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Alle Fotos: Daniel Jarosch

Alle Fotos: Daniel Jarosch

Kann Widerstand in der Isolation überleben?

Carmen Brucic portraitiert georgische Performance-Künstler:innen. 

Im Rahmen des Innsbrucker „Heart of Noise“-Festivals eröffnete die Künstlerin Carmen Brucic Anfang Juni ihre Ausstellung „Private Stages Public Selves“. Fünf georgische Performance-Künstler:innen haben dafür ihre individuellen Bühnen mit persönlichen künstlerischen Arbeiten aufgebaut. Nach einer Unterbrechung wegen Umbauarbeiten beim Landestheater ist die Schau im Glas Kubus nun wieder geöffnet und noch bis zum 30. Juli zu sehen.

Die Ausstellung lebt auch von den ästhetischen und intimen Fotoportraits, auf denen die Künstler:innen in ihren privaten Wohnräumen abgebildet sind. Fotografiert wurden sie von Carmen Brucic, die 2021 für dieses Projekt nach Tiflis gereist ist. Sie portraitiert darin künstlerischen Aktivismus und Widerstand während des Lockdowns. Zur Ausstellungseröffnung waren die georgischen Künstler:innen nach Innsbruck eingeladen, wo sie auch eine experimentelle Performance abhielten.

Passend zum „Heart of Noise“-Festival kommen sie alle aus dem „Bassiani“-Umfeld, der Tifliser Rave- und Clubszene, die dort einen stark revolutionären Charakter hat. Denn die georgische Gesellschaft ist sehr konservativ geprägt, das Land zeigt sich etwa als eines der homophobsten weltweit. Anhänger:innen der alternativen Clubkultur sind ständigen Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt. Mit ihrem künstlerischen Projekt macht Brucic auf die Herausforderungen aufmerksam, mit denen die jungen Menschen dort in ihrem alltäglichen Leben konfrontiert sind. Im Interview erzählt sie uns mehr über die Hintergründe.


Carmen Brucic porträtiert künstlerischen Aktivismus und Widerstand in Georgien.


 Wie ist es dazu gekommen, dass Sie für ein Kunstprojekt nach Tiflis geflogen sind?
 
Ich wurde vom Photo Festival Tiflis eingeladen, das ist international die erste Adresse für soziale Fotografie. Zustande gekommen ist das über das Projekt „Magic Carpets“, ein Austauschprogramm für Künstler:innen mit Fokus auf soziale Interventionen. Institutionen, die Teil dieses Netzwerks sind, können sich an Künstler:innen wenden, mit denen sie zusammenarbeiten wollen.
 
Wie war Ihre Ankunft dort? Wie haben Sie die Künstler:innen aufgenommen?
 
Gleich in den ersten Tagen hat mich Luka mitgenommen in die älteste Queer-Bar von Tiflis. Das war derartig befreiend – ich hab selber schon ewig nicht mehr getanzt, da konnte ich alles rausschütteln, was sich vorher in mir aufgeschüttet hat. Und ich habe dann gleich begriffen: Wenn wir miteinander tanzen können, können wir auch zusammenarbeiten, das hat eine Nähe aufgebaut.
 
Sie waren in Georgien während der Pandemie. Wie hat das Ihr Projekt beeinflusst und wie haben Sie vor Ort mit den Künstler:innen zusammengearbeitet?
 

Die zentrale Frage war: Wie leben die Künstler:innen in der Isolation? Kann Widerstand in der Isolation überleben? Denn die Bassiani-Community lebt von der Aufmerksamkeit ihres Publikums. Ich habe sie dann zuhause besucht, zu dem Zeitpunkt waren die Künstler:innen bereits zwei Jahre in Isolation, aber alle haben an eigenen neuen Projekten gearbeitet.
God_Era hat veganes Leder entwickelt, David Apakidze hat die Künstlergruppe „Fungus“ gegründet, Luka Bitchikashvili hat angefangen zu malen und Ballett zu tanzen. So habe ich sie in ihren privaten Wohnräumen portraitiert.
 
Wie nehmen Sie den Unterschied zwischen den Kunst- und Kulturszenen in Tiflis und Innsbruck wahr?
 
In Georgien gibt es viel mehr Communities und Kollektive, die sich verbinden und zusammenarbeiten, speziell bei den jungen Leuten, die künstlerisch aktiv sind. Das gibt’s bei uns leider weniger. Aber in Georgien müssen die Leute zusammenhelfen, sonst geht gar nichts.
 
Woran liegt das? Was sind die großen Unterschiede in der Gesellschaft?
 
In meinen Projekten beschäftige ich mich unter anderem auch mit dem Thema Jugenddepression. Die georgischen Künstler:innen waren darüber sehr erstaunt, dass es diese Form der Depression bei uns gibt. Denn bei uns haben die jungen Menschen „alles“, sie haben so viele Möglichkeiten, etwas zu machen. Viele Jugendliche bei uns stehen aber zunehmend unter Leistungsdruck und sind ihren Ängsten ausgesetzt. In unserer Gesellschaft wird es emotional immer kälter.
 
Im Rahmen Ihres Projekts „Public Stages Private Selves“ haben Sie einen Kurzfilm geschaffen, der zum Großteil aber aus Portraitfotos besteht. Warum dieses Format?
 
Was den Film ausmacht, ist die Intimität und die Nähe zu den Protagonistinnen, die durch dieses Format hergestellt wird. Die Fotografien werden durch die Kombination mit dem Sound, der von Herbert Pixner komponiert wurde, so lebendig. Er besteht aus Aufnahmen von Alltagsgeräuschen aus den jeweiligen privaten Räumen in Tiflis.
 
Welche Bedeutung hatte es für Sie, die georgischen Künstler:innen im Rahmen des „Heart of Noise“-Festivals nach Innsbruck zu holen?
 
Das Potenzial besteht für mich auch darin, dass ihre künstlerischen Positionen für uns eine Übersetzung darstellen, von dem, was gerade in der Ukraine passiert. Die georgischen Künstler:innen haben selbst bereits russische Angriffe miterlebt und wissen, wie es den Menschen in der Ukraine gerade geht. Auch sie leben derzeit aufgrund des Krieges in großer Angst und befinden sich gleichzeitig im Widerstand. Durch ihre Kunst erzählen sie uns von dieser Situation. Sie drücken damit etwas aus, das schwer in Worte zu fassen ist.


Die Ausstellung “Private Stages / Public Selves” ist bis 30. Juli (von 12-18 Uhr) im Glaskubus Reich für die Insel (Rennweg 4) zu sehen. 
 

Brigitte Egger, geb. 1993, hat in Innsbruck Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie studiert. Sie schreibt als freie Journalistin über Kunst und Kultur und ist auch selbst in der Kulturarbeit tätig.

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