Das Bärengehege bei Sankt Romedius im Nonstal im Trentino ist ein Magnet für Wallfahrer und Touristen, besonders für Kinder. Es erinnert an die Legende, dass der hl. Romedius von Thaur einen Bären, der sein Pferd gerissen hatte, kurzerhand dazu verdonnert hat, ihm anstelle des Pferdes als Lasttier zu dienen. Um das Leben des hl. Korbinian rankt sich eine ähnliche Legende. Und der hl. Franz von Assisi soll einen Wolf, der den Bewohnern von Gubbio das Leben schwer gemacht hat, gerügt und gezähmt haben. Bloß fromme Legenden? Weltfremde Naturromantik? Oder Ausdruck der Sehnsucht nach Frieden zwischen Mensch und Tier? Zeugnisse für das jahrhundertelange, wenn auch nie konfliktfreie Auskommen mit den wilden Tieren?
Warum wurden Bär und Wolf bei uns ausgerottet?
Wolf und Bär polarisieren nicht erst heute. Es sind Großraubwildtiere, die uns mit der Natur konfrontieren, die stärker ist als wir und die uns nicht immer nur freundlich gesinnt ist, sondern auch bedrohlich und gefährlich sein kann. Viele Jahrhunderte lang lebten die Menschen im Alpenraum mit Wolf und Bär. Deren Präsenz war wohl nie problemlos, aber auch nie existenzgefährdend für die vorwiegend bäuerliche Bevölkerung. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Bär und Wolf bei uns ausgerottet.

Mehrere Faktoren haben dazu geführt: die neuzeitlich-moderne Vorstellung der beherrschbaren und zu bezwingenden Natur; das Selbstverständnis des Menschen, der sich nicht mehr als Teil der Natur verstanden hat, sondern als ihr gegenüberstehend mit der Berechtigung, sie den eigenen Interessen zu unterwerfen; die Verbreitung volkstümlicher Märchen durch die Gebrüder Grimm, in denen der Wolf systematisch als Symbol des Bösen dargestellt wurde, auch wenn der Wolf zugleich Projektionsfläche einer romantischen Naturmystik blieb; schließlich die Ausbreitung des ursprünglich adeligen Jagdwesens, für das Wolf und Bär direkte Konkurrenten darstellten, und die Entwicklung von immer präziseren Jagdwaffen, die das Kräfteverhältnis zwischen Mensch und Tier zugunsten des Menschen verschoben.
Die Koexistenz mit dem Großraubwild verlernt
Seither haben sich sowohl die Landwirtschaft als auch das gesellschaftliche Leben tiefgreifend verändert, nicht zuletzt durch die Erschließung und Nutzung fast aller Regionen von den Talsohlen bis in die hochalpinen Regionen. Durch Trockenlegungen, Flussbegradigungen, Wildbachverbauungen, Lawinenschutz usw. haben wir versucht, die Natur zu bändigen und immer intensiver zu nutzen. Immer weniger Bauern müssen für eine immer größere Bevölkerung Nahrungsmittel produzieren. Eine wachsende Zahl von Bergbauern kann ihre Höfe nur im Nebenerwerb fortführen. Zudem hat sich die hiesige Bevölkerung – im Unterschied zu den meisten Regionen der Welt – daran gewöhnt, nicht mehr von Wildtieren bedroht zu werden.
Bär und Wolf: Bedrohung für die Zukunft der Landwirtschaft?
Es gibt mittlerweile aber auch ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass wir als moderne Gesellschaft unsere Beziehung zu Natur, Umwelt und Tieren neu bedenken müssen. Auf regionaler wie globaler Ebene betreiben wir mit den modernen Wirtschaftssystemen und der intensiven Landwirtschaft Raubbau an der Natur und beschleunigen den globalen Klimawandel, der die Welt als Lebensraum für immer mehr Menschen, aber auch Tier- und Pflanzenarten bedroht. Der Druck einer ökologischen Neuausrichtung nimmt sowohl auf die Obst- als auch auf die Berglandwirtschaft zu. Es wird nicht nur die Produktion gesunder Lebensmittel gefordert, sondern auch die Pflege und Erhaltung der Landschaft, die auch dann, wenn sie im Privatbesitz ist, als Lebens- und Erholungsraum insgesamt ein öffentliches Gut darstellt, das unser Land auszeichnet.

Besonders werden Formen von Land- und Forstwirtschaft verlangt, die ökologisch nachhaltig sind und Artenvielfalt und Umwelt schützen. Ob wir den Konflikt um Bär und Wolf bewältigen, kann auch als Testfall angesehen werden, ob wir den Herausforderungen des Klimawandels mit all seinen Folgen auch in unseren Breitengraden gewachsen sein werden. Klimaschutz, Schutz der Biodiversität (zu denen Wolf und Bär gehören) und Ökologisierung der Landwirtschaft sind unterschiedliche Facetten ein und derselben Problematik. Langfristig stellen nämlich die Folgen der Klimaveränderung für die heimische Landwirtschaft ein stärkere Herausforderung und Bedrohung dar, besonders auch für die Bewirtschaftung der Almen (Stichwort Verbuschung und Verunkrautung etc.).
