Nachdem die öffentliche Diskussion über einen möglichen Konkurs der Gemeinde Matrei in dieser Woche erneut angefacht wurde, müssen mehr als hundert Gläubiger nun darüber entscheiden, ob sie ein recht großzügiges Ausgleichsangebot von 80 Prozent annehmen. Einige haben schon abgewunken, darunter etwa die Firma Bodner Bau, die in dieser Causa vor Gericht zieht. Vor diesem Hintergrund stellt sich akut die Frage nach den Konsequenzen einer Gemeindeinsolvenz.
In der Zweiten Republik gab es in Österreich bislang keinen Gemeindekonkurs. Donawitz ging in den 30er Jahren pleite, unter anderen Voraussetzungen. Allerdings tauchte nach dem Hypo-Alpe-Adria-Debakel in Kärnten erstmals die Frage auf, ob ein Bundesland in Konkurs gehen kann und schließlich befeuerte die Corona-Pandemie die Diskussion auf Gemeindeebene, weil immer mehr Kommunen an den Rand der Zahlungsunfähigkeit rutschten.
Ein Gemeindekonkurs wäre aus mehreren Gründen nicht mit einem klassischen Unternehmenskonkurs zu vergleichen. Gemeinden erfüllen wichtige öffentliche Aufgaben der Daseinsvorsorge, die man nicht einfach streichen kann. „Gemeindevermögen“ lässt sich schwer pfänden. Die Gemeindeführung ist zudem demokratisch legitimiert, was Fragen bei der Masseverwaltung aufwirft.
Und nicht zuletzt sind Gemeinden zum Beispiel als Verbandsmitglieder Teil eines regionalen Netzwerks öffentlicher Dienstleistungen, das durch einen Konkurs einer so großen Gemeinde wie Matrei ernsthaft in Schräglage geraten könnte.
Im Februar 2020 erschien in der „Schriftenreihe Recht & Finanzen“ für Gemeinden ein spannender Sammelband zu diesem Thema, herausgegeben von Univ.-Prof. Dr. Georg Kodek, Senatspräsident am OGH und Professor für Zivil- und Unternehmensrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien. Wir haben Professor Kodek vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Matrei um eine grundsätzliche Einschätzung gebeten.

Herr Professor, es gab seit den 30er-Jahren keine Gemeindeinsolvenz in Österreich. Würde Matrei in Osttirol Insolvenz anmelden, wäre das also ein Präzedenzfall in der Zweiten Republik. Wie beurteilen Sie als Jurist die Auswirkungen eines solchen Falles auf das Rechtssystem? Dem könnte ja – zumindest theoretisch – eine Insolvenzlawine anderer Gemeinden folgen?
Die Insolvenzvoraussetzungen werden in jedem Fall gesondert geprüft, sodass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über eine Gemeinde nicht zwangsläufig einen „Dammbruch“ bedeutet und zur Insolvenzeröffnung auch über andere Gemeinden führt. Die Insolvenzeröffnung in einem Fall könnte aber zu einer erhöhten „Bewusstseinsbildung“ führen, sodass alle Beteiligten, Gemeinden, Gemeindeorgane und Gläubiger, die Gefahr einer Insolvenz stärker mitbedenken. Erfahrungen aus den USA zeigen, dass die Insolvenzeröffnung über eine Gemeinde – anders als man erwarten würde – auf längere Sicht nicht zu einer Verteuerung der Finanzierung für andere Gemeinden führt.
Sie schreiben in einem Fachbeitrag: „Praktisch bedeutsam wäre im Fall eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gemeinde vor allem auch die Rolle der Gemeindeaufsicht.“ In welcher Hinsicht?
