Zuweilen fragt man sich, warum eine Nachricht über Tage die Medien beherrscht, andere Themen in den Hintergrund drängt und immer mehr an Fahrt gewinnt, ohne dass die für die Bevölkerung wichtigen Fragen diskutiert werden. Die öffentliche Meinung bleibt an einem Detail hängen und alle Medien stürzen sich auf dieses. Auf den Plattformen der Sozialen Medien passiert dasselbe, bloß mit mehr Emotion und Polemik.
Aktuell zeigt das Beispiel der Wirtschaftskammer (WKO) dieses Bild. Noch immer wird über die zahlreichen Kommunikationsfehler der letzten Wochen lamentiert. Das wird auch mit dem Abtreten Harald Mahrers kein schnelles Ende finden. Zunächst erstaunt es tatsächlich, dass eine so große Institution keine Spezialist:innen für gute PR-Arbeit besitzt. Dass man von der ersten Imagekatastrophe mit Hilfe von Notlügen gleich in die nächste rutscht und auch diese nicht die letzte Panne darstellt, müsste man laut Jobprofil zu verhindern wissen.
Wenn der (inzwischen ehemalige) oberste Chef sich selbst Kommunikationsexperte nennt, umso mehr. In der WKO aber gelang das Kunststück, dass nicht nur der Chef in seinen Wortmeldungen kläglich versagte, sondern die Regionalchef:innen der WKO – selbst am Desaster mitschuldig – gemeinsam auf ihn eindroschen, als hätte das alles nicht mit ihnen zu tun. Gut abgelenkt? Nein, eher Realitätsverweigerung. Es zeigt sich ein Sittenbild, das viel beängstigender ist als das Kommunikationsdebakel.
Anzeichen eines Demokratieverfalls
So liegt der Verdacht nahe, dass es sich vor allem um Gleichgültigkeit gegenüber der Bevölkerung und dem demokratischen System handelt. All das in einem Stil, wie es in Demokratien geschieht, die schrittweise in Richtung Autokratie verschoben werden. Einer der Kernpunkte eines Demokratieverfalls (democratic backsliding) ist das Zerstören der demokratischen Institutionen. Dies funktioniert unter anderem durch ein Selbstverständnis, dass sich Führungspersonen über Recht, vor allem aber Gerechtigkeit und die Beziehung zur Bevölkerung hinwegsetzen dürfen.
Arroganz könnte man es auch nennen, doch dann ginge es um einen Einzelfall, was nicht zutrifft. So offenbarte der Umgang mit der Anklage von August Wöginger wegen Beihilfe zum Amtsmissbrauch das Missverständnis, dass ein juristisches Urteil das politisch negative Bild korrigieren könne. Der Kommunikationsfehler, nicht in ausführlichem Maße zu erklären, was eine Diversion bedeutet, und dass dies eben kein Freispruch war, schadete der Politik insgesamt. Dass der Betroffene ausgerechnet im Zentrum der Demokratie weiterarbeitet, als wäre nichts geschehen, mag juristisch zu rechtfertigen sein, politisch betrachtet handelt es sich um eine Missachtung dessen, dass für gewisse Ämter besonders hohe ethische Regeln gelten müssen, um deren Ansehen zu gewährleisten.
Das Gespür für die Bevölkerung
Während viele Menschen nicht wissen, wie sie im nächsten Monat die ganz alltäglichen Ausgaben für Miete, Strom, Heizung, Essen bewältigen oder ihren Kindern auch nur ein kleines Weihnachtsgeschenk kaufen können, dürfen sich die regionalen Führungskräfte der WKO nun also über exorbitante Gehaltserhöhungen freuen. Das ist nicht bloß ein Kommunikationsdebakel. Selbst wenn dahinter eine neue Abrechnungsmethode ihrer Spesen steckt, muss man in einer Zeit der finanziellen Verzweiflung vieler Bürgerinnen und Bürger das Gespür besitzen, sich nicht über die Bevölkerung zu stellen.
Gerade die WKO hat bei den diesjährigen Gehaltsverhandlungen der verschiedenen Branchen mehrfach betont, dass alle Rücksicht auf die schwierige finanzielle Situation nehmen und sich in ihren Forderungen zurückhalten müssten. Dabei ging es um reine Inflationsanpassungen, nicht um Gehaltserhöhungen von mehr als 60 Prozent, wie es Barbara Thaler ab 2026 genießen wird. Dass sie eine der ersten und lautesten kritischen Stimmen für einen Rücktritt Mahrers war, könnte als Ablenkungsversuch interpretiert werden.
