Ihr Dolo Plus Vorteil:
Diesen Artikel jetzt anhören
Der Informatiker und Bergführer Jan Beutel überwacht die Situation im Schweizer Hochgebirge mit zahlreichen Sensoren. Er hat den Bergsturz im Lötschental vorhergesagt. Copyright: PermaSense Project

Der Informatiker und Bergführer Jan Beutel überwacht die Situation im Schweizer Hochgebirge mit zahlreichen Sensoren. Er hat den Bergsturz im Lötschental vorhergesagt. Copyright: PermaSense Project

„Das Tauen und Schmelzen geht unweigerlich weiter“

Interview mit dem Hochgebirgsforscher Jan Beutel zum Bergsturz in der Schweiz.

Ein Gletscherabbruch am Mittwochnachmittag verschüttete Teile des Dorfes Blatten. Ursache dafür ist auch der Klimawandel, sagt Jan Beutel, Professor mit Schwerpunkt Hochalpine Kryosphäre an der Universität Innsbruck und ausgebildeter Bergführer (IVBV), im Interview zum aktuellen Bergsturz im Lötschental im Schweizer Kanton Wallis.

Wie haben Sie die Ereignisse und den Gletscherabbruch in der Schweiz erlebt?

Wir sind seit fast 20 Jahren mit verschiedenen Forschungsprojekten im Wallis aktiv. Die Entwicklung am Kleinen Nesthorn habe ich aus der Ferne, aus dem Büro live mitverfolgt. Am Kleinen Nesthorn wurden GPS-Messgeräte für die Vorhersage und Maßnahmenplanung eingesetzt, die wir vor zwölf Jahren als Forschungsprototyp eben dort in der Region in Zusammenarbeit mit den Behörden entwickelt haben.

Als der Bergsturz passierte, konnten wir in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Erdbebendienst (SED), über Online-Daten relativ rasch Aussagen über die Schwere des Ereignisses treffen. Der Bergsturz passierte um 15:24 Uhr, um 15:30 Uhr habe ich den SED kontaktiert und um 15:39 Uhr stand die erste Analyse – M=3.1 auf der Richterskala. Das Piz Cengalo-Ereignis 2017 hatte eine Stärke von M=3.0, also etwas kleiner. Neben all dem Schaden und all der Gefahr ein unheimlicher Erfolg für unsere Forschung und unsere Methoden.

War der Klimawandel die Ursache für den dramatischen Bergsturz in der Schweiz?

Die starken Veränderungen, die wir heute im Hochgebirge erleben, sind zum großen Teil die Folge des Klimawandels der vergangenen Jahrzehnte. Zu einem gewissen Teil ist die Reise für die nächsten Jahre gebucht – eingeheizt ist schon, und das Tauen und Schmelzen wird unweigerlich weitergehen. Es gilt aber jeweils zu differenzieren, wenn man Klimaprojektionen mit aktuellen Ereignissen in Beziehung setzen will. Diese Ereignisse finden zwar im Kontext des Klimawandels statt, sind aber nicht immer ursächlich direkt damit verbunden. Berge werden instabil und stürzen letztendlich ab, weil sich die Materialkonfiguration und die Geometrie ändern. Das heißt: Die Wirkung der Schwerkraft ist die eigentlich treibende Kraft.

Welche Prozesse begünstigen Ereignisse wie jenes in Blatten?

Man muss unterscheiden, ob man über das Hochgebirge – wie das Kleine Nesthorn und den Birchgletscher bei Blatten – oder niedere Tallagen spricht. Hoch oben in der alpinen Kryosphäre öffnet der Rückgang des Eises die Oberfläche gegenüber Wind und Wetter. Das heißt, es besteht keine Isolation mehr. Wasser und Wind können direkt eindringen und das Gestein erodieren – die Berge werden gleichzeitig auch steiler. Überall werden seit Langem zunehmende Bewegungsraten hangabwärts festgestellt.

Zudem taut der Permafrost mit ca. 0,1 Grad Celsius pro Dekade auf. In den Alpen liegt die Temperatur des Permafrosts vielerorts schon im Bereich von -3 bis -1 Grad Celsius, das heißt, er ist sehr warm. Dadurch wird die aktive Schicht, also der Teil an der Oberfläche, der jedes Jahr auftaut, immer tiefer. Aus Laborversuchen wissen wir, dass dies mit Stabilitätsverlusten in Felsproben von bis zu 80 Prozent einhergeht. Auftauen bedeutet aber auch, dass mehr flüssiges Wasser zur Verfügung steht – auch im Inneren des Berges – und das schmiert und fördert die Beweglichkeit, getrieben von der Gravitation.

Was passiert bei einem Bergsturz von diesen Dimensionen?

Wenn Felsmaterial abstürzt, fragmentiert es. Beim Aufschlagen auf einen Gletscher wird durch die kinetische Energie Eis zu flüssigem Wasser. Zusammen mit dem entstehenden Staub und der Bewegung ist das wie in einer Betonmischmaschine. Diese verflüssigte Masse gleitet dann wesentlich schneller und weiter talwärts als nur Felsen, Sand oder Eis alleine. Weiterhin entfalten diese Gemische, in tieferen Lagen zum Teil auch noch mit Bäumen durchsetzt, eine sehr destruktive Kraft, wenn sie ins Tal donnern. Wenn ein Bergsturz bis in den Talboden vordringt, blockiert er oft auch talnahe Gewässer und erzeugt so weitere Gefahren wie Hochwasser und unkontrollierte Ausbrüche.


Jan Beutel ist Professor für Technische Informatik an der Universität Innsbruck. Sein Forschungsinteresse gilt drahtlosen Sensornetzwerken, mit denen er Veränderungen im Gebirge beobachtet. Seit fast zwei Jahrzehnten untersucht er in einem Freiluft-Labor am Schweizer Matterhorn den Zustand von Felsen, Permafrost und das herrschende Klima. Seine Daten und Messgeräte erlauben es, den Klimawandel im Hochgebirge quantitativ zu verstehen, mögliche Naturgefahren einzuschätzen und bilden Grundlagen für Vorhersagen.

Das Interview wurde zur Verfügung gestellt von der Universität Innsbruck.

Das könnte Sie auch interessieren

Gletschersturz verschüttete Großteil von Schweizer Dorf

Drei Millionen Kubikmeter Gesteins­material. Schuttkegel 50 bis 200 Meter dick. Dorfbewohner zuvor evakuiert.

Massiver Felssturz: Zwei Wände am Glödis abgebrochen

Ein Video zeigt, wie am Westgrat zwei Felswände bergab donnern. Gemeinde Kals will keinen Geologen hinzuziehen.

Ein Posting

Moses
gestern

Verdammt, schon wieder ein von den Grünen und NGOs Bestochener! Woher kommt das Kleingeld für all die Wissenschaftler, damit sie die Erderwärmung als Tatsache bestätigen? Erdgeschichtlich war es ja schon viel wärmer! Wissenschaft ist unnötig. Ps.: Ironie off

 
4
3
Sie müssen angemeldet sein, um ihre Stimme für dieses Posting abzugeben.
Ein Posting verfassen

Sie müssen angemeldet sein, um ein Posting zu verfassen.
Anmelden oder Registrieren