„Wenn ich groß bin, werde ich Polizist, Feuerwehrmann oder Pilot.“ Oder: „Wenn ich groß bin, werde ich Prinzessin, Friseurin oder Verkäuferin.“ Geschlechterrollen sind bereits unter den jüngsten Mitgliedern unserer Gesellschaft ausgeprägt, gerade Berufsbilder werden stark mit Gendervorstellungen verknüpft.
Bei den Zukunftsvisionen der Mädchen ließe sich hinzufügen: Wenn ich groß bin, werde ich je nach Beschäftigungsgrad zwischen 18 und 43 Prozent weniger verdienen als meine männlichen Kollegen, meine Pension wird aus diesem Grund um rund 38 Prozent kleiner ausfallen, ich werde doppelt so viel unbezahlte Care-Arbeit leisten wie mein Partner, die Wahrscheinlichkeit, dass ich – und nicht mein Partner – bei den Kindern zu Hause bleibe, liegt bei 80 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit von sexueller Gewalt betroffen zu sein, ist dreimal höher als bei Männern, von Femiziden gar nicht zu sprechen. So und so ähnlich lauten die Zahlen und Fakten, die zum heutigen Weltfrauentag von den Parteien ausgesendet und in den Medien kommuniziert werden.
All diese Zahlen gelten für Frauen, die „nur“ auf Grund ihres Geschlechtes Diskriminierung ausgesetzt sind. Für Menschen, welche auf Grund mehrerer Gesichtspunkte diskriminiert werden, ist die Situation noch prekärer: Etwa für Frauen mit Migrationshintergrund, anderer Erstsprache oder Women of Colour. So errechnete das Momentum-Institut zum heutigen Weltfrauentag, dass die Einkommenslücke bei Frauen mit Migrationsgeschichte im Vergleich zu Männern ohne Migrationshintergrund bis zu 60 Prozent beträgt.
Rosige Zukunftsaussichten sind das nicht und ich bin genervt. Genervt, weil die Forderungen die ewig gleichen sind, genervt, weil sie nicht umgesetzt werden, genervt, dass im 21. Jahrhundert immer noch auf einer Ebene über die „Gleichstellung von Männern und Frauen“ diskutiert werden muss, die aus dem vergangenen Jahrhundert stammen könnte.
Es ist richtig und wichtig, die Debatte weiterzuführen, der ständige Vergleich zwischen „Männern und Frauen“ scheint allerdings in einer Gesellschaft, die sich längst nicht mehr in zwei Geschlechter zwängen lässt, aus der Zeit gefallen. Menschen aus der LGBTQI+-Community werden in den Presseaussendungen der Tiroler Parteien rund um den Weltfrauentag einzig von den Grünen mitgedacht, in dem sie den Begriff Frauen* mit einem Sternchen versehen.

Möglicherweise ist genau dieses normative Denken und Hervorheben zweier Geschlechterrollen der Grund dafür, warum sich in der Gleichstellungsdebatte nichts ändert. Anstatt Gleichberechtigung aller Menschen als Ziel anzusetzen und eine Vision zu beschreiben, wie so eine Welt aussehen könnte und welche Vorteile sie bietet, werden Ungerechtigkeiten weiter kommuniziert und auf diese Weise verfestigt. Ein „Nocebo-Effekt“, der Mädchen und jungen Frauen vor Augen hält, dass sie ohnehin immer weniger verdienen werden, egal wie sehr sie sich anstrengen oder aus Normen auszubrechen versuchen.
Gleichzeitig schafft der starke Fokus auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen und dem Ausgleich dieser, in dem man den Fokus auf die Förderung von Frauen setzt – bei aller Berechtigung der Bemühungen – ein neues Ungleichgewicht: Gerade Burschen und junge Männer sehen sich zusehends von ihren Altersgenossinnen insbesondere im Bildungsbereich überholt (die Metamorphose von der katholischen Arbeitertochter zum Migrantensohn in Hinblick auf ungleiche Chancen im Bildungssystem ist längst vollzogen) und reagieren mit einem überbordenden Sexismus darauf, in dem sie etwa den frauenfeindlichen Social-Media-Star Andrew Tate als ihr Idol betiteln. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in anderen Gesellschaftsschichten beobachten, wenn etwa eine Frauenquote als unfair empfunden wird.
Eine fatale Fehlinterpretation von Feminismus und Emanzipation, schließlich geht es nicht darum, dass Frauen Männer „überholen“ oder Frauen „besser“ wären, sondern immer um eine Gleichstellung aller Geschlechter: Gleichberechtigung für alle heißt nicht, dass es dann für eine andere Gruppe wieder weniger Rechte geben würde.
Eine Kommunikationslandschaft, in der allerdings ständig nur die Unterschiede zwischen „Männern und Frauen“ reproduziert werden, befeuert diese diffuse Angst von Männern, irgendwann den Kürzeren zu ziehen. Ziel muss es sein, sich aus diesem festgefahrenen Geschlechterdenken zu lösen und eine Zukunftsvision der Welt zu zeichnen, die allen Menschen unabhängig von Geschlecht, Religion, (sozialer) Herkunft und sexueller Orientierung die gleichen Rechte und Chancen bietet. Eine Welt, in der es irgendwann keine „Weltfrauentage“ mehr braucht, weil Gleichstellung selbstverständlich ist.
„Wenn ich groß bin, werde ich Mama“, hat ein Bub im Kindergartenalter einmal zu mir gesagt. Und genau diese Freiheit wünsche ich mir für alle Menschen.
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