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Der Hauptplatz von Lienz. Foto: Helmut Niederwieser

Der Hauptplatz von Lienz. Foto: Helmut Niederwieser

Licht der Gegenwart und Geist der Geschichte

Raimund Abrahams Bankgebäude der Hypo Tirol in Lienz ist ein viel diskutiertes Meisterwerk.

Ende des 12. Jahrhunderts entstand auf Initiative der Görzer Grafen die erste befestigte Siedlung im Talboden zwischen Isel und Drau, ein von Mauern eingefasster Bezirk mit gräflicher Burg, dem Ansitz des Burggrafen und dreißig nach und nach und zunächst noch teilweise aus Holz errichteten Häusern, in denen der niedrige, ritterständische Adel Unterkunft fand. Die rund vierhundert Jahre ältere, durch die Patriarchen von Aquileia kontrollierte Siedlung um St. Andrä verlor damit an Bedeutung. Der trapezförmige, sich nach Osten verjüngende Grundriss des „burgums“, dessen nördliche Flanke parallel zur Isel verlief, entsprach in etwa dem heutigen Hauptplatz. 1242 wurde die Anlage urkundlich erstmals „Stadt Lienz“ genannt.

„Alle heißer so in disem einfanng der Rinckhmaurn begrifen sein alle verprunnen.“ So kommentiert eine nach dem verheerenden Brand vom 8. April 1609 angefertigte Federzeichnung die gähnende Leere innerhalb der damals bereits erweiterten Stadtmauer, und sollte neben den Ruinen der Liebburg, der Johanneskirche, der Spitalskirche und des Klosters der Karmeliten noch irgendetwas erhalten geblieben sein, hat sich der Zeichner die Wiedergabe der kläglichen Reste verständlicherweise erspart. Vergeblich, den mittelalterlichen Stadtkern im gegenwärtigen Erscheinungsbild des Lienzer Hauptplatzes zu suchen, das sich, mit Ausnahme der nach einem neuerlichen Brand 1723 renovierten Liebburg, im Wesentlichen den Jahrzehnten des Wiederaufbaus nach den Bombenangriffen vom 26. April 1945 verdankt.

So sah der Lienzer Hauptplatz – damals noch Kaiser-Josef-Platz – im Jahr 1913 aus. Foto: Lehrburger, Nürnberg, Wikicommons

„Historisch“ ist ein dehnbarer Begriff, am Lienzer Hauptplatz zieht er sich aber zusammen. Die Parzelle, auf der das nach seinen letzten Bewohnern „Wiesentheiner-Haus“ genannte Gebäude stand, war schon im 13. Jahrhundert bebaut. Archäologische Untersuchungen konnten anhand des westlichen Mauerwerks eine zum Platz gerichtete Werkstätte samt darüber gelegener Wohnung rekonstruieren. Im 15. Jahrhundert, zur Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs der Stadt, wuchs das Haus durch weitere Zubauten nach Norden. Erschlossen wurde der gesamte Komplex über einen von der Straße bis in den Hof führenden Seitenflur und eine Treppe in der Mitte des Hauses. Noch vor dem Stadtbrand war auch das zweite Obergeschoß aufgesetzt und damit eine Höhe erreicht, die das Gebäude bis zu seinem Abbruch 1992 nicht überschritt.

Das Bankinstitut Hypo Tirol hatte das Grundstück erworben und zur Errichtung seiner Lienzer Filiale einen Architektenwettbewerb ausgelobt, den der in New York lebende und lehrende, aber aus Lienz stammende Raimund Abraham gewann. Fast gleichzeitig konnte er sich gegen nicht weniger als 225 Mitbewerber um den Zuschlag für den Neubau des 1942 gegründeten Österreichischen Kulturforums in Manhattan behaupten. Die Aufgaben waren durchaus vergleichbar: In New York wie in Lienz war eine 7,5 m schmale Baulücke zu schließen. Während jedoch das Kulturinstitut über 24 Stockwerke verfügt, sind es in Lienz lediglich fünf, in denen der Architekt die gesamte Infrastruktur eines Bankgebäudes samt Einzimmerwohnung mit Dachterrasse unterzubringen hatte.

Modell der Hypo Bank Lienz von Raimund Abraham. Die geistvolle Lichtführung, die weitgehend ohne künstliche Beleuchtung auskommt, bedeutet nicht zuletzt Rücksicht auf die geschichtlich gewachsene Nachbarschaft, der sie hofseitig so wenig wie nur irgend möglich an Aussicht verbaut.

An der Südseite gelangt man durch den rückspringenden, mit Edelstahl verkleideten Sockel in das Foyer, einen vier Geschosse zusammenfassenden Schacht, über dem durch das Dachfenster und den darunterliegenden Glaskörper das Tageslicht strömt und den südlichen Abschnitt aller Funktionseinheiten beleuchtet. Wie ein mittlerer Flur erstreckt sich die Schalterhalle bis zu einem weiteren Foyer an der Nordseite. Darüber sind die Büros, der ursprünglich als Terrasse konzipierte Sozialraum und die Wartezonen auf zwei Etagen verteilt. Vom ersten Stock führt eine Treppe zum respektvoll als „Abrahamsaal“ bezeichneten Konferenzraum. Dieser empfängt sein Licht durch das Dach dieses langgezogenen, durch eine „metaphorische Brücke“ mit dem fünfstöckigen Südturm verbundenen Baukörpers, zwei schräg nach Norden ansteigenden gläsernen Flügel, welche die Rückseite des Bauwerks als auf den Kopf gestelltes Dreieck abschließen.

