Ein wenig gedulden mussten wir uns schon, bevor das Frühlingswetter und die Damen aus der Friedensiedlung es uns erlaubten, auf einen Kaffee und Kuchen an ihrem Lieblingsplatz im Hof vorbeizukommen, denn bevor die Stiefmütterchen dort nicht in voller Blütenpracht standen, wollten sie das ganz und gar nicht.
Schließlich machen erst die Blumen und die Wärme diesen Ort zu dem, was er immer schon war: ein gemeinsames Wohnzimmer im Freien, in dem man sich trifft, um Kaffee zu trinken, Kochrezepte auszutauschen, sich Neuigkeiten zu erzählen und das Leben in der Friedensiedlung zu genießen. Und das haben sie, so erzählen es Norbert Plattner und seine Nachbarinnen aus der Salurner Str. 19 sowie dem „Eisenbahnerblock“ am Anfang der Siedlung, immer schon getan, auch wenn sich dort in den letzten Jahren viel verändert hat.
Die meisten Bewohner:innen der Friedensiedlung sind so wie ihre Häuser inzwischen in die Jahre gekommen. Da, wo in den 70er und 80er Jahren noch zig Kinder gemeinsam im Hof und in der Umgebung spielten und wo es am zentralen Brixener Platz nicht nur ein Lebensmittelgeschäft, sondern auch ein Gasthaus samt moderner Kegelbahn, einen Frisör, eine Bank und eine Trafik gab, ist es inzwischen ruhig geworden.
Nachdem vor ein paar Jahren die Sparkassenfiliale geschlossen wurde, wird nun auch der beliebte SPAR-Markt umgesiedelt werden. Astrid Istenich und ihre Freundinnen zeigen dafür wenig Verständnis, denn für die vielen Pensionist:innen in der Siedlung war dieses Geschäft nicht nur ein beliebter Treffpunkt, sondern auch die einzige Möglichkeit, noch ohne Hilfe vor Ort einzukaufen.
Auch wenn der neue Standort nicht allzu weit weg ist, ist es für die älteren Menschen in der Siedlung viel zu weit, um zu Fuß dorthin zu gelangen oder die Einkäufe von dort allein nach Hause zu tragen. Das Stiegen-Steigen in den Häusern macht ihnen weniger oder nichts aus, denn das sind sie gewohnt.
Keiner der Blöcke hat einen Lift, „was uns natürlich sehr fit hält“, erklärt Norbert Plattner als Experte, schließlich unterrichtet er Sport und Bewegung am BG/BRG Lienz. Er lebt seit 55 Jahren in der Friedensiedlung und schätzt dort - auch wieder wie viele andere - vor allem die Ruhe, die großzügigen Grünflächen zwischen den Häusern, die es bei Neubauten schlicht nicht mehr gibt, die gute Nachbarschaft im Block sowie die noch sehr preisgünstigen Mieten.
„Es gibt hier nicht genug Parkplätze. Die reichen zurzeit nur, weil die meisten von uns kein Auto haben oder brauchen.“
Dennoch gibt es nicht allzu viele junge Familien, die in die Friedensiedlung ziehen. „Es gibt hier nicht genug Parkplätze. Die reichen zurzeit nur, weil die meisten von uns kein Auto haben oder brauchen“, erklärt man uns. „Außerdem sind die Wohnungen sehr hellhörig und der fehlende Lift scheint die Jungen mehr abzuschrecken als uns Alte“.
Was man aus den Erzählungen über die Friedensiedlung auch heraushört, ist dieses jahrzehntelange aufgebaute Heimatgefühl. Viele von den Bewohner:innen haben in der Siedlung ihre erste Wohnung bekommen und - so wie in der benachbarten Südtirolersiedlung - es auch als Glücksfall betrachtet, überhaupt eine zu erhalten.






Die ersten Mehrparteienhäuser entstanden hier im Südwesten von Lienz am sogenannten Rohracherfeld in den Jahren ab 1955 und wurden zuerst noch durch einen internationalen Hilfsfonds mitfinanziert. Heute erinnert beispielsweise ein großes Fassadengemälde mit dem Namen „Hollandspende“ des Dölsacher Kirchenmalers und Restaurators Sepp Deferegger an der Ostseites des Hauses Sterzinger Weg Nr. 7 an diese Zeit.
