Ihr Dolo Plus Vorteil:
Diesen Artikel jetzt anhören

Gletschersturz verschüttete Großteil von Schweizer Dorf

Drei Millionen Kubikmeter Gesteins­material. Schuttkegel 50 bis 200 Meter dick. Dorfbewohner zuvor evakuiert.

In der Schweiz hat ein enormer Gletschersturz am Mittwoch das bereits evakuierte Bergdorf Blatten (Kanton Wallis) unter sich begraben. Fast 90 Prozent des Ortes wurden laut dem Regionalen Führungsstab von einer mehrere Meter hohen Schlammlawine verschüttet. Ein 64-jähriger Einheimischer wird vermisst, eine Suchaktion verlief bisher erfolglos. Auslöser der Ereignisse war ein Bergsturz am rund 3.800 Meter hohen Kleinen Nesthorn, oberhalb des nun abgestürzten Birchgletschers.

Durch das Abbröckeln des Kleinen Nesthorns lagerten sich in den vergangenen Tagen rund neun Millionen Tonnen Schuttmaterial auf dem Gletscher ab und übten Druck auf die Eismassen aus. Wegen der Gefahrenlage war Blatten in der Ferienregion Lötschental bereits vorige Woche ganz geräumt worden. Rund 300 Einwohner waren innerhalb kurzer Zeit evakuiert worden. Viele ihrer Häuser sind nun zerstört, begraben unter einer dicken Schuttmasse.

Trotz der Evakuierung lief am Abend eine Suchaktion nach einem 64-jährigen Einheimischen, der sich im Bergsturzgebiet aufgehalten hatte. Drei Spezialisten der Kantonalen Walliser Rettungsorganisation ließen sich von einem Helikopter neben einem Schuttkegel absetzen. Unterstützt wurden sie durch eine Drohne mit Wärmebildkamera. Bis nach 22 Uhr blieb die Suche erfolglos.

Historisch beispielloser Gletschersturz

Nach Schätzung des kantonalen Chefs für Naturgefahren stürzte der Schutt vom Kleinen Nesthorn ganz oder zum großen Teil mit dem Abbruch des Birchgletschers zu Tal. Drei Millionen Kubikmeter Gesteinsmaterial dürften am Mittwochnachmittag gegen 15.30 Uhr zusammen mit dem Gletscher auf Blatten niedergegangen sein, sagte Raphaël Mayoraz, ein Naturgefahren-Experte des Kantons Wallis, am Mittwochabend vor Medienvertretern.

Der Gletscherabbruch und der Murenabgang seien historisch „beispiellos“. Der Schuttkegel sei 50 bis 200 Meter dick. Mit dem Schlimmsten hätten die zuständigen Behörden immer gerechnet und nun sei es eingetreten. Mit dem Murenabgang sollte das meiste des Materials heruntergekommen sein, so Mayoraz.

Der öffentlich-rechtliche Sender SRF zeigte Aufnahmen von einer riesigen Staubwolke, die sich mit den Schuttmassen den Berg hinab wälzte. Laut dem Schweizerischen Erdbebendienst wurde die Erde mit einer Stärke von 3,1 erschüttert. Zuvor waren bereits in der Nacht zum Dienstag größere Mengen an Eis, Fels, Schnee und Wasser talwärts gestürzt.

„Wir haben das Dorf verloren, aber nicht das Herz“

„Das Unvorstellbare ist heute eingetreten, wir haben praktisch das sichtbare Dorf verloren“, sagte Gemeindepräsident Matthias Bellwald in einer Pressekonferenz am Mittwochabend in der Nachbargemeinde Ferden. Er sei froh, dass man alle Einwohner aus Blatten habe evakuieren und in Sicherheit bringen können.

„Das gibt uns die Kraft, das zu machen, was vor uns liegt. Wir haben das Dorf verloren, aber nicht das Herz. Auch wenn das Dorf unter einem großen Schuttkegel liegt, wissen wir, wo unsere Häuser und unsere Kirche wieder stehen müssen“, rief der sichtlich betroffene Gemeindepräsident zum Wiederaufbau auf.

Die Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter drückte den Bewohnern von Blatten ihr Mitgefühl aus. „Es ist schlimm, wenn man seine Heimat verliert“, schrieb sie auf der Plattform X. Umweltminister Albert Rösti und Verteidigungsminister Martin Pfister reisten sofort in das Katastrophengebiet und sagten der betroffenen Gemeinde die Unterstützung der Schweizer Regierung zu.

Gefahr noch nicht ganz gebannt

Mayoraz wies darauf hin, dass die Gefahr für das Tal auch nach dem Gletschersturz noch nicht gebannt sei. Denn durch den Abbruch wurde der Fluss Lonza auf einer Länge von etwa zwei Kilometern stark aufgestaut. Dort könnte es zu weiteren Muren kommen. Das sei angesichts der zuvor geringen Wassermengen im Fluss derzeit nicht sehr wahrscheinlich, aber man könne Überschwemmungen und weitere Evakuierungen nicht ausschließen.

Das könnte Sie auch interessieren

„Das Tauen und Schmelzen geht unweigerlich weiter“

Interview mit dem Hochgebirgsforscher Jan Beutel zum Bergsturz in der Schweiz.

Massiver Felssturz: Zwei Wände am Glödis abgebrochen

Ein Video zeigt, wie am Westgrat zwei Felswände bergab donnern. Gemeinde Kals will keinen Geologen hinzuziehen.

Keine Postings

Ein Posting verfassen

Sie müssen angemeldet sein, um ein Posting zu verfassen.
Anmelden oder Registrieren