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Was macht das Beinschab-Tool im Italowestern?

Ein Filmrätsel für Fortgeschrittene um Helden, Antihelden und die subtile Wahl der Waffen im entscheidenden Duell.

„Ich finde, es ist genug.“ „Genug ist genug!“ Die beiden Zitate wurden im Abstand von beinahe auf den Tag genau zwei Jahren formuliert. Auf den ersten Blick scheinen sie denselben Inhalt nur geringfügig zu variieren, und auch der Zusammenhang, aus dem sie gerissen sind, lief letztendlich auf dasselbe hinaus: Neuwahlen in der Republik Österreich. Semantisch aber könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Im ersten Fall drückt ein Sprecher seine subjektive Einschätzung eines Sachverhalts aus, eine Empfindung, die der Empfänger dieser Mitteilung nicht teilen muss. Sie kann wahr oder falsch sein.

Die zweite Aussage ist in jedem Fall wahr. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Auch wenn der Erkenntnisgewinn ungefähr dem Niveau des Meeresspiegels entspricht, wird man ihr niemals vorwerfen können, sie sei eine Lüge. An dieser Stelle endet die sprachanalytische Kompetenz eines Verfassers von Randnotizen, der nun endlich die Gelegenheit bekommt, seine Gedanken in einem Metier darzulegen, von dem er noch weniger versteht, sie dort in Bildern zu verdichten, ohne diese zu einer logisch konsistenten Erzählung verknüpfen zu müssen.

Nie würde ich mir anmaßen, einen Roman à la Franz Kafka zu schreiben – das Drehbuch zu einem Italowestern tut’s auch! Das Personal des Italowesterns ist überschaubar: ein Held, der fast immer ein Antiheld ist, und sein Gegenspieler, der Anti-Antiheld sozusagen, der durch diese Verdoppelung wiederum zum Helden gerät. Und schließlich noch die vom Schicksal zerzauste Schöne, die fleischgewordene Unschuldsvermutung, die nicht spricht, sich nicht verhält und gerade dadurch den beiden Hauptdarstellern ihre Rollen und ihr musikalisches Thema zuteilt.

Der Italowestern steht und fällt mit der Filmmusik. Als Komponisten wähle ich für meinen speziellen Zweck Luigi Nono, nicht weil das Genre es so verlangt, denn schließlich ist auch Moroder ein guter italienischer Name, sondern wegen der doppelten Verneinung: Nono klingt wie Nie, na, und mit der minutenlangen Aneinanderreihung dieser Tonfolge ist auch das erste Bild untermalt:

Eine epische Szene die in ein Paradoxon mündet. Gibt´s nur im Italowestern – und in der österreichischen Politik. Foto: Alamy/RGR-Collection

Ein Mann watet in Cowboystiefeln über die schlammbedeckte Landstraße und schleppt an einem Seil, das er sich über die Schulter geworfen hat, einen Sarg hinter sich her. In der Stadt angekommen, kommt er zum Stillstand, denn plötzlich scheint der Sarg ihn in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen. Die eingefrorene Großaufnahme seiner stählernen Augen, zwischen denen ein Schweißtropfen sich über die Nasenwurzel den Weg Richtung Kinn bahnt, nur um beim nächsten Wimpernschlag wieder nach oben zu rinnen, quittiert das Paradoxon. Na, nie ….

Im Obergeschoß des Saloons sitzt eine junge Dame am Fenster, deren Anteil an dem seltsamen Schauspiel sich nach und nach aus der Krebsumkehrung der chromatischen Tonleiter erschließt: Ihr entblößtes Bein auf die Fensterbank gesetzt, führt sie die Klinge eines Rasiermessers gewissenhaft entlang des Unterschenkels einmal nach oben und dann wieder nach unten. Nach etlichen Wiederholungen lässt ein entschlossener finaler Strich vom Fußgelenk bis zum Knie die Musik zu einem Crescendo anschwellen, das auch das Gespann unter ihrem Fenster erfasst und in atemberaubendem Tempo den Sarg samt Besitzer rückwärts den Hügel hinaufjagt.

