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Hermann Nitschs „Schüttbild mit Kasel“ (1962) hängt dort, wo früher das „Virger Fastentuch“ aus dem Jahr 1598 ausgestellt war. Foto: Wolfgang C. Retter

Hermann Nitschs „Schüttbild mit Kasel“ (1962) hängt dort, wo früher das „Virger Fastentuch“ aus dem Jahr 1598 ausgestellt war. Foto: Wolfgang C. Retter

Leidenschaft, Geschmack und die Ordnung der Dinge

Die aktuelle Ausstellung auf Schloss Bruck inszeniert die Passion eines privaten Sammlers im öffentlichen Raum.

Schon der Eingangsbereich des Lienzer Museums Schloss Bruck lässt die Osttiroler Nabelschau vergangener Ausstellungen weit hinter sich: Dort, wo jahrelang Jos Pirkners Bulle die Auffahrt hinabgaloppierte, werden Besucherinnen von einer surrealistisch grundierten Bronze Oswald Oberhubers empfangen, jenes stilistischen Chamäleons der Tiroler Avantgarde, das sich nie scheute, sich mit internationalen Größen der Avantgarde wie Jean Dubuffet oder Cy Twombly zu messen. Ein Versprechen, das der Ausstellung „Sammlerleben. Privat wird öffentlich“ vorangestellt ist?

Statt Pirkners Bulle empfängt nun eine surrealistisch grundierte Bronze Oswald Oberhubers die Gäste auf Schloss Bruck. Foto: Wolfgang C. Retter

Immerhin wurde die Schau mit Superlativen wie dem „Who is Who der Österreichischen Kunstgeschichte“ beworben und mit der Erkenntnis ihres Kurators, des Innsbrucker Kunsthistorikers Elio Krivdic, dass die Objekte „in Tirol auf jeden Fall, wenn nicht auch woanders, präsentiert werden müssen.“ Krivdic hat auch den Kontakt zu deren Besitzer geknüpft, der angeblich bis zuletzt anonym bleiben wollte, sich anlässlich der Ausstellungseröffnung dann doch als Albert Reich, Steinmetz aus Hall i. T. und Kunstliebhaber von Kindheit an, vorgestellt hat. Nach welchen Gesichtspunkten aber hat er gesammelt?

Sein subjektiver Geschmack, der aus den Exponaten erst zu rekonstruieren wäre, führt in einen logischen Zirkel, und die großformatige Fotografie seines Wohnzimmers, in dem sich Arnulf Rainer, Helmut Schober, Max Weiler und Markus Prachensky, Österreichs Aushängeschilder der abstrakten Malerei, eng aneinanderreihen, zeigt auch nur einen selektiven Ausschnitt der Sammlung. Vielleicht lässt sich ihr Muster ganz einfach mit einem Zitat aus Ecos Name der Rose paraphrasieren: „Die Ursprünge dieser Bibliothek liegen in der Tiefe der Zeiten, und so sind die Bücher hier aufgeführt nach der Reihenfolge ihres Erwerbs, das heißt, nach dem Zeitpunkt ihres Eingangs in unsere Mauern. Es genügt, dass der Bibliothekar sie kennt.“

Nach und nach lösen die Ausstellungsmacher die Werke aus dem privaten Zusammenhang, um die Ordnung der Dinge unter kunstimmanenten Fragestellungen zu versuchen. Ihre Entwicklung auf einer Zeitachse abzulesen ist aufgrund der lückenhaften Datierungen nur bedingt möglich, mit ein wenig Recherche hätte man diesen Mehrwert jedoch leicht erzielt. Stattdessen wirft in einem vom Lienzer Bauhof gezimmerten Klischee eines Küchenblocks– neben einer Schneelandschaft Alfons Waldes und einer unverkennbar an Egger Lienz‘ Christnacht orientierten Hirtenanbetung des Mühlauers Alphons Schnegg – ein Bord mit Lamborghini-Modellen ein unerwartetes Schlaglicht auf die offenbar weit über die bildende Kunst hinausreichende Leidenschaft des Sammlers.

