Ihr Dolo Plus Vorteil:
Diesen Artikel jetzt anhören

Borkenkäfer: Die Rettung kommt von oben

Kurt Wöls und Andreas Steiner erklären, wie KI den Wald durch die Klimakrise bringt.

In Osttirol ist aktuell ein Großaufgebot an Forstleuten unterwegs, um 7.000 Hektar Wald nach Bäumen abzusuchen, die vom Borkenkäfer befallen sind. Im Zuge der Begehungen wird jeder einzelne befallene Baum markiert. 1.700 Befallsherde und 67.000 betroffene Bäume wurden bisher gezählt. Das noch relativ junge steirische Unternehmen Festmeter geht einen anderen Weg und lokalisiert befallene Bäume auf Luftbildern, die mittels künstlicher Intelligenz analysiert werden. Laura Anninger traf zwei Experten des Start-Ups zu einem Interview.


Herr Wöls, Ihr Unternehmen Festmeter unterstützt Forstleute mit smarten Anwendungen. Was kann Ihre Technologie genau? 

Kurt Wöls (K. W.): Unser Ziel ist einfach: Wir wollen erkennen, wenn der Wald sich verändert – und zwar so früh wie möglich. Mit Drohne, Leichtflugzeug oder Satellit fliegen wir über den Wald und machen dabei Bilder. Diese werten wir dann aus, mit Hilfe von Bild-Algorithmen. Künstliche Intelligenz (KI) hilft uns, auffällige Bäume zu finden. Das tun wir, um forstliche Maßnahmen treffen zu können – also etwa Bäume zu fällen. 

Woher kam die Idee dafür? 

K. W.: Ich habe vor 17 Jahren den Hof meiner Eltern im obersteirischen Etmißl übernommen. Dort sind auch 45 Hektar Wald dabei. Den bewirtschafte ich mit Hilfe von meinem Nachbarn. Jeden Samstag bin ich durch den Wald gegangen und habe dabei Bäume gefunden, die der Borkenkäfer befallen hat. Die müssen sofort weg, damit der Käfer nicht weitere Bäume befällt. Acht Wochen dauert es, bis er sich vermehrt hat und ausfliegt. Wenn man nichts tut, bekommt das exponentiellen Charakter und kann den ganzen Wald gefährden. Je früher man befallene Bäume findet, desto besser. An einem Wochenende im Jahr 2013 machte ich mit meiner Familie einen Ausflug. Ich war angespannt, weil ich eigentlich im Wald hätte sein sollen, um befallene Bäume zu finden. Neben uns auf der Wiese steuerte ein Kind seine Drohne. Da hat meine Frau gesagt: Flieg doch damit über den Wald. Das war der Impuls, einen Prototyp zu bauen, noch mit Hilfe von Freunden. Der hat für meine Zwecke gut funktioniert. Und ich dachte mir: Das könnte auch anderen helfen. 

Kurt Wöls ist selbst Forstbesitzer und leitet das steirische Unternehmen Festmeter.
Andreas Steiner betreut bei Festmeter den Fachbereich Geoinformatik. Foto: Festmeter

Was waren die Schritte vom Prototyp bis zur heutigen Technologie? 

Andreas Steiner (A. S.): Ich bin 2016, zwei Jahre nach der Gründung bei Festmeter eingestiegen. Damals gab es noch viel Forschungsarbeit zu tun mit der Drohne. Große Themen waren die Belichtung, Wettereinflüsse, Licht und Schattenfall auf den Bildern. Die Probleme damit haben wir erst mit der Zeit in den Griff bekommen. Ein weiterer großer Punkt war es, die Lagegenauigkeit zu verbessern. Also darstellen zu können, wo der befallene Baum steht. Das haben wir mit Georeferenzierung geschafft. Dann wurde das Interesse von Waldbesitzern größer und damit auch die Flächen. Die Drohne kann keine sehr großen Flächen abbilden. Nachdem sie 40 Hektar abgebildet hat, muss sie zurückfliegen und man muss den Akku austauschen. 

Festmeter arbeitet mit Drohnen, aber auch mit Leichtflugzeugen und Satellitenbildern.

Wie haben Sie das gelöst? 

A.S.: Auf der Suche nach Alternativen sind wir auf das Ultraleichtflugzeug gestoßen. Das hat den Prozess sehr beschleunigt. Der letzte Entwicklungsschritt war schließlich, auf Satelliten zuzugreifen. Da gibt es viele Anbieter, das hat es leichter gemacht. Aber Satelliten bringen auch Probleme mit sich. Wolken und die Schatten, die sie werfen, spielen naturgemäß bei Satellitenbildern eine viel größere Rolle als bei Drohnenaufnahmen. Am Anfang nutzten wir Bilder der EU-Satelliten Sentinel-2A und Senitnel-2B. Diese haben allerdings eine Auflösung von zehn mal zehn Metern. Da kann man eine Baumkrone nur sehr schwer sehen. Darum haben wir uns Zugriff auf Bilder von insgesamt fünf Satelliten mit besserer Auflösung gekauft. Etwa vom Satelliten „Planet“. 

