Niederwieser

Zwei von „Priestermaler“ Oberkofler bemalte Nischen in der Umfassungsmauer des alten Lienzer Friedhofs der Pfarre St. Andrä, dazwischen ein Hubertusmotiv von Franz Walchegger, gemalt 1955. Foto: Niederwieser

Wie kommt Dollfuß auf ein Kirchenfresko in Osttirol?

Johann Baptist Oberkofler interpretierte 1935 in St. Jakob eine päpstliche Botschaft politisch.

„Noch bis vor zwei Jahren gehörte die Kirche St. Jakob in Defereggen unstreitbar zu den trostlosesten Kirchen von Tirol. Das Innere mit seinen drei großen Gewölbekuppeln überzog sich im Verlaufe der Zeit mit einer schmutziggrauen Staubschicht und handbreite Risse in den Mauern gaben der Kirche das Aussehen einer werdenden Ruine. Wer heute die Kirche betritt, steht in einem hellen und freundlichen Raume, dessen große Flächen ganz mit Bildern bedeckt sind.“ In solchen und ähnlichen Tönen pries der „Allgemeine Tiroler Anzeiger“ im September 1935 die Ausmalung durch Johann Baptist Oberkofler: „Er hat damit die größte Aufgabe gelöst, die in den letzten Jahrzehnten an die Tiroler Kirchenmalerei gestellt werden konnte. Und die Kirche von St. Jakob ist damit eine der interessantesten Kirchen von Tirol geworden.“

Johann Baptist Oberkofler, „Christkönig“, mittleres Kuppelfresko der Pfarrkirche St. Jakob in Defereggen, 1935. Foto: Niederwieser
Ausschnitt aus dem Fresko „Huldigung der Stände vor dem Herzen Jesu“ mit dem Selbstportrait Oberkoflers. Foto: Niederwieser

Der im Umkreis des Spätnazareners Gebhard Fugel (1863 – 1939) und der Zeitschrift „Christliche Kunst“ sozialisierte Priestermaler aus Brixen, der zuvor auch die Glasfenster der Kirche entworfen hatte, freskierte die mittlere Kuppel des Langhauses mit der „Huldigung der ganzen Erde vor dem Leidenskönige am Kreuze“. Er überbrückt die Distanz zum Betrachter durch einen spätbarocken Illusionismus, der seine bedeutungsschweren Gestalten nicht durch die Neutralisierung des Bildgrundes, sondern durch den tiefen Horizont und die perspektivische Untersicht auf das Himmelsgewölbe freistellt: einen überlebensgroßen Kruzifixus, dem sich von links eine Prozession tirolerisch gekleideter Wallfahrer nähert, und dem rechts von dem 1922 verstorbenen Kaiser Karl I. sowie, etwas abseits, Kanzler Engelbert Dollfuß gehuldigt wird.

Seit der Abdankung des letzten Habsburgerkaisers 1919 und dem allgemeinen Verschwinden der Monarchien nach dem Ersten Weltkrieg schien das „Gottesgnadentum“ wieder alleiniges Vorrecht des Papstes zu sein, mit Sicherheit aber desjenigen, der ihn zu seinem Stellvertreter auf Erden ernannte. Nachdem Pius XI. in seiner Antrittsenzyklika 1922 die gesellschaftspolitischen Missstände der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg aufgezählt hatte, bot er in „Quas primas“ drei Jahre später deren alleiniges Heilmittel feil: Die Herrschaft Jesu Christi, die sich nicht nur „auf die katholischen Völker, auch nicht nur auf jene, die durch die Taufe von Rechts wegen der Kirche angehören“, sondern auf die ganze Menschheit erstreckt: „ADORABUNT EUM OMNES REGES TERRAE ET OMNES GENTES SERVIENT EI – Es werden ihn alle Könige der Erde anbeten und alle Völker ihm dienen“ ist, nach Psalm 72, in der Umschrift des Bildes zu lesen.

Die Völker, „die den christlichen Glauben noch nicht besitzen“, sind im Halbkreis um ihre jeweiligen Missionare gruppiert, und natürlich haben die Ureinwohner Amerikas wie in einem Roman von Karl May auszusehen und jene Afrikas wie in einer Bildergeschichte von Wilhelm Busch. Letztlich dürften hier aber Allegorien der vier Erdteile des 17. und 18. Jahrhunderts Pate gestanden und damit den pseudobarocken Gesamteindruck von Oberkoflers Malerei unterstützt haben. Was aber ist das eigentliche Thema der Komposition, und was hat Engelbert Dollfuß darin zu suchen?

Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Freskos war Engelbert Dollfuß (rechts) schon tot. Über den austrofaschistischen Kanzlerdiktator wird auch 2021 noch heftig diskutiert. Foto: Niederwieser

1931 veröffentlichte Pius XI. das päpstliche Rundschreiben „Quadragesimo Anno“, um die in der Sozialenzyklika „Rerum novarum“ seines dritten Amtsvorgängers, Leo XIII., im Konflikt zwischen Kapital und Proletariat geforderte Alternative zu Sozialismus und Liberalismus nach 40 Jahren zu aktualisieren. Er empfahl den Zusammenschluss der Staatsbürger zu Vereinigungen und Körperschaften, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die gemeinsamen Anliegen ihres Berufsstandes verbindet und der Interessenausgleich zwischen dem Wohl des Einzelnen und dem Gemeinwohl gelingen soll. Allerdings äußerte er auch die Befürchtung, der Staat könnte sich autoritär an die Stelle der freien Selbstbetätigung setzen, „statt sich auf die notwendige und ausreichende Hilfestellung zu beschränken“.