In einer funktionierenden liberalen Demokratie muss es möglich sein, dass man die Frage nach Recht, Gerechtigkeit und den Werten des demokratischen Miteinanders stellt. Die Wertediskussion taucht meist dann auf, wenn es um die Integration von Menschen mit Migrationsgeschichte geht. Dann wird viel darüber gesprochen, wie wichtig „uns“ die demokratischen Werte sind.
Wie steht es dann mit der Verteidigung dieser Werte gegenüber einer Klasse von Politiker:innen, die nicht die Fähigkeit oder den Anstand (um einen Begriff aus der Wertediskussion zu bemühen) besitzt, um sich mit den Alltagssorgen der Bevölkerung auseinanderzusetzen? Dies ist die demokratiepolitisch essenzielle Frage, an der sich auch die nächsten Wahlen entscheiden könnten.
Wenn sich die Bevölkerung in Zeiten der Krise im Stich gelassen und betrogen fühlt – und Gefühle müssen nicht mit den Fakten übereinstimmen – wird es die eine oder andere Partei geben, die dies für ihren Nutzen auszunützen weiß. Sie muss dafür nicht vorlegen, wie sie es besser machen würde, sondern es wird reichen, an die Emotion dieses Sich-im-Stich-gelassen-Fühlens zu appelieren.
4 Postings
"Wie steht es dann mit der Verteidigung dieser Werte gegenüber einer Klasse von Politiker:innen, die nicht die Fähigkeit oder den Anstand (um einen Begriff aus der Wertediskussion zu bemühen) besitzt, um sich mit den Alltagssorgen der Bevölkerung auseinanderzusetzen?"
Es gibt nur mehr den "Anstand" gegenüber der Partei, der "Familie". Die bestehened exorbitante Parteienförderung setzt dann die Partei in die Lage, medial ein Narrativ zu erzeugen, dass ALLES für die Bevölkerung gemacht wird. Wozu braucht es Parteiakademien, da wird ja schon die "Bubble des Politikerhorizontes" geformt, und gelernt wir man Meinungen durchsetzt, eher kaum wie man Dialoge führen kann.
Frau Ingruber schreibt sehr richtig, dass das System dahinter, das einen Mahrer zulässt, das Problem ist. Und: Bis zur nächsten Sau, die durchs Dorf getrieben wird (der ÖVP wird schon was einfallen), ist alles wieder vergessen ... ein Trausperspiel sondergleichen!
Gut geschrieben, trifft es auf den Punkt!
Das Schlimme ist aber auch das allgemeine Demokratieverständnis der heutigen Bevölkerung. Leider gehen viele gar nicht mehr wählen, da "eh egal"!
Das öffnet aber gerade den Populisten Tür und Tor, die dieses Machtvakuum auszufüllen verstehen, leider oft auf Kosten der Demokratie, denn die ist dann für diese Machthaber nur noch lästig.
Dass ein Wöginger nicht auch schon längst weg ist, verstehe wer wolle. Möchte nicht wissen, was der sonst noch so unternommen hat, in seinem Umfeld, das halt nicht bekannt ist. Sogar der Bundeskanzler schützt diesen Menschen noch, alles darf bleiben wie es ist. Diese ÖVP Entscheidung spielt halt der FPÖ wieder in die Hände, doch auch BK Stocker scheint das nicht zu verstehen.
Wenn das so weitergeht, werden auch wir mal USA-Verhältnisse haben, dort regiert Trump, wie ER will und nicht immer, wie es die Verfassung vorgibt.
Noch schlimmer wär die russische Regierungsform. Dort gehört Betrug, Lug und Mord zum Alltag, ausgeübt von der dortigen Landesführung. Jetzt versinken sie in Elend und Krieg, also wenn wir das auch wollen, dann müssen wir nur so weiter machen. Die Veränderungen geschehen schleichend, wie z.B. in Ungarn.
Wollen wir so leben? Ich glaube nicht, also denken wir darüber mal genauer nach, vorallem aber auch "die da oben", was sie mit ihrer Gleichgültigkeit und Gier anstellen.
Deshalb sind für mich Wöginger und auch diese Fr. Thaler genauso rücktrittsreif, einfach untragbar, solche rücksichtslosen Personen!!!
...super Artikel :-)
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