Sie verwenden aber weiterhin alle drei Methoden – warum?

A.S.: Mit der Drohne fliegen wir ungefähr hundert Meter über der Baumkrone. Die Bilder sind genau, die KI kann erkrankte Bäume sehr schnell erkennen. Der Satellit ist 500 Kilometer entfernt. Aber: er kommt einmal pro Monat an der Stelle vorbei. Das bedeutet, wir können uns mit Hilfe der Satellitenbilder ansehen, wie sich der Wald über die Zeit verändert. Es verringert auch den Preis für Waldbesitzer. Bei Flächen unter 100 Hektar verwenden wir jetzt die Drohnen, bei größeren das Ultraleichtflugzeug. Über 2.500 Hektar bietet sich der Satellit an.

Gesunde Bäume leuchten auf infratotbildern rötlich. Grüne Stellen zeigen, dass Bäume absterben.

Was sehen Sie auf den Bildern?

K. W.: Gesunde Pflanzen reflektieren im nahen Infrarot, also in einem Bereich von etwa 840 Nanometer Wellenlänge, viel elektromagnetische Strahlung. In diesem Bereich „leuchten“ sie sehr stark. Wird der Baum krank, tun sie das weniger. Man sieht also im Nahinfrarot-Bereich schnell, wenn der Baum krank wird. Unsere Kameras und Bildsensoren nehmen dieses Licht auf. Gesunde Bäume sind auf den Bildern rötlich. Grüne Stellen zeigen uns, dass sie kaputt werden oder es schon sind. Das bedeutet, wir erkennen nicht, wann sich der Borkenkäfer genau einbohrt. Aber wir sehen gewissermaßen die Symptome davon, ungefähr vier Wochen danach. Dann hat sich nämlich der Harzfluss im Baum verändert und er betreibt viel weniger Photosynthese. Ich erkläre das immer so: Der Baum hat Schüttelfrost.

Und die KI erkennt das?

K.W.: Unsere KI scannt die Bilder und entscheidet dabei laufend: Ist dieser Baum gesund oder nicht? Aktuell findet sie so etwa 80 von 100 geschädigten Bäumen. Die KI ist ein lernender Algorithmus. Deren Wesen ist es, dass sie besser werden je mehr Entscheidungen und Daten sie erhalten. Wir trainieren unsere KI laufend, damit sie noch treffsicherer wird. Mit jeder Waldfläche, die sie analysiert, wird sie besser. Dadurch kann sie sich auch immer leichter auf die diversen Waldflächen einstellen. Der Waldbesitzer bekommt schließlich ein Luftbild, auf dem die KI geschädigte Bäume des Waldes erkannt hat – und die GPS-Daten dieser Bäume.

Festmeter hat eine Förderung der EU erhalten, weil ihr eine „vertrauenswürdige KI“ verwendet. Wie muss eine KI programmiert sein, der man vertrauen kann?

A.S.: Wir bilden Flächen von oben ab – sei es mit Drohnen, Leichtflugzeugen oder dem Satelliten. Dabei konzentrieren wir uns auf den Wald. Aber theoretisch könnte unsere KI auch andere Dinge auf den Bildern finden – etwa Häuser, Fahrzeuge oder Menschen. Wir bilden eine sogenannte „Area of Interest“ um die Waldflächen. Das bedeutet, unsere AI sieht sich keine Flächen an, die nicht Wald sind. Dadurch schließen wir aus, dass sie lernt, etwa Menschen zu erkennen.

Ist die Borkenkäferplage so schlimm, dass sich dieser ganze Aufwand lohnt?

K. W.: Ich bin am Bauernhof groß geworden. Wir hatten einen Wald und ein Sägewerk. Als ich ein Kind war, also vor mehr als 40 Jahren, hat mein Vater befallene Bäume stehen lassen. Einen Borkenkäfer-Baum hat er nur geholt, wenn jemand trockenes Holz brauchte, zum Beispiel für den Dachstuhl. Heute kann ich den Wald nicht mehr unbeobachtet lassen. Wenn ich das machen würde, sind in acht Wochen acht weitere Bäume tot.

Was hat sich verändert seit Ihrer Kindheit?

K.W.: Der Wald ist derselbe. Was sich geändert hat, ist das Wetter. Es gibt jetzt starken Regen und Unwetter, es wird heißer. Je heißer die Sommer werden, desto aktiver wird der Borkenkäfer. Das tut den Bäumen nicht gut, besonders der Fichte nicht. Das Problem ist: wir haben viele Fichten-Monokulturen in Österreich. Jeder befallene Baum bedeutet ein Risiko für den Wald. Ich weiß, dass die Dramatik in Osttirol groß ist. Da kommen Klimafolgen und die Folgen der Stürme der letzten Jahre zusammen. Auf sehr steilen Flächen ist es schwierig, umgefallene Bäume abzutransportieren.