Genau das aber geschah im austrofaschistischen Ständestaat unter Engelbert Dollfuß, der sich mit seiner Berufung auf die Enzyklika zwar das Wohlwollen ihres Verfassers erschlichen, jedoch das anempfohlene Subsidiaritätsprinzip „im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht“ geradezu in sein Gegenteil verkehrt hatte. Mit der Verfassung vom 1. Mai 1934 wurde auch das im Vorjahr ausgehandelte Konkordat zwischen Österreich und dem Heiligen Stuhl neu veröffentlicht. Darin wurden der Kirche das Recht zur Ausübung des Kultes und zur Ausbildung und Bestellung von Lehrern und Universitätsprofessoren sowie das Recht, Gesetze, Dekrete und Anordnungen in diesem Bereich zu erlassen, bestätigt. Das Konkordat stand zwar nie im Verfassungsrang, ist aber bis zum heutigen Tag gültig. Es stellt sich nach all dem die Frage, wer – der Pontifex oder der Kanzler– hier wen über den Altartisch gezogen hat.

Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Freskos war Engelbert Dollfuß schon tot, doch es wäre zu einfach, sein Auftauchen in einem kirchlichen Fresko dem allgemeinen Kult um den „Heldenkanzler“, der nach dessen Ermordung durch zwei Nationalsozialisten am 25. Juli 1934 auch auf die katholische Ikonografie übergriff, zuzurechnen. „Ihr Jungen schließt die Reihen gut, ein Toter führt uns an“, lautete die erste Verszeile der von Dollfuß‘ Nachfolger Kurt Schuschnigg propagierten Hymne der austrofaschistischen Jugend, und dem Andenken des „deutschen Märtyrers“ waren, in Wien, im Burgenland und in Niederösterreich, gleich mehrere Gedächtniskirchen gewidmet.

Papst Pius XI weist auf dem Deckenfresko der Kirche St. Jakob mit ausladender Geste auf die globale Anhängerschaft des Auferstandenen hin. Foto: Niederwieser

Johann Baptist Oberkofler war, wie auch sein Selbstbildnis im anschließenden Deckenfresko belegt, kein überragender Porträtist, und die Schwierigkeiten, die er offenbar mit der perspektivisch verkürzten Untersicht hatte, tragen zusätzlich dazu bei, dass die gelegentlich vorgeschlagene Identifikation der beiden Dollfuß flankierenden Männer mit seinen Vizekanzlern Emil Fey und Ernst Rüdiger von Starhemberg reine Spekulation bleiben muss. Die Gesichtszüge Pius XI. unter dem Kreuz, der den toten Anführer mit ausladender Geste auf die globale Anhängerschaft des Auferstandenen hinweist, sind jedoch sehr gut zu erkennen, und mit ihnen auch die Botschaft des gesamten Gemäldes.

Das Dilemma aber, in welches die Avantgarde auch in Osttirol den breiten Kunstgeschmack und ebenso jenen der Kirche gebracht hat, kommentiert der Autor des oben zitierten Artikels im Allgemeinen Tiroler Anzeiger mit folgenden Worten: „Man hört oft von neueren Malereien, dass sie dem Volke nicht gefallen. Oder wenn das Volk Gefallen daran findet, dann wird es von der modernen Kunstkritik nicht anerkannt.“ Oberkoflers Gemälde, das „die Kunst der Vergangenheit mit der Kunst der Gegenwart zu einer glücklichen Einheit verbindet“, sei aber mehr wert als jede theoretische Abhandlung und jede Kritik.

Die von Oberkofler gestaltete Grabnische an der Friedhofsmauer in Hopfgarten i. D.. Sie wurde 1934 von Pfarrer Ferdinand Fritzer gestiftet. Foto: Niederwieser

Johann Baptist Oberkofler (1895 – 1969) hatte schon vor der Kirche in St. Jakob die Grabnischen an der Friedhofsmauer in Hopfgarten bemalt. In den 1950-er Jahren griff er diese Spezialität an der östlichen Umfassungsmauer des alten Friedhofs von St. Andrä in Lienz, in unmittelbarer Nähe zur Kriegergedächtniskapelle mit den Fresken von Albin Egger-Lienz, wieder auf. Nimmt man das Gemälde von Franz Walchegger, das eine dieser Grabnischen schmückt, noch hinzu, so sind hier, wenn man so will, auf engstem Raum und deutlicher als in jedem Museum, die gegensätzlichen Positionen der Osttiroler Moderne in Frieden zur Ruhe gebettet.


In unserer Serie künstlerischer Meisterwerke schärft der Kunsthistoriker Rudolf Ingruber – Dolomitenstadt-Leser und -Leserinnen kennen ihn auch als launigen Randnotizen-Schreiber – den Blick auf insgesamt 20 bedeutende Kunstwerke im öffentlichen Raum Osttirols. Denn schließlich gilt: Man sieht nur, was man weiß. Als Fotograf begleitet Helmut Niederwieser diese Kunstdokumentation von dolomitenstadt.at.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

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Bahner Bernd
vor 2 Jahren

Immer erstaunlich ,welchen Gewinn man aus dem großen kunst- und zeithistorischen Fundus von Ingruber ziehen kann.

 
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