Extrempositionen überwinden
In den aktuellen Debatten zu Bär und Wolf stehen sich zwei Positionen unversöhnlich gegenüber: auf der einen Seite extreme Tierschützer (sie stehen nicht für die Mehrheit der Tierschützer), für die ein Abschuss eines Großraubwilds unter keinen Umständen in Frage kommt; auf der anderen Seite Vertreter der Berglandwirtschaft und zunehmend auch des Tourismus (obwohl es bislang keine Evidenz für eine negative Auswirkung auf den Tourismus gibt), die vehement eine wolfsfreie Region verlangen: „Bei uns gibt es keinen Platz für Bär und Wolf“, lautet die Devise.
Lösungsvorschläge, die nicht jeglichen Abschuss von eingewandertem Großraubwild vorsehen, werden von vorneherein als nicht akzeptabel abgelehnt. Leidtragende dieser verhärteten Fronten und des seit Jahren ungelösten Problems sind in erster Linie die weiterhin nur unzureichend behirteten bzw. geschützten Nutztiere, die eine leichte Beute für den Wolf darstellen, und die Bauern, die Nutztierrisse zu beklagen haben und die angesichts fehlender Lösungsperspektiven verständlicherweise verärgert und verunsichert sind. Wobei zu bedenken bleibt, dass rein statistisch das Großraubwild bei Weitem nicht die Hauptursache der jährlichen Verluste an Nutztieren darstellt. Viel mehr Nutztiere kommen durch Abstürze, Blitzschlag etc. zu Tode.
Tierschutz als gemeinsamer Nenner in der Debatte
Beide aufgezeigten Extrempositionen und Verweigerungshaltungen sind zu überwinden. Tier- und Umweltschutzgruppen müssen die Situation und Bedenken der Bauern ernst nehmen, umgekehrt dürfen Umwelt- und Tierschützer, die sich gegen die Option eines „wolffreien Südtirols“ aussprechen, nicht als Naturromantiker oder „Wolfskuschler“ verschrien und als Feindbilde dargestellt werden. Es gilt schlicht, sich der Realität zu stellen und gangbare Lösungen zu erarbeiten, die auch rechtlich abgesichert sind und sich im Rahmen sowohl der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie als auch der Richtlinie über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere der EU bewegen.

Ich plädiere für eine sachliche, wissenschaftsbasierte Diskussion, die den Tierschutz umfassend in den Blick nimmt – im Sinne des Vermeidens von Leid, Schmerz und Angst eines jeden (!) Tieres. Allerdings ist aus ethischer Perspektive zu differenzieren zwischen dem Leid, dass Beutegreifer den Beutetieren zufügen, wofür Tieren keine moralische Verantwortung zugeschrieben werden kann, und dem Tierleid, dass der Mensch in der Tierhaltung und Fleischindustrie ethisch zu verantworten hat.
Leidverhinderung inkludiert, alle Möglichkeiten von Herdenschutz konsequent und langfristig umzusetzen, trotz Rückschlägen und auch wenn sie keinen absoluten Schutz vor Rissen bieten. Das know how nimmt jedoch kontinuierlich zu und die finanziellen Ressourcen seitens der EU stehen bereit. Es bedarf zugleich aber auch einer dem konkreten Bestand angepassten Regulierung von geschützten Arten und einer diesbezüglichen Auslegung bzw. Adaptierung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU.
Debatte in breiteren Kontext einbetten
Die Debatte um Bär und Wolf muss meines Erachtens aber auch im breiteren Kontext der aufgezeigten gesellschaftlichen Entwicklungen verortet werden, die insgesamt eine Neubewertung unserer Beziehung zur Natur, Umwelt und den Nutz- wie Wildtieren erfordern.
10 Postings
(...) bekennt sich zu einer multifunktionalen Forstwirtschaft mit hohem Respekt und Aufmerksamkeit für andere, auch außerforstliche Interessenslagen. Der Lebensraum Wald ist für uns Arbeitsstätte und Begegnungszone zwischen Mensch und Natur. Ein für alle Gruppierungen zufriedenstellender Interessensausgleich kann nur durch wechselseitige Wertschätzung und faire Dialogführung erreicht werden.(...) . (1)
(...) Diesen verstehen wir nach Werner Bätzing, anerkannter Kulturgeograph und Alpenforscher, nicht als einen sich im Naturzustand befindlichen Lebensraum, sondern als eine bäuerlich geprägte Kulturlandschaft, die einer permanenten Betreuung bedarf, will man die traditionelle Artenvielfalt der Alpen durch die sonst einsetzende Verbuschung aufrechterhalten. (...). (2)
Quellen: (1) https://www.unidata.at/, Leitbild UNIDATA FORST, 2016, abgerufen am 27.2.2023 (2) Die Alpen, Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft. Werner Bätzing, 2015, Verlag C.H.Beck, ISBN 978-3-406-67339-9.
