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Fotografie: Simon Baumgartner, Gerhard Pirkner, FRU/Video: Simon Baumgartner, Roman Wagner

Fotografie: Simon Baumgartner, Gerhard Pirkner, FRU/Video: Simon Baumgartner, Roman Wagner

Ein weißter Turm wird bunt!

Mitte Juli 2019 erklommen drei junge Frauen ein Gerüst an einer Hausfassade in der Lienzer Schillerstraße und nahmen ein Projekt in Angriff, das zur Landmark werden soll: Osttirols erstes „Mural“.

Nicht länger als fünf Tage benötigten Katharina Löffelmann, Mariella Lehner und Linda Steiner – als Kollektiv nennen sie sich „Rip off Crew“ – für ein 160 m2 großes Gemälde, das urbane Streetart nach Osttirol bringt und den ehemals weißen Turm eines Gewerbegebäudes zur bunten Landmark im direkten Blickfeld des Radwegs Lienz-Peggetz und der Bahnstrecke in Richtung Kärnten macht. Gesponsert wurde das von Dolomitenstadt initiierte Projekt von der Glanzl Immobilien GmbH, der Privatstiftung der Lienzer Sparkasse, dem Architektenbüro Prodinger und der Firma Gerüstbau Troger.

Die Dolomitenstadt-Nachwuchsreporter Simon Baumgartner, Roman Wagner und Raphael Pichler ließen die Mädels während der Arbeiten auf dem Dach nur selten aus den Augen, fotografierten, filmten und dokumentierten den Fortschritt, aber auch die Technik hinter dem Kunstwerk. So entstand ein Reportagevideo, in dem die Künstlerinnen auch selbst ausführlich zu Wort kommen.

„Man muss klar zwischen Graffiti und Streetart unterscheiden.“

Jenseits technischer Fragen nutzte Raphael Pichler bei brütender Hitze auf dem Blechdach in der Schillerstraße die Gelegenheit, mit den Künstlerinnen auch über das boomende Genre „Streetart“ zu sprechen und über die konkrete Motivwahl für dieses monumentale Bild in Lienz.

Interview auf einem Blechdach, das in diesen heißen Julitagen nur wenig Schatten bot.

„Linda, du malst gerne Selbstportraits. Auch auf Hauswände. Ist das nicht eine eher ungewöhnliche Praxis für Streetart?“ „Nein, ganz und gar nicht. Viele Streetart-Künstler stellen sich selbst dar. Meistens schreiben sie halt ihre Namen auf Wände.“

Sie hat recht. Selbstdarstellung lässt sich bereits in den Anfängen der modernen Streetart und der Graffiti finden, damals, als es diese Begriffe noch gar nicht gegeben hat. Joseph Kyselak, ein österreichischer Alpinist und Hofkammerbeamter, erreichte bereits im 19. Jahrhundert große Bekanntheit, weil er auf unzähligen Reisen durch das damalige Kaiserreich an verschiedensten Stellen seinen Namen hinterließ. In den 1940er und 50er Jahren verbreitete sich auf ähnliche Art und Weise das Graffito „Kilroy was here“. Es wurde also in diesen Kunstformen normal, sich nicht nur mittels eines Kunstwerks, sondern gleich mit seiner ganzen Identität zu verewigen. Linda Steiners Selbstportraits entwickeln hierbei diese alt bekannte Praxis weiter und räumen zugleich mit dem Bild des illegal arbeitenden, anonymen Streetart-Künstlers auf.

„Man muss klar zwischen Graffiti und Streetart unterscheiden,“ erklären Katharina Löffelmann, Mariella Lehner und Linda Steiner, die drei Künstlerinnen der Rip off Crew. Graffiti sind illegal (genau genommen Sachbeschädigung) und Streetart nicht, kann man sich als Faustregel merken. Deshalb ist es auch für Linda kein Problem, sich selbst abzubilden.

„Wir wollen Motive wählen, die sich in der Umgebung des Kunstwerks finden lassen.“

Jedoch findet sich auf der nun fertiggestellten Wand in der Schillerstraße kein Selbstportrait. Dafür allerdings einige Motive, die eindeutig Umfeld bezogen sind. Passend zum Radweg kann man nun eine Radfahrerin und eine Läuferin an der Wand bewundern, die neben drei Vögeln die größten Figuren darstellen. Zu den drei Görzer Löwen gesellen sich noch zwei weitere Gegenstände, die symbolisch klar der Stadt Lienz zuzuordnen sind: Die Lienz-Rose und bei genauem Hinsehen sogar die Liebburg. Hier eine Slideshow vom „Making of“ der monumentalen Wandmalerei.

„Wir wollten Motive wählen, die sich in der Umgebung des Kunstwerks finden lassen.“ Damit wird ein weiteres Streetart typisches Merkmal definiert: Diese Kunstform fordert immer eine Auseinandersetzung mit der Umgebung. Die grundlegende Dynamik, die herkömmliche Bilder, Fotos, oder Plastiken umgibt, nämlich, dass man sie (meistens) einfach aufheben und an einen anderen Ort bringen kann, wird in dem Format Streetart gänzlich ausgelöscht. Die Aufgabe, das Kunstwerk mit seinem Umfeld in Einklang zu bringen, fällt nun dem Künstler selbst zu, nicht mehr einem zukünftigen Besitzer.

Darüber hinaus muss man sich ja die Frage stellen, inwiefern überhaupt Besitzansprüche über ein solches Werk erhoben werden können. Worin sich im Übrigen der ursprüngliche Protest gegen den Kapitalismus und die Konsumgesellschaft, der sich in vielen Streetart Kunstwerken äußert, begründet.

Da legen es unsere drei Rip off Crew-Künstlerinnen um einiges simpler an. Das neu entstandene Wandgemälde ist viel eher als Verschönerung, denn als Protest zu sehen. Da kann die eigene Identität schon mal den vermeintlichen Identitätsmerkmalen der Stadt Lienz geopfert werden. Diese darf sich nun also über das erste „Mural“ Osttirols freuen. „Streetart kann provozieren, muss aber nicht.“

Linda Steiner, Katharina Löffelmann und Mariella Lehner (von unten nach oben) sind die Rip off Crew. In Lienz haben sich die drei Künstlerinnen weithin sichtbar verewigt. Foto: Simon Baumgartner
Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

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