A. S.: Ganz Österreich ist in einer Borkenkäfer-Krise, schon seit mehreren Jahren. Ich erinnere mich zurück an den Sommer 2019. Da hat der Borkenkäfer im Waldviertel hektarweise Wald zerstört.

Kann Ihre KI auch anders erkrankte Bäume erkennen?

K. W.: Ja. Unsere KI erkennt immer in der Krone, wenn sich die Vitalität des Baumes ändert. Sie findet Bäume, die weniger Chlorophyll produzieren. Wir können aber eigentlich nicht sagen, warum der Baum das tut. Der Borkenkäfer ist einer der aggressiveren Schädlinge im Wald. Aber auch die Eschen haben zum Beispiel einen Pilz, der ihre Wurzeln absterben lässt. Die Esche fällt dann plötzlich um, ohne Vorzeichen. Wir können unsere KI darauf trainieren, Eschen zu finden, die ihre Vitalität verloren haben. Aber das geht nur im Frühling und Sommer, wenn die Esche Blätter trägt.

Künstliche Intelligenz identifiziert nicht nur Borkenkäfer-Befall, sondern auch andere Baumkrankheiten.

Sind Waldbesitzer schon offen für digitale Lösungen wie Ihre?

K.W.: In Osttirol sind sehr viele Menschen unterwegs, die Wälder abgehen. Man läuft dem Borkenkäfer zu Fuß hinterher. Dafür wird auch viel Geld investiert. Wir könnten das Monitoring von oben unterstützen. Dazu sind wir gerade in Kontakt mit den Behörden. Es gibt Menschen, die offen sind für Digitalisierung im Wald. Mit den bayrischen Bundesforsten haben wir viele Projekte umgesetzt. Auch die Waldgenossenschaft Iseltal in Osttirol ist ein Projektpartner. Deren Flächen durften wir mit Drohnen und Satelliten abbilden. Aber eigentlich ist die Digitalisierung noch nicht wirklich im Forstwesen angekommen. Die Information, die wir liefern, muss auch in Handlungen umgesetzt werden. Dazu muss es für den Förster so leicht wie möglich sein, im Wald auf die Daten zuzugreifen. Mit einem großen heimischen Forstbetrieb haben wir gerade ein gemeinsames Projekt, wo wir herausfinden wollen, wie wir es Förstern leichter machen können. Da geht es um Fragen wie: Wie finde ich den Baum tatsächlich? Wie aktuell sind die Daten? Bin ich im Wald eigentlich in der Cloud verbunden? Kann ich die App sprachlich steuern, wenn ich nicht beide Hände frei habe?

A. S.: Großflächiges Monitoring wird immer wichtiger werden. Man kann nicht davon ausgehen, dass es eine Flotte von Förstern und Försterinnen gibt, die an jedem Baum vorbeikommt. Wir wollen die Forstleute nicht ersetzen. Wir wollen helfen, Borkenkäferbefall zu erkennen, damit Waldbesitzerinnen und -besitzer darauf reagieren können.

Was ist Ihre Motivation, mit der Digitalisierung im Wald weiterzumachen?

A. S.: Als ich bei Festmeter angefangen habe, war ich zwei Monate lang Praktikant. Danach habe ich gleich mein Studium der Geowissenschaften an der Montanuniversität abgebrochen und Vollzeit angefangen. Ich finde es spannend, bei neuen Entwicklungen dabei zu sein. Ich will sagen können: Bei diesem Projekt habe ich mitgearbeitet und wir haben etwas erreicht.

K. W. (nickt): Das stimmt. Mein persönlicher Antrieb ist mein Hof. Wir haben hier fünf Gebäude, 60 Hektar Fläche und ein Steinhaus, das fast 200 Jahre alt ist. Vor achtzig Jahren konnten hier zehn Menschen autark leben, nur von den Produkten, die sie erzeugt haben. Heute kann nicht einmal ich allein davon leben, was wir hier produzieren. Aber ich möchte den Hof nicht aufgeben, ich bin hier verwurzelt. Meine Kinder sollen auch noch die Möglichkeiten haben, hier auf dem Land zu leben. Damit sie das tun können, muss ich neben Landwirt eben auch „Datenwirt“ sein. Ich will mit Algorithmen und Data Science auch Perspektiven am Land ermöglichen – immer in Kombination mit dem Wald und der Natur. Dazu muss ich Technologie zur Verfügung stellen, die Menschen und Natur hilft und auch angewendet wird.

Laura Anninger (27) ist freie Journalistin. Sie arbeitet zu den Themengebieten Umwelt, Ökosysteme und Landwirtschaft sowie darüber, wie diese durch die Klimakrise beeinflusst werden. Laura Anninger lebt in Salzburg.

Das könnte Sie auch interessieren

Osttirol: Dramatischer Kampf gegen den Borkenkäfer

Borkenkäfer plagen Osttiroler Gemeinden

1

Keine Postings

Ein Posting verfassen

Sie müssen angemeldet sein, um ein Posting zu verfassen.
Anmelden oder Registrieren