Die Bezirkshauptmannschaft entscheidet, welche Vermögenswerte im öffentlichen Interesse unpfändbar und daher auch nicht insolvenzunterworfen sind. Außerdem kommen der Gemeindeaufsicht weitreichende Befugnisse zu, die bis zur Absetzung des Gemeinderats, die auch zum Amtsverlust des Bürgermeisters führt, reichen. Ein realistischeres Szenario sind etwa Bedarfszuweisungen oder bestimmte Auflagen.
Das Insolvenzrecht zielt ja ganz klar auf Unternehmen und die haben in der Regel keine öffentlichen Aufgaben zu erfüllen und zu bezahlen. Eine Gemeinde kann weder Kindergärtner:innen entlassen noch ihren gesamten Fuhrpark verpfänden oder die Ertragsanteile einfach an die Gläubiger überweisen. Oder doch?
Vermögenswerte, die die Gemeinde für die Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben benötigt, sind nicht exekutions- und insolvenzunterworfen. Darüber, was dann noch für die Gläubiger „übrig bleibt“, lässt sich freilich streiten. Wenn kein Sanierungsplan gelingt, würde die Gemeinde jedenfalls auf Jahre und Jahrzehnte ihre Gestaltungsmöglichkeiten verlieren und wäre auf eine Art „Notbetrieb“ beschränkt.
Wer wäre denn bei einer Gemeindeinsolvenz der Masseverwalter und hätte der eine ähnliche Funktion wie bei einem Unternehmenskonkurs? Wäre die Gemeindeverwaltung entmündigt und das Gemeindeparlament entmachtet? Speziell die „Entmachtung“ des Gemeinderates ist ja auch eine demokratiepolitische Frage.
Der Spielraum des Masseverwalters ist eingeschränkt, weil nicht das gesamte Gemeindevermögen in die Insolvenzmasse fällt und außerdem Bürgermeister und Gemeinderat weiter im Amt bleiben. Wichtig wird die Zusammenarbeit mit der Gemeindeaufsicht sein.
Geht man davon aus, dass die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Gemeinde eine Leitlinie für die Behandlung von Forderungen in einem möglichen Insolvenzverfahren ist, dann ist zu hinterfragen, wer diese Funktionsfähigkeit definiert? Und würde das auch die Funktionsfähigkeit von Gemeindeverbänden (Abwasser, Abfall, Krankenhaus, Altenheim, Schule) und Vereinen (Sportvereine, Sozialvereine) tangieren?
Das Gesetz weist die Entscheidung über die Frage, welche Vermögenswerte im öffentlichen Interesse nicht gepfändet werden dürfen, den „staatlichen Verwaltungsbehörden“ zu. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs sind das die Bezirksverwaltungsbehörden, die in Tirol zudem auch für die meisten Agenden der Gemeindeaufsicht zuständig sind. Zu Gemeindeverbänden gibt es keine ausdrückliche gesetzliche Regelung und keine Erfahrungswerte. Wahrscheinlich sind die gesetzlichen Regeln über Gemeinden insoweit auch auf Gemeindeverbände anzuwenden.
Konkret gefragt: Wenn Matrei viele Millionen Euro Kreditschulden als Haftungen zum Abwasserverband Oberes Iseltal „ausgelagert“ hat und in Konkurs geht, wer übernimmt diese Haftungen? Die anderen, viel kleineren Gemeinden des Verbandes?
Ja. Die einem Gemeindeverband angehörenden Gemeinden haften für dessen Verbindlichkeiten den Gläubigern gegenüber zur ungeteilten Hand.
Gibt es rechtlich eine Unterscheidung zwischen Kleingläubigern, in der Regel lokale Handwerker und Lieferanten und Groß- bzw. Finanzgläubigern, also zB Banken und Land Tirol?
In Österreich werden im Insolvenzverfahren alle Gläubiger grundsätzlich gleich behandelt („klassenloser Konkurs“). Alle erhalten nur eine Quote ihrer Forderungen. Anderes gilt für jene Zahlungen, die für die laufende Erfüllung der Aufgaben der Gemeinde erforderlich sind, etwa Löhne und Gehälter.