"hier könnte ihre Werbung stehen".
Ein ausgezeichneter Leitartikel, der das gerade hier im Forum von Dolomitenstadt hoch emotionale Thema gelehrt und sachlich behandelt. Die für die Ausrottung des Wolfes im 19. Jahrhundert benannten Ursachen zeugen nicht gerade von menschlicher Weisheit, die Deutung der Grimm'schen Märchen am allerwenigsten.
Wer nämlich Städtern, denen die Nöte der Schafbauern höchstens ein Schulterzucken abnötigen, Rotkäppchens Schicksal androht, verfehlt die Kernbotschaft dieses Märchens:
Charles Perrault hängte seiner am Ende des 17. Jahrhunderts veröffentlichten Fassung folgende Warnung an: „Ich sage „Wolf“, aber es gibt da verschiedene Arten von Wölfen. Da gibt es solche, die auf charmante, ruhige, höfliche, bescheidene, gefällige und herzliche Art jungen Frauen zu Hause und auf der Straße hinterherlaufen. Und unglückseligerweise sind es gerade diese Wölfe, welche die gefährlichsten von allen sind.“
Also trifft mein Schaf jetzt eher der Blitz als dass es vom Wolf erwischt wird. Ich probiers jetzt mal mit Lottospielen, dann brauch ich nicht mehr Schafe züchten.
Wenn ich mich mit Hirten und Bauern unterhalte , passiert es öfters das Tiere bei Unwetter / Blitz verenden. Auch als Mensch ist über der Baumgrenze ein Unwetter mit Blitz lebensgefährlich und man sollte schnell einen sicheren Ort aufsuchen . Das hat mit Lotto nichts mehr zu tun , da andere Voraussetzungen im Gebirge . Der Blitz muss des Schaf ja nicht treffen , die Nähe langt schon . Sie haben bis jetzt viel Glück gehabt .
Statistiken bestätigen dies tatsächlich, liebe irina, dass mehr Schafe durch Abstürze und Unwetter zu Tode kommen, als durch den Wolf! Und ich bin sehr erfreut darüber, endlich einmal einen so fundierten, sachlichen Artikel über diese Problematik zu lesen. Eine ebenso sachliche und lösungsorientierte Herangehensweise, um ein Miteinander von Mensch und Großraubtieren in Osttirol zu ermöglichen, wäre höchst wünschenswert!
Gibts auch eine entsprechende Statistik für Osttirol, vielleicht sogar die Wolfsgebiete betreffend. Es hilft mir wenig, wenn zB österreichweit relativ wenige Schafe gerissen werden, dafür aber bei uns halt ein paar mehr. Das ist wie mit dem sicheren Fliegen. Wenn ich Pech hab, sitz ich halt im falschen Flieger.
Und dann vergisst man halt immer wieder, dass die Schafe nicht "gezüchtet" werden, um die Almwirtschaft zu garantieren/beleben, sondern um Gewinn zu machen verkauft und geschlachet zu werden. Das dann oft in Ländern in denen sie geschächtet werden, nachdem sie zusammengepfercht in nicht tiergerechten Transporten /Schiffen dorthin gebracht worden sind. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie der Körper eines Schafes nach dem Schächten mit Pressluft von seinem Balg getrennt worden ist - kein angenehmer Anblick. Aber dieser Aspekt ist ja den sooooo tierliebenden Schafbauern sowas von egal. Ebenso wie die "Ochngewolgenen" und vom Blitz erschlagenen Tiere klammheimlich verdrängt werden. Tiroler Pharisäertum in Reinkultur!
Und daran ist jetzt auch ein osttiroler schafbauer schuld oder wie ..... hatt Sie irgendwer gezwungen dort hin zu reisen und sich das anzuschauen ?
Zu Ihrer information auf unseren almen gibt is viel unangenhmere bilder, tote, zerissene teils noch lebende tiere denen die bauchdecke aufgerissen wurde, tiere die trotz kehlbiss noch leben ..... !
Hirten, Tierärtze und bauern müssen sich das ständig anschauen!
Im gegensatz zu Ihnen aber NCHT freiwillig
nein, nein, nein. Ein Osttiroler Schafbauer ist an nichts schuld - rein definitionsgemäß (Ironie off). Und welcher Hirte ? Habe immer gelesen, dass sich das Halten eines Hirten nicht lohnt - jetzt gibt es doch auf einmal solche. Und der Tierarzt sieht in so manchem Schlachthof schlimmeres. Ich habe im ehemaligen Lienzer Schlachthof gesehen, wie mit den Tieren umgegangen worden ist. Die sind auch nicht freiwillig und mit Freuden in den manchmal sehr brutalen Tod gegangen. Also vielleicht am Boden der Realität bleiben.
Sie müssen angemeldet sein, um ein Posting zu verfassen.
Anmelden oder Registrieren