Die Ausstellung wirft manch unerwartetes Schlaglicht auf die offenbar ...
... über die Kunst hinausreichende Leidenschaft des Sammlers. Fotos: Wolfgang C. Retter

Gleich um die Ecke hängt neben einem frühen Akt von Max Weiler ein 1977 datiertes Aquarell des 1921 in Glojach in der Weststeiermark geborenen und später abwechselnd in Wien und in Steinfeld im Drautal ansässigen Boeckl-Schülers Karl Stark, des unermüdlichen Streiters wider die Abstraktion. Stark galt auch als Einflüsterer Rudolf Leopolds, des wohl bedeutendsten österreichischen Kunstsammlers der jüngsten Vergangenheit, den er u. a. mit Egger-Lienz bekanntgemacht haben soll. Ließ sich auch Albert Reich von ihm inspirieren? Der Raum mit den Hochkarätern der Tiroler Zwischenkriegszeit, Arthur Nikodem, Nicolaus Prachensky, Walde und Egger-Lienz scheint das nahezulegen.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg offenbar sprachlos, begannen sich in den 1950er und 1960er Jahren Österreichs Maler von ihrer eigenen, historisch schwer belasteten Kultur zu befreien. Viele richteten ihren Blick nach den USA, wo Jackson Pollock, selbst inspiriert durch die „automatische Schrift“ des französischen Surrealisten Andrè Masson, seine Drip Paintings erfand, in denen er die Farbe der Willkür des Malers entzog und sie wie zufällig auf die am Boden liegende Leinwand tropfen ließ. Ihm folgten sowohl der Tiroler Markus Prachensky als auch der in Wien geborene Hermann Nitsch. 

Werkzeug, nicht Werk nannte Bazon Brock die geronnenen Überbleibsel künstlerischer Aktionen. Nitschs Arbeiten sind nämlich im engen Zusammenhang mit seinem Orgien Mysterien Theater zu sehen, das er zu einem Zeitpunkt entwickelte, als die katholische Kirche ihren Ritus bis hin zur Liturgiereform um 1970 radikal entmystifizierte und Künstler die Rolle von Schamanen und Priestern besetzten. Das große „Schüttbild mit Kasel“ (1962), eine Leinwand, auf die ein Messgewand aus grünrotem Brokat mit Goldbordüren appliziert ist, hängt dort, wo früher das „Virger Fastentuch“ aus dem Jahr 1598 ausgestellt war, und auf dem das Thema des Schlachtens und Opferns eben auch nicht ohne Blut auskam. 

Eher willkürlich begleitet von Bruno Gironcolis Aluminiumskulpturen erweist sich der Versuch, eine Privatsammlung im öffentlichen Raum des Museums zu kontextualisieren, gerade hier, dem Wohnzimmer des Sammlers vergleichbar, als wiederum abhängig vom Genius loci und dem subjektiven Geschmack des Kurators. Allemal aber bieten sie eine Anregung, das Ganze weiter- und zu Ende zu denken.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

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10 Postings

Bahner Bernd
vor 10 Monaten

Malraux hatte die Vision eines imginären Museums als Universalmuseum, in dem jedes Objekt grundsätzlich jedem anderen begegnen kann.Die Loslösung der Kunstwerke aus bisherigen Kontexten und die Schaffung neuer assoziativer Bezüge sieht Malraux durch die Möglichkeit und Notwendigkeit umfassender ( fotographischer ) Reproduktionen gegeben. So etwas wie zur Sprache bringen eines reinen Kunstwerks, dem Aura keine Grenzen der Assoziationen mehr zu setzen vermag, zugleich den intellektuellen Anspruch für den Betrachter aber steigen lässt und freiere Räume für die Interpretation schafft. Das Kunstwerk als Verwirklichung des Irrationalen und Sakralen ist auch für Malraux eine unabdingbare conditio der Menschheitsgeschichte.