Ein außergerichtlicher Ausgleich hätte Vorteile wie Diskretion, Schnelligkeit der Sanierung, vor allem aber Flexibilität, erfordert allerdings Zustimmung aller Gläubiger. Das ist bei 160 Gläubigern recht unrealistisch. Wenn einige – auch aus politischen Gründen – einen Konkurs sehen möchten, ist der dann unvermeidlich?
Wenn die Konkursvoraussetzungen vorliegen, kommt es zur Eröffnung eines Konkursverfahrens, wenn ein Gläubiger oder die Gemeinde selbst das beantragen. Es genügt der Antrag eines einzigen Gläubigers. Der Vorteil eines Insolvenzverfahrens ist, dass dort statt des Einstimmigkeits- das Mehrheitsprinzip gilt und einzelne Gläubiger daher einen Sanierungsplan nicht blockieren können.
Liegt die Entscheidung über die Eröffnung eines Konkurses auch in diesem Fall beim Amtsgericht und wäre es auch denkbar, z.B. Schulden bei der öffentlichen Hand aus der Konkursmasse auszunehmen?
In Österreich gibt es keine Amtsgerichte. Zuständig ist das Landesgericht Innsbruck. Bezirksgerichte sind nur für den sogenannten „Privatkonkurs“ zuständig. Dafür, Schulden der öffentlichen Hand aus dem Konkursverfahren „auszunehmen“, besteht keine rechtliche Grundlage.
Können auch Gemeindeverantwortliche – konkret Bürgermeister, Gemeindeverwaltung und Gemeindemandatare – „kridaträchtig“ handeln und dafür belangt werden? Beispielsweise wenn man „übermäßigen, mit seinen Vermögensverhältnissen oder seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in auffallendem Widerspruch stehenden Aufwand treibt“ oder die Jahresabschlüsse Mängel aufweisen?
Das Gesetz spricht von „leitenden Angestellten“. Was das im Fall einer Gemeinde bedeutet, bedarf noch näherer Untersuchung. Mitglieder des Gemeinderats werden nicht darunter fallen. Ich verweise allerdings darauf, dass unabhängig von der strafrechtlichen Haftung auch eine zivilrechtliche Haftung aller Beteiligten denkbar ist. Die näheren Umstände des konkreten Falls sind mir aber – das möchte ich ausdrücklich betonen – nicht bekannt.
Formal genehmigt der Gemeinderat alle größeren finanziellen Ausgaben einer Gemeinde, in der Pflicht wären also wohl die Gemeinderätinnen und -räte. Könnten die sich darauf berufen, dass sie vom Bürgermeister und der Verwaltung nicht korrekt informiert wurden?
Hier kommt es sehr auf die konkrete Fallgestaltung an, die mir nicht bekannt ist.
4 Postings
Ist auf jeden Fall eine Serie auf Netflix wert , man könnte alles super vermarkten und die Gemeinde wird steinreich durch den Tourismus ähnlich wie Ellmau mit an Bergdoktor . Festival , geführte Touren zu die Schauplätze , Theaterstücke und Souvenirs.
Das wäre dann einmalig seit dem 2. Weltkrieg, oder irre ich mich?
Ich glaube, da war ein Konkurs in Kötschach unter Bgm Stangl in den 80ern ! (Nach dem Bau des Gemeindezentrums )
Ich glaube Trieben 2008 war ein Fall, der nach dem Selbstmord des Bürgermeisters durch zwangsweise Auflösung des Gemeinderates und einen großzügigen Kredit des Landes gelöst wurde. Donawitz wurde 1933 in die Gemeinde Leoben eingemeindet. Auch im Gefolge der Hypo Alpe Adria gab es einige Gemeinden die unter Kuratel gestellt werden mussten, aber an einen tatsächlich abgewickelten Konkurs erinnere ich mich nicht.
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