Schließlich wendet sich die Dame einem im Gegenlicht bisher nur als Silhouette auszumachenden Gefäß mit symmetrisch ausschwingenden Henkeln zu, einem Schmalztopf, um mit dessen Inhalt ihre von der intensiven Behandlung mit dem Beinschabtool einigermaßen in Mitleidenschaft gezogene Haut zu besänftigen. Da erhebt sich der Schmalztopf und mit einem knappen, aber wohlwollenden Nicken verlässt er den Raum. Unten angekommen wirft er dem dicken älteren Herrn, der dort die ganze Zeit auf seinem Klappstuhl ausgeharrt und das Geschehen – woher wüssten wir sonst davon? – detailliert in sein Notizheft geschrieben hat, eine Handvoll Münzen vor die Füße. 

Auf der gegenübergelegenen Straßenseite wird er schon von der Krönung eines jeden Italowesterns erwartet, dem örtlichen Bestatter, dessen Einspänner so schwarz und schweigsam ist wie er selbst. Hier folgt normalerweise der Abspann, doch es stellt sich die Frage, um welchen Film es sich überhaupt handelt. Ein kleiner Hinweis: Sein Titel veranlasste den Antihelden zu dem eingangs angeführten Zitat.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

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9 Postings

r.ingruber
vor 2 Monaten

"Ich hab gestern unter anderem mit meiner Familie am Abend die Situation besprochen und den letzen Mosaikstein in einem eigentlich schon fertigen Bild hat dann der ORF, nämlich die Zeit imBild 2, abgegeben. Und zwar mit der Anmoderation von Armin Wolf, Cover: "Django, die Totengräber warten schon".

Reinhold "Django" Mitterlehner, am 10. 05. 2017, also vor knapp 7 Jahren. Gratulation an @tantmarie und alle, die mit Django sonst noch etwas anfangen können. Sogar im Posting von @senf steckt diesmal ein Fünkchen Wahrheit, nämlich der Wolf in den Cowboystiefeln.

 
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Chronos
vor 2 Monaten

"Spiel mir das Lied vom Tod" nur "Für eine Handvoll Dollars" kann "Django" das "Beinschab-Tool" 60 Jahre später, sicher nicht mehr nützen… dann steht einem nichts im Wege, die situative Ironie des Verfassers genussvoll aufzunehmen.

Bravo, Italo-Western/Politik Versteher und bisher, lauter grüne Daumen nach oben!

 
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tantmarie
vor 2 Monaten

Man kann sich kaum mehr erinnern, obwohl es keine 7 Jahre her ist, aber man nannt ihn Django.

 
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    spitzeFeder
    vor 2 Monaten

    Da möchte ich jetzt bitte einschreiten: Django mit Franco Nero aus dem Jahre 1966 ( https://de.wikipedia.org/wiki/Django_(1966) ). Keine 58 Jahre her... (*duckundweg*) :-)

     
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    aenda
    vor 2 Monaten

    @tantmarie Herzlichen Glückwunsch zur richtigen Antwort! Habe gehört, als Preis winkt ein Dolomitenstadt-Plus-Abo. Falls sie schon eines haben, mein Tipp: aufwerten und für ein paar Dollar mehr weiterverkaufen.

     
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aenda
vor 2 Monaten

Das verstehe jetzt wer möchte: wenn's keiner versteht kann's wieder jeder lesen!

 
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    r.ingruber
    vor 2 Monaten

    Nach den Postings zu urteilen, hat's eh fast niemand gelesen. Vielleicht sollte ich Kinokarten verlosen?

     
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      Senf
      vor 2 Monaten

      Nein, ein Paar Cowboystiefeln aus frischem Wolfsleder tätens auch.

      Wetten?

       
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      c.haplin
      vor 2 Monaten

      Ich würde mich über einen Kinobesuch mit ihnen sehr freuen!

       
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