Nach der Entrüstung ist vor der Entrüstung.

Kaum war nach dreijähriger Bauzeit Anfang März 1997 das Gerüst abgetragen, war die zum Hauptplatz gewandte Fassade auch schon Gegenstand kontroversieller Kritik. „Ist es ein architektonisches Kunstwerk oder die Faust aufs Auge?“ Die Antworten auf eine vom Osttiroler Boten durchgeführte Straßenumfrage schwankten noch zwischen vorsichtiger Anerkennung und entschiedener Ablehnung des neuen Gebäudes. Deutlicher wurde die Kritik dann aber in Leserbriefen geäußert, die Fassade als „hässlicher Kontrapunkt zur Häuserfront des wohl schönsten Stadtplatzes von Tirol und weit darüber hinaus“ tituliert. Besser wäre es gewesen, das Maurergerüst stehenzulassen und mit Blumentrögen zu verzieren, nötigenfalls aber auch eine Abänderung durch den „sanften Boykott des Geldinstituts“ zu erzwingen.

Das Hypo-Gebäude nimmt Bezug zu seinen Nachbarhäusern. Foto: Helmut Niederwieser
Die markante Nordseite des schmalen Bankgebäudes. Foto: Wolfgang C. Retter

Der Bau hätte von der Stadt Lienz nie genehmigt werden dürfen, weil er das Ortsbild erheblich beeinträchtigt, schreibt schließlich einer, der sich selbst als „antiquierter Kleingeist“ bezeichnet. Sein Kommentar war eine Punktlandung auf dem Rücken der von Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung geäußerten These, dass „Geld und Geist das verleugnete Wunschbild der durch Herrschaft Verstümmelten“ sind. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte die Architektur der Moderne eine Abneigung gegen die Symmetrie als Herrschaftssymbol. Im Häuserensemble des Lienzer Hauptplatz aber ist außer der Liebburg mit ihrem steinernen Portal und den mächtigen flankierenden Türmen nur mehr das Bankgebäude symmetrisch. 

Die Erzeugnisse der Baumeister und Architekten unterscheiden sich von jenen der Schneider, der Rüstungsschmiede und Plattner durch ihre benutzerunabhängige Statik. Sie stehen auch da, wenn niemand in ihnen steht. Das aber könnte zu zweierlei Missinterpretationen verleiten, einerseits nämlich, den Sinn von Gebäuden von ihrem Innenleben zu isolieren, andererseits aber auch, der architektonischen Hülle selbst menschliche Züge anzudichten: „Fassade“ ist von „facies“, dem lateinischen Wort für „Gesicht“, abzuleiten, und die Versuchung, sie nicht als ein Abbild innerer Ordnung, eines Kosmos, sondern im Sinne äußerlicher Kosmetik zu lesen, ist groß. Eine Fassade ist nicht nur ein Anblick, eine Fassade blickt uns auch an.

Eine Komposition aus Funktionalität und Ästhetik

Nicht zufällig wurde die Südfassade mit einer Maske verglichen, die das hinter ihr liegende mehr verschleiert als preisgibt. Das führt zu Irritationen. Wie William von Baskerville seinem Schüler erklärt, „ist eidolon sowohl das Bild als auch das Gespenst, und der Spiegel wirft unser verzerrtes Abbild zurück, das wir selber neulich für ein Gespenst hielten!“ Eidolon ist die Verkleinerung von Eidos, dem griechischen Wort für Idee. „Ich brauche nie ein Gebäude, um meine Idee zu verifizieren“, hat Abraham seinem Misstrauen gegenüber gebauter Architektur Ausdruck verliehen, die er, ganz im platonischen Sinn, als Verunreinigung der reinen Idee und als Verkleinerung des großen Gedankens verstand.

„Ich brauche nie ein Gebäude, um meine Idee zu verifizieren“. Raimund Abraham wurde am 23. Juli 1933 in Lienz geboren und starb am 4. März 2010 in Los Angeles. Foto: Courtesy of SCI-Arc
Nicht zufällig wurde die Südfassade mit einer Maske verglichen. Zeichnung von Raimund Abraham. Foto: Az W Architekturzentrum Wien

Um sich der Idee zu versichern, leistete Abraham der Zeichenstift, weit öfter als das realisierte Bauwerk, die besten Dienste. Die Zeichnung ist daher niemals nur als Entwurf oder Vorstufe, sondern als autonomes Kunstwerk zu werten, das im Vergleich mit dem realisierten Gebäude am Lienzer Hauptplatz einige Unterschiede aufweist: Abgesehen von der wohl durch ein anderes Material intendierten farbigen Erscheinung ist hier auch die Symmetrie und damit die Analogie zu einem maskierten Gesicht noch stärker akzentuiert. Die Öffnung, in die der Glaskörper eingehängt ist, ist das offene Visier dieser Maske, die ebenso Assoziationen zu einem Ritterhelm weckt und ihr Konzept wie in einem aufgeschlagenen, für jeden einsehbaren Buch nachlesen lässt.