 
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Bahner Bernd
vor 10 Monaten

Andre Malraux : Das imaginäre Museum ?

 
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    r.ingruber
    vor 10 Monaten

    Soviel ich weiß, war Malraux' These, dass jeder sich durch Reproduktionen sein imaginäres Museum kreieren kann. Die "Aura" (Walter Benjamin) des Einzelnen, Unwiederholbaren geht dabei aber flöten. Andererseits ist es dann aber auch vorbei mit der Exklusivität von Kunst, und ein Demokratisierungsprozess wäre eingeleitet, den auch Künstlerinnen und Künstler seit Jahren fordern – bis ihnen die Verlockungen des Marktes wiederum einen Strich durch die Rechnung machen.

     
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    r.ingruber
    vor 10 Monaten

    Da wäre ich eher dafür, dass die öffentliche Hand Haushalten mit hohem Kunstverbrauch einen Zuschuss gewährt. Wie man aus den Posting zu einschlägigen Themen ersehen kann, handelt es sich dabei eh um eine verschwindende (nicht verschwendende!) Minderheit.

     
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Bahner Bernd
vor 10 Monaten

Ingrubers tiefgründiger Kommentar, wie immer mit umfassenden Perspektiven, sollte als Flyer für jeden interessierten Besucher der Ausstellung aufliegen. Den meisten Betrachtern dürfte es allerdings vordergründig weniger um die kunsthistorische Kontextualisierung der Objekte eines reichen Sammlerlebens , als um die "naive" Perzeption der zT wirklich erstaunlich qualitätsvollen Kunstwerke gehen. Die Ausstellung empfindet man fast als zu kurz.

 
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Raphael Pichler
vor 10 Monaten

1970, vier Jahre nachdem Michel Foucaults Buch "Die Ordnung der Dinge" erschienen ist, hielt derselbe seine Antrittsvorlesung am Collège de France, welche später unter dem Titel "Die Ordnung des Diskurses" veröffentlicht werden sollte. Dabei beschreibt er drei Gruppen zu je drei konkreten Prozeduren, wie Diskurse kontrolliert werden. Die erste der zweiten Gruppe, ist der Kommentar, der grundsätzlich, wenn wir von Texten sprechen, solche in Gruppen von Primär- und Sekundärtexten einteilt. Die Funktion des Kommentars ist, die Möglichkeit der Eröffnung immer neuer Diskurse zu gewährleisten, wobei in einem (echten) Kommentar zu etwas immer nur verdeutlicht werden kann, was implizit in dem, was kommentiert wird, bereits gesagt ist.

Gerade Kommentare zu etwas, das von vornherein in seiner Bedeutung überdeterminiert ist, immer schon mehr ausdrückt, als der naive Blick uns vermitteln kann, und daher beständig eine hermeneutische Deutung verlangt, sind unerlässlich. Ein Kunstwerk oder eine Kunstausstellung scheint das Paradigma für ein solches Objekts zu sein.

Vielen Dank für diesen Artikel.

 
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    iwases@
    vor 10 Monaten

    Kann man das auch so formulieren, dass es der Normalbürger ebenso versteht? Oder soll es etwa ein Familiengeheimnis bleiben? 🤔

     
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      Raphael Pichler
      vor 10 Monaten

      Diejenigen, die es das verstehen sollen und wollen, verstehen es auch, keine Sorge.

       
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      Photon 07
      vor 10 Monaten

      Ja, nimmt dem kommentar allerdings jeglichen elitären touch. R. P. _ es gibt kommentare, da sind fehler egal, bei anderen sind sie jedoch fatal.

       
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      Raphael Pichler
      vor 10 Monaten

      Schauen Sie, der Photon07 hats' natürlich verstanden :) Würde mich nur interessieren, welchen Fehler er mir unterstellt, ich finde ihn nämlich nicht...

       
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