Neben dem Wappen der Niederlande porträtierte Deferegger eine Familie auf Herbergssuche inmitten einer Zeit des Neubeginns nach den Kriegsjahren. Deferegger war übrigens einer von acht Künstler:innen, die hauptsächlich zwischen 1956 und 1968 den Auftrag zur „Kunst am Bau“ in der Friedensiedlung von der Tiroler Landesregierung bekamen.
Zu den weiteren Künstlern zählen so bekannte Namen wie Oswald Kollreider, der die Nordwestseite des Sterzinger Weges mit dem Motiv des „Musizierenden Trios“ gestaltete, Franz Walchegger, der im Jahre 1957 in der gleichen Straße das Bild „Die vier Lebensalter“ in seinen für ihn typischen Farben und geometrischen Mustern anbrachte oder Hedwig Wagner, die in unmittelbarer Nähe das Fassadengemälde „Hl. Christophorus mit dem Lebensbaum des Mannes“ schuf.
In den 60er Jahren folgten dann mehrere Bildhauerarbeiten in den Grünanlagen zwischen den Häusern, wie etwa die Figur „Froschkönig“ gleich neben unserem Garten-Treffpunkt in der Salurner Str. 19, die der Virgener Bildhauer Gottfried Fuetsch im Jahr 1962 aus Sandstein anfertigte. Er kreierte noch zwei weitere Figuren, den „Rübezahl“ oder den „Flötenspieler“, der in der Nähe der Brunecker Straße zu finden ist, wo auch die „Zwei Eidechsen“ des Innsbrucker Bildhauers und Restaurators Franz Roilo stehen.
Solche künstlerischen Schätze findet man oft erst bei näherem Hinsehen - genauso übrigens wie man das Gefühl für einen Ort erst bekommt, wenn man sich länger mit den Menschen unterhält, die schon sehr lange dort wohnen. Deshalb lieben wir unsere Stadtgespräche.
Hier unser Gespräch in voller Länge:
Der Dolomitenstadt Podcast ist ein akustisches Magazin, das die Redaktion von dolomitenstadt.at in Lienz zusammenstellt. Das Themenspektrum ist breit und beschränkt sich nicht nur auf die Region. Wir stellen spannende Projekte vor, widmen uns den Künsten und der Kunst des Lebens, schauen in Kochtöpfe und über den Tellerrand, greifen heiße Eisen an und diskutieren die Themen unserer Zeit mit Menschen, die etwas zu sagen haben. Zu finden auch auf Spotify und bei Apple Podcasts.
6 Postings
Die Südtiroler Siedlung für die heutigen Ansprüche zu sanieren und sogar als Kulturdenkmal so zu belassen wäre vielleicht eine Lösung und zugleich Garantie zur Weiterbelebung. Ob sich der Grünraum mit den Gärten in dieser Art weiterhin bewährt, ist in Frage zu stellen, denn die Lebensgewohnheiten der Bewohner der alten und neuen Generation haben sich ja grundlegend geändert. Die über die Bestandsdauer gehaltene Bebauungsdichte für die Häuser mit knapp 300 Wohnungen im dörflichen Charakter muss in diesem Einzelfall weiterhin beibehalten werden, als Modellfall für zukünftige Bebauung ist sie jedoch nicht tauglich, denn der gesamte Lienzer Talboden ist auch für diese Art der Versiegelung zu wertvoll. Den Stadtteil als Vorbild zu generalisieren hat daher wohl nicht viel Sinn. Die Zukunft verlangt nach Gebäudehöhe und nicht -breite, ob man will oder nicht! Vielleicht liefert die Siedlung aber den Anstoß, den sozialen Wohnbau neu zu denken ohne alles andere architektonisch nieder zu schreien!
kinder sind wenige. sie wurden aber durch die hunderln ersetzt.
jaja, die junge Generation ist flügge, sie sucht das Abenteuer in aller Welt, die Alten habens hinter sich, viele tröstet noch der flauschige Wächter - bis in die letzten Tage im Altersheim. Dann niemand mehr. Und wir brüsten uns bei Tempo 130, liebe lia.
die Südtirolersiedlung ist die einzige städtebaulich noch menschlich verträgliche Siedlung von Lienz; zum Vergleich gibt es wunderbar abschreckende moderne Planungen dazu
ein Parameter dazu: der Versiegelungsfaktor, unseren aktuellen Planern komplett wurscht
Stimmt. Der ganze Stadtteil wäre als vorbildlich zu nehmen, und ursprünglich gerade für junge Menschen gedacht.
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