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"Where the Sons of Eternity singing": Alisa Martynovas Fotoserie "Nowhere Near" beschreitet neue Wege der Annäherung an Menschen mit Fluchthintergrund. Foto: Alisa Martynova

"Where the Sons of Eternity singing": Alisa Martynovas Fotoserie "Nowhere Near" beschreitet neue Wege der Annäherung an Menschen mit Fluchthintergrund. Foto: Alisa Martynova

Flucht: „Es geht auch mit schönen Bildern“

Alisa Martynovas Serie „Nowhere Near“ wurde mehrfach prämiert und ist derzeit in Innsbruck ausgestellt.

Anfang des Jahres 2022 haben die Tiroler Straßenzeitung 20er und die Stadt Innsbruck gemeinsam einen Preis für Dokumentarfotografie ins Leben gerufen, der sich international an Fotograf:innen richtete, die sich in ihren Fotoserien mit den Lebensrealitäten von Menschen mit Fluchthintergrund beschäftigen.

„Korridor“ als Titel des Foto-Awards soll zum einen die schwierige Situation von Geflüchteten in Europa, zum anderen die Verpflichtungen der Gesellschaft in den Aufnahmeländern reflektieren. Gleichzeitig wurden über die Dokumentarfotografie neue Wege der Annäherung an das Thema Flucht gesucht, die in der sehr journalistisch geprägten Berichterstattung meist untergehen.

Die Ausschreibung der mit 3.500 Euro dotierten Auszeichnung fand international großen Anklang, fast 200 Fotograf:innen reichten ihre Werke über die Wettbewerbsplattform Picter ein. Die Jury – bestehend aus Rupert Larl (Fotograf, Kurator und Gründer der Innsbrucker Galerie Fotoforum), Elias Holzknecht (Dokumentarfotograf), Karen Fromm (Professorin im Studiengang „Fotojournalismus und Dokumentarfotografie“ an der Hochschule Hannover) und Fatimah Hossaini (afghanische Künstlerin, Fotoreporterin und Lehrende im Exil) - vergab den ersten Preis an die russisch-italienische Fotografin Alisa Martynova.

Rebecca Sandbichler, Chefredakteurin des 20ers, Korridor-Preis-Gewinnerin Alisa Martynova und Stadträtin Elisabeth Mayr vor den Werken der Fotografin. Foto: Dolomitenstadt/Huber

Die junge Dokumentarfotografin lebt und arbeitet in Italien. Während ihrer Fotografieausbildung in Florenz beschäftigte sie sich im Jahr 2016 fotografisch mit der Fluchtthematik, bemerkte allerdings schnell, dass das Fotografieren allein nicht ausreicht, um die Menschen würdevoll abzubilden und sie nicht nur auf ihre Fluchtgeschichte zu reduzieren. Sie hörte auf zu fotografieren und begann mit geflüchteten Jugendlichen, Frauen und Männern zu sprechen. Dabei ging es Martynova nicht um deren Fluchthintergrund, ihr Ziel war es, ein Bild von den Menschen zu schaffen, das ihr Leben vor der Flucht, ihr Aufwachsen und ihre Heimat aber auch ihre Träume und Ziele vereint und sie als Individuen darstellt.

Für die Fotoserie traf sie Menschen, die vorwiegend aus afrikanischen Ländern wie Namibia, Gambia, Ruanda oder der Elfenbeinküste nach Europa kamen, voller Hoffnung, hier ein neues Leben zu beginnen. „In Italien sprach ich mit Menschen, die erst seit kurzem in Europa waren, in Frankreich waren viele von ihnen schon länger da. Migration hat viele Gesichter, Migration war schon immer da, sie ist die Essenz der Menschheit. Es war mir wichtig, das Thema universell darzustellen“, so Martynova.

Im Mittelpunkt ihrer Serie „Nowhere Near“ steht die Zerrissenheit, die viele Menschen mit Fluchthintergrund verspüren: „Viele wissen nicht, ob sie ihre Identität und ihren kulturellen Hintergrund bewahren und sich damit in die Gesellschaft einbringen sollen oder ob sie ihre Kultur und Sprache aufgeben, um besser ‚dazuzupassen‘.“ In beiden Fällen haben die Menschen oft Angst, dass kulturelle und sprachliche Werte verloren gehen.

„Viele Menschen haben mir auch erzählt, wie schwierig es ist, Anschluss zu finden. Sie fühlen sich isoliert, sowohl kulturell als auch sprachlich in einer Blase gefangen“, schildert Martynova. All diese Emotionen hat sie mit ihrer Kamera festgehalten. „Alisa Martynova gelingt es, dieses Dazwischen in atmosphärisch dichten Portraits einzufangen, die sich weit von der stereotypen Betroffenheitsrhetorik entfernen, indem sie gerade die Individualität der Portraitierten herausarbeiten“, begründet Karen Fromm die Entscheidung der Jury, „Nowhere Near“ mit dem Korridor-Preis auszuzeichnen.

Die erdigen Farbtöne gemischt mit teils kräftigem Rot und Blau sind nicht zufällig gewählt: „Rot beispielsweise steht in vielen afrikanischen Kulturen für Gefahr, gleichzeitig aber auch für Mut – zwei Begriffe, die das Thema Flucht beschreiben“, erklärt Martynova.

Im Jahr 2021 wurde „Nowhere Near“ mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet und die Serie seither in 24 Ländern auf der ganzen Welt ausgestellt. „Durch den Innsbrucker Korridor-Preis fand die Ausstellung nun erstmalig ihren Weg nach Österreich“, freut sich Rebecca Sandbichler, Chefredakteurin des 20ers.

Elisabeth Mayr, als Stadträtin für Bildung, Integration und Frauen „Schirmherrin“ des Preises, zeigt sich beeindruckt von den Bildern: „Die Menschen werden nicht auf die Fluchtgeschichte reduziert, man begegnet ihnen auf Augenhöhe und ihre Würde bleibt erhalten.“

„Sebastian Kurz hat zum Thema Flucht einmal gesagt: ‚Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen‘“, erinnert sich Mayr, „Alisas Serie zeigt, dass es mit schönen Bildern geht“.


Ausstellung "Nowhere Near"

20. Dezember 2022 bis 26. Jänner 2023, jeweils von Mittwoch bis Samstag zwischen 12:00 und 18:00 Uhr im Artspace „Reich für die Insel“ (Rennweg 4, 6020 Innsbruck).

Anna Maria Huber unterrichtet an der International School in Innsbruck und schreibt nicht nur für dolomitenstadt.at sondern auch für die Straßenzeitung 20er. Annas Stärken sind penible Recherchen und die Fähigkeit, komplexe Inhalte in klare und verständliche Artikel zu verwandeln.

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