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Annelies Senfter. Ein Moment in der Zeit, 2023. Installation. Archiv-Pigmentprint auf Baryt. Bilddaten von Maria Egger aus der Sammlung der Stadtgemeinde Lienz, Archiv Museum Schloss Bruck - TAP. Foto: Martin Lugger

Annelies Senfter. Ein Moment in der Zeit, 2023. Installation. Archiv-Pigmentprint auf Baryt. Bilddaten von Maria Egger aus der Sammlung der Stadtgemeinde Lienz, Archiv Museum Schloss Bruck - TAP. Foto: Martin Lugger

Annelies Senfter auf den Spuren von Maria Egger

Die Künstlerin nähert sich in ihrer aktuellen Ausstellung im RLB-Atelier „mit eigenen Augen“ dem Wesen des Porträts.

Wer kennt ihn nicht, den literarischen Topos, in dem sich der Romanheld im Zuge historischer Recherchen allmählich, ohne sein Äußeres nennenswert zu verändern, in einen längst verstorbenen Ahnen verwandelt? Ein altes Haus, ein darin aufgehängtes Porträt zählen zu den festen Motiven dieser sich zwischen Magie und Chemie abspielenden Transformation.

Annelies Senfter musste ihre Requisiten erst mühsam zusammensuchen, um sich im Spannungsfeld von Aneignungskunst und Hommage der Lienzer Fotografin Maria Egger (1877 – 1951) zu nähern. Sie fand sie im Tiroler Archiv für photographische Dokumentation und Kunst (TAP), wo sie rund 7000 Glasplatten-Negative mehrmals durchforstete, im verwaisten und mittlerweile von Efeu überwachsenen Atelier Eggers in der Schweizergasse in Lienz und in der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums, das Briefe von deren Halbbruder Albin Egger-Lienz aufbewahrt. Allerdings hat sich nur der an sie adressierte Teil der Korrespondenz erhalten, der Annelies Senfter nun zu Antworten inspirierte: „Wir wissen heute nicht mehr, wer auf den Glasplatten-Negativen abgebildet ist, oder nur von wenigen, bekannten Personen wie den Mitgliedern deiner Familie. Du wüsstest natürlich alles.“

Von Annelies Senfter gestaltete Vitrine mit zehn Textseiten an Maria Egger. Links ein Porträt der Tochter von Georg Egger. Sie führte nach dessen Tod das Atelier in der Lienzer Schweizergasse weiter. Foto: Martin Lugger

Anknüpfend an ein Projekt, das sie unter dem Motto „Darf ich dich/Sie porträtieren?“ 2006 mit zufälligen Passanten realisierte, lud Senfter im Sommer 2023 Bekannte in das Egger'sche Atelier: Fünf der etwa tausend so entstandenen ganzfigurigen Bildnisse sind in der Ausstellung fotografischen Porträtbüsten, die Maria Egger wohl in der Spätphase ihrer beruflichen Laufbahn gefertigt hat, gegenübergestellt. Obwohl nur der schiere Zufall die abgelichteten Personen aus ihrer den Jahren geschuldeten Anonymität holen könnte, ist man als Betrachter von heute versucht, sie nach Ähnlichkeiten mit lebenden Personen zu befragen, um ihre Identität festzustellen.

Annelies Senfter. Mit meinen eigenen Augen, 2023.

Damit aber erschließt sich erst die Distanz zwischen der Bedeutung der Fotografie von heute und jener von damals, die sich aus qualitativen Sprüngen – technisch und künstlerisch – aufbaut. Bis weit in das 19. Jahrhundert beanspruchten Maler das Monopol auf die Bilder. Mit den sozialen Umwälzungen und dem Ausschleichen traditioneller Auftragskunst seitens Kirche und Adel hatte sich auch ein neues Sujet etabliert, das Georg Egger, als er den erlernten Beruf des Kirchenmalers aufgab, um 1873 das erste Lienzer Fotoatelier zu eröffnen, mit dem neuen Medium ökonomischer und effizienter zu bedienen verstand: das bürgerliche Porträt.

Nachdem Georg Egger 1907 verstorben war, führte seine Tochter Maria das Geschäft bis zu ihrem eigenen Ableben fort. Zwei Weltkriege hatten danach auch das Bürgertum grundlegend verändert, und damit auch den Repräsentanten der unteren sozialen Schichten jene Bildwürdigkeit und jenes Selbstverständnis erobert, die in Maria Eggers Portraits zum Ausdruck gebracht sind. Gleichzeitig mit der Leistbarkeit der Fotografie geriet aber auch ihre überkommene Kunstwürdigkeit in Gefahr.

Aber lässt sich Kunst denn tatsächlich durch Exklusivität und damit durch Exklusion rechtfertigen? „Wie viele Fotos hast du von einer Person gemacht? Eines, zwei?“ fragt Annelies Senfter ihre fiktive Briefpartnerin. „Mit der digitalen Technik heute ist es ganz egal, wie viele Fotos man macht. Erst das Ausdrucken kostet etwas. Zudem haben fast alle Menschen ein mobiles Telefon, in dem eine gute Kamera eingebaut ist. Wir sind dementsprechend von Bildern überflutet.“ Für Senfter liegt die „wohl bedeutendste Konstante in der langen Geschichte der Porträtkunst darin, ein Abbild zu schaffen und gleichzeitig das innere Wesen sichtbar werden zu lassen.“ Die künstlerische Dimension sucht sie folgerichtig in der „Diskrepanz zwischen Selbst- und Außenwahrnehmung“ – auch bei sich selbst!


Annelies Senfter - Mit eigenen Augen, Ausstellung im RLB-Atelier Lienz
18. September bis 23. November
Montag bis Freitag von 8.30 bis 12.15 Uhr und von 14.00 bis 16.30 Uhr

Zur Ausstellung liegt ein 64-seitiger Katalog mit Beiträgen von Silvia Höller und Martin Kofler sowie einem Interview mit Annelies Senfter auf. Er ist kostenlos vor Ort erhältlich.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

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