Es gibt im gesamten Ensemble kein zweites Gebäude, das so empfindsam auf seine Nachbarhäuser Bezug nimmt, die sämtlich mit ihrer Traufseite parallel zum Hauptplatz aneinandergebaut sind, in der Breite und der Zahl der Fenster, vor allem aber in ihrer Höhe beträchtliche Differenzen aufweisen. Die straßenseitige Fassade der Bank beantwortet diese Gegebenheiten einerseits mit der Reduktion ihrer Durchfensterung auf einen vertikalen geschossübergreifenden Schlitz, der als bilaterale Symmetrieachse die links und rechts anschließenden Häuser zusammenführt. Die obere Kante der glatten Wand passt sich exakt der Trauflinie und die Oberseite des Glaskörpers dem Dach des linken Gebäudes an. Dachneigung und Traufe des Bankgebäudes verschmelzen mit jener des wesentlich höheren, in den 1950er Jahren noch einmal aufgestockten „Görzerhauses“ zur Einheit.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

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14 Postings

Claudia Moser
vor 2 Jahren

Man kann es nicht oft genug sagen: Rudi Ingruber ist der begnadetste Kunsthistoriker weit und breit. Man kann das Gebäude mögen oder auch nicht, aber die feine, subtile Sprache und Beschreibung, die ist unuebertrefflich.

Lieber Rudi, lieber Gerhard, wäre es nicht an der Zeit, die Randnotizen in einem Buch zu veröffentlichen? Das ist geballtes, kunsthistorisches Wissen, das müsste doch für die Gemeinden, den TVB etc. von großen Interesse sein?

 
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    Raphael Pichler
    vor 2 Jahren

    Volle Zustimmung! Nur eine Sache: Die Serie heißt "Meisterwerke", die "Randnotizen" sind ja was anderes.

     
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      Claudia Moser
      vor 2 Jahren

      Stimmt! Danke für den Hinweis!

       
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    r.ingruber
    vor 2 Jahren

    Bücher werden aus Papier hergestellt und Papier bekanntlich aus Gas. Und während der Westen seine westlichen Werte verteidigt, verteidigt Herr Ingruber eine südliche Hauswand.

     
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Osttirol
vor 2 Jahren

Dieses Gebäude ist für mich persönlich kein Meisterwerk das Gebäude der Hypo Tirol am Hauptplatz gefällt mir überhaupt nicht past über nicht zu den anderen Häusern das möchte ich sagen. Also gefallen tut das nicht mehr

 
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    Raphael Pichler
    vor 2 Jahren

    Da muss wohl noch jemand den letzten Absatz noch einmal lesen.

     
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Raphael Pichler
vor 2 Jahren

Ist schon interessant, wie die Stadt offensichtlich in den letzten 25 nichts gelernt hat. Dabei wurde das Kleingeistertum 1997 wenistens nicht verschwiegen.

 
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    r.ingruber
    vor 2 Jahren

    Und es wurde noch mit dem Klarnamen gepostet!

     
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fracondo
vor 2 Jahren

Eines der schönsten Gebäude der Stadt. Danke für den interessanten Beitrag.

 
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Rebes
vor 2 Jahren

Brutalarchitektur bleibt auch dann brutal, wenn sie von einem Sohn der Stadt kreiert wurde.

 
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Churchill
vor 2 Jahren

Wenngleich ich Hrrn. Ingrubers elaborierten Ausführen sehr viel abgewinnen kann, empfand ich diesen Bau immer höchst zwiespältig. Das "Innenleben" war für mich schon als Kind von der Offenheit und Lichtgestaltung ein Paradebeispiel eleganter, moderner und lichtdurchfluteter Architektur. Die Fassade hingegen missfiel mir von Beginn an. Nicht, weil weil Lienz keine innovative Architektur verkraftet, sondern weil es so ein krasser Bruch mit den umgebenden Häuserfassaden am Lienzer Hauptplatz war. Auf mich machte das Gebäude den Eindruck von "Modernität um jeden Preis". Modernität ist gut, aber nicht um jeden Preis. Und jetzt, da das Gebäude auch schon wieder rd 30 Jahre am Buckel hat, ist auch die Modernität dahin. Es bleibt somit nur noch ein Gebäude, dass im argen Kontrast zu seinem Umfeld steht.

 
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    Raphael Pichler
    vor 2 Jahren

    Da muss wohl jemand den letzten Absatz noch einmal lesen.

     
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      Churchill
      vor 2 Jahren

      ich bin es aber nicht :)

       
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      r.ingruber
      vor 2 Jahren

      "... insgesamt 20 bedeutende Kunstwerke im öffentlichen Raum Osttirols ..." Das ist jetzt tatsächlich der letzte Absatz 😅.

       
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